Anhand einer vorab entwickelten Progression sollen die Lernenden die fremde Sprache in immer differenzierterer Weise kennen und darauf aufbauend auch verwenden lernen. Dabei stehen sie vor der Herausforderung, die Synthese der zuvor isoliert geübten sprachlichen Einzelteile zu erbringen, weshalb man auch von einem synthetischen Ansatz spricht (Nunan 2009:11). Folgerichtig enthält ein typisches Unterrichtsdesign den Dreischritt von der Präsentation (neuer) sprachlicher Elemente, über das Einüben dieser Elemente bis hin zu ihrer selbstständigen Produktion.
Den Ideen der kommunikativen Didaktik öffnen sich dieses Unterrichtsmodell vor allem in der dritten Phase, in der die Lernenden zum – mehr oder weniger – selbstbestimmten Gebrauch der Fremdsprache angehalten werden. Die negativen Folgen dieses eher dürftigen Rückgriffs auf die Möglichkeiten, die der kommunikative Ansatz eigentlich bietet, wurden vielfach beschrieben. Sie zeigen sich etwa in der mangelnden Aktivität und Kreativität der Lernenden oder der fehlenden Relevanz der Interaktionen (z.B. Legutke/Thomas 1991:7ff).
Es war somit nur eine Frage der Zeit, bis man sich daran machte, die kommunikative Didaktik konsequenter zu denken und umzusetzen und der aufgabenbasierte Ansatz gehört sicher zu den prominentesten Beispielen dieser Bewegung. Er bricht mit dem soeben umrissenen Modell von Unterricht und setzt ihm ein vollkommen anderes Verständnis von fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozessen entgegen. Der Fokus der Unterrichtsplanung liegt dabei nicht auf den formalen oder funktionalen Aspekten der Fremdsprache, sondern auf ihrer selbstbestimmten und kreativen Anwendung. Die Lernenden sollen der Fremdsprache von Beginn an in möglichst komplexer Form begegnen, eingebettet in einen bestimmten kommunikativen Kontext und verbunden mit Handlungsabsichten.
Im Unterschied zu einem Unterrichtskonzept, das formalen oder funktionalen Progressionen folgt, sehen sich hier also die Lernenden mit der Herausforderung konfrontiert, eigene Lernwege zu erschließen, indem sie die Fremdsprache analysieren und deren Regelmäßigkeiten und Konventionen verstehen. Nunan (2009:11) beschreibt diesen Prozess als analytischen Ansatz des Fremdsprachenlernens. Übungssequenzen, bei denen ausgewählte sprachliche Elemente in isolierter Form trainiert werden, spielen bei der Planung des Unterrichts eine untergeordnete oder – wie im hier untersuchten Unterricht – keine Rolle. Denn es entspricht der Zielsetzung von Aufgaben, dass sie die Aufmerksamkeit der Lernenden vor allem auf die Bedeutung sprachlicher Äußerungen lenken. Sie sollen animiert werden, ihre eigenen Ressourcen zu aktivieren, um die Aufgabe zu bewältigen. Ein einheitlicher Lernprozess aller Teilnehmenden eines Unterrichts, wie er beispielsweise mit einer grammatischen Progression angestrebt wird, ist somit nicht intendiert.
Da der aufgabenbasierte Unterricht auf bekannte und bewährte Vorgehensweisen setzt, wäre es ein Missverständnis, ihn als eine neue Methode des Fremdsprachenunterrichts zu begreifen. Dass die Lernenden beispielsweise angeregt werden, Informationen aus komplexen Zusammenhängen zu extrahieren, in andere Textformen umzuformen oder sie neu zu anzuordnen, gehört zum traditionellen Inventar von fremdsprachendidaktischen Aufgabenstellungen. Das Neue oder Innovative der Aufgabenbasierung ergibt sich daher nicht aus den Unterrichtstechniken, sondern aus den Prinzipien, nach denen diese arrangiert werden. Diese lassen sich in wenigen Punkten zusammenfassen (vgl. Long 2016:7, Ellis 2018:175, Nunan 2009:35, Samuda/Bygate 2008:69; Samuda 2015; Willis/Willis 2007:34):
1 Die Triebkraft des Unterrichts bilden Aufgabenstellungen, also offen gestaltete Impulse, die zu einem kreativen, selbstständigen und zielgerichteten Gebrauch der Fremdsprache anregen.
2 Das Unterrichtsgeschehen wird von Lückenaktivitäten ( gap activities ) geprägt. Das sich aus der Heterogenität von Meinungen, Ideen, Argumentationen oder Lösungsansätzen ergebende Potenzial für den Austausch und das Lernen wird planvoll genutzt.
3 Der Unterricht zielt auf die Verknüpfung von Sprachgebrauch und Sprachlernen. Die „intuitiven Heuristiken“ (Kumaravadivelu 1994:32) der Lernenden werden aktiviert. Systematische Sprachbetrachtungen erfolgen immer eingebunden in einen inhaltlichen Kontext und sind nachgeordnet ( focus on form ).
4 Die individuellen Lernwege der Lernenden werden respektiert und gefördert. Sie erhalten vielfältige Möglichkeiten, ihre sprachlichen und nicht-sprachlichen Kompetenzen einzubringen und weiterzuentwickeln.
5 Zugleich wird das Potenzial kooperativen Lernens intensiv genutzt. Es werden permanent Räume geschaffen, in denen die Lernanlässe von den Lernenden selbst ausgehen und sich Aushandlungsprozesse unter den Beteiligten vollziehen können.
6 Die Materialien zeichnen sich durch reichhaltigen, elaborierten und anspruchsvollen sprachlichen Input aus.
Wie man auf der Grundlage solcher Prinzipien zu einem Kurskonzept gelangt, möchte ich im folgenden Abschnitt thematisieren.
Diesen sechs Prinzipien aufgabenbasierten Unterrichtens kann man sicherlich entgegenhalten, sie blieben im Ungefähren und seien somit kaum dazu geeignet, Lehrenden eine Hilfestellung für ihre Planungsprozesse zu bieten. Tatsächlich wäre es ja auch nicht das erste ambitionierte akademische Projekt, das erheblich an Strahlkraft verliert, sobald es sich im Unterrichtsalltag bewähren muss. Der für den aufgabenbasierten Ansatz so zentrale Leitgedanke der Selbstbestimmtheit beispielsweise findet sich auch schon in den frühen Entwürfen einer kommunikativen Didaktik (z.B. Piepho 1974). Dass er dazu beitragen konnte, die Spielräume für die Lernenden beträchtlich zu erweitern, lässt sich jedoch – wie weiter oben diskutiert – nur bedingt behaupten.
Bei genauerer Betrachtung der Prinzipien wird jedoch erkennbar, dass der aufgabenbasierte Ansatz der Gefahr einer beliebigen Auslegung vorbaut, indem auch die konkrete Ausgestaltung unterrichtlicher Aktivitäten einbezogen wird. So spiegelt sich etwa die Maxime der Förderung von Selbstbestimmtheit und individuellen Lernwegen unmittelbar in der Art der Aufgabenstellungen wider. Wie am zweiten Prinzip der Liste deutlich wird, gehören vor allem sogenannte gap-activities zum unabdingbaren Inventar aufgabenbasierten Unterrichts (Ellis 2018:159; Johnson 1982; Willis 2004).
Die Aufgabengestaltung orientiert sich am Lernpotenzial von Heterogenität, sie nutzt die Spannung, die das Zusammentreffen von Unterschieden erzeugen kann. Mit Hilfe von Lückenaktivitäten lassen sich Situationen arrangieren, in denen die Lernenden ihre eigenen Ideen, Meinungen oder Lösungen einbringen können und sich zugleich mit anderen abstimmen müssen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Zum einen wird die bereits vorhandene Vielfalt der Lerngruppe genutzt, etwa wenn die Aufgaben dazu anregen, persönliche Meinungen oder Erfahrungen mit den anderen zu teilen. Zum anderen können die Aufgaben aber auch so gestaltet sein, dass sie Differenzen und Diskrepanzen selbst erst generieren, beispielsweise indem sich die Lernenden zunächst voneinander abweichende Informationen erarbeiten, diese vergleichen, diskutieren oder in einer Synthese zusammenzuführen.
Lückenaufgaben erhöhen die Chance, dass das Geschehen im Klassenraum tatsächlich von Situationen charakterisiert wird, in denen die Lernenden selbstbestimmt ihre sprachlichen und nicht-sprachlichen Ressourcen einbringen und erweitern können. Aus der etwas diffusen Idee der Selbstbestimmtheit wird dadurch ein greifbares Element der Unterrichtsgestaltung.
Solche Aktivitäten können natürlich in sehr unterschiedliche Konzepte von Fremdsprachenunterricht integriert werden. Das entscheidende Merkmal aufgabenbasierter Settings besteht deshalb darin, dass sie den Motor der Lehr- und Lernprozesse bilden. Im hier untersuchten Kursangebot äußert sich das Prinzip der Lücke beispielsweise in der wichtigen Rolle, die der sogenannten Think-Pair-Share-Technik (Lyman 1981) zukommt. Durch die Lernmaterialien mit Texten und Aufgaben bzw. Impulsen wird zunächst eine Lücke innerhalb der Lerngruppe erzeugt, oft in Form eines Informationsgefälles oder der Begegnung mit einem kognitiven Konflikt (vgl. Gillies 2014). Es folgt ein methodischer Dreischritt, der von der individuellen Auseinandersetzung mit der Problematik über den Austausch in Kleingruppen zur Präsentation und Diskussion im Plenum führt.
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