Des Weiteren beklagt Burwitz-Melzer (2006), dass „Aufgaben zur Evaluation in verschiedenen Inhaltsbereichen zwar gefordert, aber kaum erstellt werden, [und dass] Aufgaben zur Selbstevaluation oft noch gänzlich fehlen. Kaum Erwähnung gefunden hat bisher die Überlegung, welche Bedeutung der Faktor ‘Reflexion’ bei der Aufgabenorientierung innehat. Oft wird dieser Aspekt sogar ganz bewusst ignoriert“ (Ebd., 27f.).8 Bei Storyline dagegen haben Reflexionen schon seit jeher einen wichtigen Stellenwert. Auch verschiedene Möglichkeiten der Leistungsmessung und (Selbst-)Evaluation werden seit Jahren von verschiedener Seite immer wieder thematisiert und im Unterricht ausprobiert.9 Im topic plan (vgl. Kapitel 2.3.3.6) werden Möglichkeiten und Aspekte der Bewertung zudem ganz explizit aufgeführt.
Viele der oben aufgeführten Fragen können daher aus der Perspektive des Storyline Approach eindeutig positiv beantwortet werden, denn Storyline stellt meines Erachtens ein schlüssiges und praktikables Konzept dar, wie aufgabenorientiertes Lernen im fremdsprachlichen Klassenzimmer für alle Beteiligten gewinnbringend umgesetzt werden kann. Auf der Grundlage des allseits bekannten dreiphasigen TBL-Rahmenkonzepts nach Willis (1996), dessen Struktur preparation – core activity – follow-up language work auf spracherwerbstheoretischen Erkenntnissen aufbaut, soll hier nun kurz und exemplarisch erläutert werden, wie mit Hilfe des Storyline -Modells die verschiedenen Schritte und Prozesse realisiert werden können:10
Pre-task : Lernprozesse vorbereiten und anleitenEin Thema wird ausgewählt und als Storyline -Projekt strukturiert. Offene Schlüsselfragen ( key questions ) fordern die Lernenden dazu auf, all ihre Ideen, Erfahrungen und Vorkenntnisse einzubringen. Dabei werden auch themenbezogene Redemittel gesammelt und in wordbanks systematisch festgehalten, um der (auch sprachlichen) Heterogenität der Lernenden gerecht zu werden.
Task cycle : Lernprozesse unterstützen Task /Aufgabe: In Storyline -Projekten werden die Lernenden immer wieder mit größeren und kleineren Aufgaben konfrontiert, die sich sowohl auf den Inhalt der Geschichte als auch die sprachliche und handwerkliche Ausgestaltung beziehen. Dabei entstehen zahlreiche Anlässe für mitteilungsbezogene Kommunikationssituationen, in denen die Lernenden ihre Prozesse und Produkte interaktiv planen, diskutieren und reflektieren.Alle Aktivitäten für eine gestellte Aufgabe werden zunächst gemeinsam in der Gruppe überlegt, besprochen und verteilt: Wer zeichnet? Wer schneidet aus? Wer schreibt einen Text? Wer schlägt Wörter nach? Wer führt gegebenenfalls ein Interview durch? Erst danach geht es an die konkrete Arbeit. Die Lehrkraft beobachtet und koordiniert das Geschehen, inspiriert und unterstützt bei Bedarf einzelne Lernende, wenn sprachliche, inhaltliche oder anderweitige Probleme auftauchen. Dabei fungiert sie nicht als sage on the stage , sondern vielmehr als guide on the side .Selbst wenn sich alle Lernenden gelegentlich mit derselben Aufgabenstellung beschäftigen (z.B. eine Biographie oder einen Tagebucheintrag verfassen), wird es immer ganz unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich Quantität und Qualität geben, da die Arbeitsprodukte, anders als im herkömmlichen Frontalunterricht, nicht oder nur bedingt vorhersehbar, sondern stets Ausdruck von ganz individuellen Lernprozessen sind und dabei die multiplen Talente, Ideen und Fertigkeiten der heterogenen Lerngruppe dokumentieren. Planning /Vorbereitung: Bevor Lernprodukte im Plenum vorgestellt werden, beraten die Mitglieder der einzelnen Gruppen über die geplante Präsentation im Rahmen von kleinen Konferenzen: Je nach Aufgabenstellung werden Inhalte abgesprochen und überprüft, Texte mit Hilfe von Wörterbüchern redigiert ( peer correction ) oder etwa mit dem PC-Rechtschreibprogramm überarbeitet, Rollenspiele oder andere Choreographien einstudiert, Videoaufnahmen gemacht, Skizzen angefertigt, digitale Fotos geschossen und möglicherweise bearbeitet, Gedichte, Reime oder kleine Ansprachen auswendig gelernt, Hilfsmittel bereitgelegt und angemessene Präsentationstechniken geübt. Die Lehrkraft hilft bei der Organisation der Abläufe, koordiniert einzelne Aktivitäten und berät bei sprachlichen oder anderweitigen Problemen. Report /Präsentation:Ein Kernpunkt von Storyline -Projekten sind die regelmäßig stattfindenden Präsentationen, in denen die Gruppen ihre jeweiligen Arbeitsergebnisse (z.B. Figuren, Radiobeiträge, Briefe, Zauberkunststücke usw.) der Klassenöffentlichkeit vorstellen. Dadurch dass die Inhalte nicht vorgegeben, sondern von den Lernenden individuell erarbeitet werden, entsteht eine authentische Kommunikationssituation ( information gap ) und somit auch ein echtes Bedürfnis, die Beiträge der anderen Klassenmitglieder aufmerksam zu verfolgen und mit den eigenen zu vergleichen. Die Aufgabe der Lehrkraft besteht darin, den Ablauf der Präsentation zu koordinieren und gegebenenfalls zu moderieren, um eine logische Abfolge der Handlungen ( story line ) zu gewährleisten, doch für alle anderen Aktivitäten sind die Lernenden selbst zuständig und verantwortlich.Während bzw. nach einer Präsentation werden alle Ergebnisse am Wandfries ausgestellt, so dass die Lernenden in Arbeitspausen und in Eigenregie in Ruhe nachlesen und betrachten können, was ihre Mitschülerinnen und Mitschüler geschrieben bzw. hergestellt haben. Durch die Tatsache, dass Arbeitsprodukte zu jeder Zeit inhaltlich, gestalterisch und/oder sprachlich verändert und ergänzt werden können, konsultieren sie regelmäßig und ohne Aufforderung den Fries, um eventuelle Veränderungen oder Überraschungen zu entdecken. Gleichzeitig setzen sie sich intensiv mit der Sprache auseinander, nämlich wenn sie Texte lesen, mögliche Fehler verbessern oder unbekannte Wörter im Lexikon nachschlagen. Der Fries wird somit zur kreativen Bühne und zur (auch sprachlich) anregenden Lernplattform.
Language focus : Lernprozesse reflektieren und auswerten Analysis /Reflexion:Am Ende eines Storyline -Projekts findet in der Regel eine Evaluation ( self/peer/class evaluation ) bezüglich aller Prozesse und Produkte statt, doch kleinere Reflexionen, die sich nur auf einzelne Aspekte wie Inhalt, Lern- und Sozialverhalten oder die Fremdsprache beziehen, bieten sich auch zwischendurch an: im Klassenverband, in einer Gruppe oder mit einzelnen Schülerinnen und Schülern. Im Anschluss an eine sprachbezogene Reflexion werden gegebenenfalls wordbanks erweitert oder auch Hinweise zu grammatischen bzw. kulturspezifischen Phänomenen (z.B. Höflichkeitsformeln) gegeben. Des Weiteren können auch schauspielerische und sprecherzieherische Techniken, die beim freien Präsentieren oder Rollenspiel vor laufender Kamera bedeutsam sind, bewusst gemacht werden: “Take a deep breath. Smile but don’t giggle. Look at the audience. Don’t read everything out.“Lehrkräfte haben während eines Storyline -Projekts zahlreiche Gelegenheiten, die mündliche und schriftliche Sprachkompetenz der Schülerinnen und Schüler zu begutachten und zu bewerten, um später eventuell gezielte Sprachübungen anbieten zu können. Nicht selten stellen auch die Lernenden beim Zuhören oder Lesen von Lernertexten sprachliche Unsicherheiten oder Fehler fest ( language awareness ). In diesem Fall können sie beauftragt werden, mit einem Bleistift eine dezente Anmerkung vorzunehmen (ohne dabei die Ausstellungsstücke zu verunstalten) oder etwa mit den jeweiligen Verfasserinnen bzw. Verfassern im Sinne der peer correction Rücksprache zu halten. Practice /Sprachübungen:Im Anschluss an ein Storyline -Projekt können bei Bedarf weiterführende (möglichst themenbezogene) Sprachübungen angeboten und durchgeführt werden, um bestimmte linguistische Probleme, die während der Projektarbeit zutage kamen, zu bewältigen. Dies kann auch im Sinne einer Differenzierung bereits während des Projektverlaufs geschehen, nämlich als Hausaufgabe oder Zusatzaufgabe für einzelne Lernende oder kleinere Gruppen. Nachteilig für die Motivation der Lernenden und zugleich auch für die Entwicklung einer Geschichte ist erfahrungsgemäß jedoch die ständige Unterbrechung und Störung der inhaltlichen Ebene durch umfassende Sprachübungen, denn “it is tasks that generate the language to be used, not vice versa. (...) The main focus is on the tasks to be done and language is seen as the instrument necessary to carry them out“ (Estaire/Zanón 1994, 12).
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