»Himmel, ich habe dein Auto überhaupt nicht gesehen.« Die beiden anderen Männer runzelten die Stirn, aber der Blonde setzte sich ans Ende des Sofas und lächelte. »Ich bin froh, dass du okay bist. Entschuldige, dass wir nicht hier waren, als du aufgetaucht bist.« Er streckte ihm die Hand entgegen. »Ich bin Paul.«
Frankie zog seine rechte Hand unter den Decken hervor und nahm Pauls Begrüßung an. »Frankie.«
»Arthur.« Der Rothaarige sprach schroff, aber er grinste dabei und zwinkerte, während er dem großen Dunkelhaarigen einen Stoß gegen den Arm gab – der große Dunkelhaarige, der immer noch finster dreinblickte. »Das ist Marcus, in dessen Bettchen du geschlafen hast.«
Es brauchte nur einen Blick auf den mürrischen Papa Bär und Frankie wollte zurück unter seine Decken krabbeln. »Entschuldige«, sagte er stattdessen und zwang sich zu einem Lächeln.
Papa Bär grunzte nur, drehte sich um und ging weg.
Frankie holte tief Luft und machte sich klar, dass bis jetzt niemand Anstalten dazu gemacht hatte, ihn zu schlagen oder ihm sein Essensgeld abzunehmen.
Bis jetzt.
Dass der Stadtjunge aus dem Café in Arthurs Haus aufgetaucht war – in Marcus' Bettchen, wie Arthur belustigt angemerkt hatte –, war so eine grausame Wendung des Schicksals, dass Marcus sich halb fragte, ob Paul und Arthur ihre Finger im Spiel hatten. Nur, dass sie nicht in seine stummen Nörgeleien darüber, wie sehr Frankie ihn an Steve erinnerte, eingeweiht gewesen waren, und außerdem sah er keine Möglichkeit, wie sie das hätten hinbekommen sollen. Offensichtlich war das Ganze ein dummer Zufall. Und ein gefährlicher noch dazu. Der Kerl hätte sterben können. Wenn er seinem Elch später begegnet wäre, hätte er viel weiter laufen müssen, um Zuflucht zu finden. Arthurs Hütte war die letzte für eine lange Zeit.
Arthurs Hütte hatte auch einen beschissenen Stromanschluss und der Strom war schon wieder ausgefallen. Ohne Zweifel war die Leitung zum Haus von einem Ast oder, Scheiße, vielleicht von einem ganzen Baum heruntergerissen worden. Die Heizung war ausgegangen und das Haus war kalt genug, um den Schluss zuzulassen, dass sie schon vor ungefähr einer Stunde den Geist aufgegeben hatte, wahrscheinlich kurz bevor ihr unerwarteter Gast eingetroffen war. Die Küche war ein Schweinestall, womöglich weil Paul wütend war, dass er immer aufräumen sollte, und wie üblich nahm Arthur das gar nicht wahr. Da er als Erster zur Arbeit aufgebrochen war, war Marcus für dieses Chaos nicht verantwortlich, aber er war ziemlich sicher, dass er es beseitigen würde. Und das auch noch mit kaltem Wasser.
Leise grummelnd packte er sich warm ein und ging zum Schuppen hinaus, um den Generator zu dem beweglichen Überstand neben dem Haus zu ziehen, wo er ihn an den Transferschalter anschloss. Normalerweise half Arthur ihm bei dieser Arbeit, aber dieses Mal nicht.
Als Marcus zurück ins Haus ging, saßen Arthur und Paul links und rechts von Frankie auf dem Sofa, wärmten sich an einem glühenden Feuer und unterhielten sich mit dem Jungen aus der Stadt, als gäbe es nichts auf der Welt, um das man sich sorgen müsste.
»Stylist?«, fragte Paul, als Marcus seine Winterklamotten an einen der Haken neben der Tür hing. »Du meinst, du bist einer dieser ausgefallenen Berater für Filmstars?«
Frankies Lachen war leise und melodisch und schnitt wie ein Messer in Marcus' Körper. »Nein. Das ist eine übertriebene Art zu sagen, dass ich Haare schneide, obwohl ich viel Übung darin habe, wie man bestimmte Looks zusammenstellt. Ähnlich wie bei Filmstars, denke ich, aber eher für Geschäftsleute und Nachrichtensprecher.«
Marcus biss die Zähne zusammen und ging in die Küche hinüber und schaltete das Licht an, von dem er wusste, dass es Teil des Stromkreises des Generators war, bevor er das verkrustete Geschirr in Angriff nahm. Himmel, Frankie klang sogar wie Steve, außer dass der Stimme ihres Schneeflüchtlings im Gegensatz zu seinem Exfreund ein leiserer, melodiöser lispelnder Klang anhaftete. Der einzige Unterschied war, dass in Steves Stimme immer ein verspielter Tonfall mitgeschwungen war, der sich am Ende in einen bissigen und harten verwandelt hatte. Frankie wirkte eher verhalten, fast schon prüde.
Er war Friseur, er lispelte und ein Blick durch den Raum zeigte ihm die femininen Gesten, die er erwartet hatte. Dazu kam, dass Frankie Marcus' Blick ach so sorgfältig ausgewichen war. Wenn dieser Kerl nicht schwul war, würde Marcus den angetrockneten Haferbrei essen.
Schwul und er saß für die Dauer eines Sturms, der laut Radiobericht Tage dauern würde, hier mit ihnen fest – und dabei ging es nur um die Dauer des Schneesturms, nicht um die Aufräumarbeiten.
Verdammte Scheiße.
Nicht, dass Arthur oder Paul das als Problem ansahen. Sie schmeichelten sich bei Frankie ein, als wäre er ihr lange verschollener bester Freund.
Als hätten sie sich nicht schon tausend Mal mit Marcus betrunken und sich über schwule Stereotypen ausgelassen und darüber, wie dumm sie waren, genau wie die Schwulen, die sie erfüllten. Die schwulen Stereotypen, für die Frankie praktisch ein Aushängeschild war. Als hätten sie Steve nicht gemeinsam mit Marcus gehasst, als das mit ihnen auseinander gegangen war, vielleicht sogar noch mehr. Trotz all dem schmeichelte sich dieses Paar von Verrätern jetzt geradewegs bei dem Eindringling ein und fragte ihn über sein Leben in der großen Stadt aus.
»Ursprünglich komme ich aus einem kleinen Ort nördlich von Mankato«, erklärte Frankie, als Marcus mit einem Pfannenwender die Reste aus der Haferbreipfanne meißelte. »Nicht so klein, wie dieses Dorf zu sein scheint, aber ich bin nicht in den Cities geboren. Ich glaube, viele aus kleineren Ortschaften ziehen dorthin wie Migranten.«
»Marcus war mal –«, setzte Arthur an und Marcus knallte die Pfanne auf die Arbeitsfläche.
»Arthur Anderson, halt deine verdammte Klappe«, grollte Marcus.
Arthur schnaubte. »Marcus war mal ein Mensch, aber dann hat er sich in einen großen griesgrämigen Bären verwandelt.«
»Ja, ungefähr zu dem Zeitpunkt, an dem ich anfangen musste, diesen Saustall zu beseitigen, um den du dich nicht kümmern konntest«, schoss Marcus zurück.
»Ich war nicht an der Reihe, die Küche sauber zu machen«, sagte Paul fast wie aufs Stichwort.
Arthur wandte seine Aufmerksamkeit wieder Frankie zu und ignorierte die anderen beiden. »Deine Familie lebt also in Duluth. Gefällt es ihnen?«
»Ja, obwohl ich mich frage, ob sie das auch noch sagen können, nachdem sie den Winter erlebt haben.« Frankie biss sich auf die Unterlippe. »Da wir gerade von meinen Eltern reden, ich muss sie anrufen und sie wissen lassen, dass es mir gut geht. Genauso meine Mitbewohner und meinen Chef und die Frau aus dem Café, weil ich es ihr versprochen habe. Aber zuerst hatte ich keinen Empfang und dann habe ich mein Handy im Schnee verloren.«
Eigentlich hätte es ziemlich lustig sein sollen, wie Arthur und Paul sich vor Enthusiasmus regelrecht überschlugen, um Frankie als Erster ein Handy zu reichen, und als Frankie dann gestand, dass er keine Nummer auswendig wusste, kämpften sie auch noch um Pauls Smartphone, um die Nummern nachzuschauen. Es war schwer zu sagen, ob sie einfach nur wie üblich stritten oder ob sie tatsächlich mit Frankie schlafen wollten. Der Gedanke ließ Marcus einen Moment innehalten. Die Vorstellung ihres Dreiers war gleichzeitig erregend und machte ihn wütend.
Er ist nicht Steve, ermahnte Marcus sich. Werd verdammt noch mal erwachsen.
Das Problem war nur, dass Frankie auf so viele Arten doch Steve war. Marcus kämpfte mit dem Stapel Geschirr und die Ähnlichkeiten schossen durch sein aufsässiges Gehirn wie Kugeln aus Pauls Gewehr. Die gleiche Körpergröße. Die gleiche Kleidergröße. Die gleiche Stimme. Die gleiche Oje, ich will niemandem zur Last fallen-Art, mit der verzweifelte Männer so leicht zu manipulieren waren. Das gleiche Jungfrau in Nöten-Verhalten. Die gleichen wunderschönen Augen, die gleiche ansprechende, feminine Art, die nicht so verführerisch sein sollte, aber verdammt, für Marcus war sie das nun mal.
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