Now interpretation is part of a general practice of putting-into-practice […] This new, expanded form of interpretation does not say what things say, but shows how they work, which is to say, how they might be worked out. […] The purpose of playing the game is not to show what the game means […], but to explore what it makes possible. […] Interpretation has been drawn into a general performativity, in which informing interacts with performing […] Interpretation is no longer to be thought of as the solving of a riddle, or the cracking of a code […], but rather the playing out of a game, the running of a programme, the perfecting of a routine, the exploiting of a potential. […] The pursuit of interpretation now asks, not what does an object mean, but what are the implications of what it might mean – what does what it means mean? (Connor 2014: 184–186)
Im Lichte eines solchen Verständnisses von Interpretation wird deutlich, dass der von den Kritikern des Konstruktivismus aufgemachte Gegensatz von ›Konstruktion‹ und ›Realität‹ nicht haltbar ist, weil eben nur die Operation der Konstruktion real ist, ihr Ergebnis aber immer Fiktion im Sinne einer Realitätsverdoppelung. Der Gegensatz wird damit performativ, er hat das Ziel, die eigene Konstruktion »als ›natürlich‹, als ›gegeben‹, als ›Tatsache‹« auszugeben (Sasse und Zanetti 2017) und sich damit vor dem Hintergrund, dass »die Vorstellung vom Sonderstatus der realen Realität nach wie vor weit verbreitet ist« (Esposito 2007: 71), scheinbar unwiderlegbar ins Recht zu setzen.
Die Literaturwissenschaft ist angesichts ihrer langen Erfahrung mit Phänomenen der Realitätsverdoppelung bestens platziert, um im Verbund mit anderen Geisteswissenschaften der Komplexität der Dinge im Lichte dessen, was über sie behauptet wird, auf der Spur zu bleiben. Es ist allerdings eben diese Komplexität und (mindestens) Doppelbödigkeit der Phänomene zwischen operativem Sinn und den mit ihm verwobenen Bedeutungen, die eine Einspeisung derartiger Analysen in den breiteren öffentlichen Diskurs so schwierig macht, einen Diskurs, in dem es, wenn überhaupt, nur unter anderem um Wahrheiten geht. Stattdessen ist dieser Diskurs immer überformt von Machtansprüchen und/oder Befindlichkeiten, denen die Wissenschaft jenseits von technologischen Verwertbarkeiten wenig zu bieten hat, zumal ihre Einsichten sowohl in den Natur- als auch in den Geisteswissenschaften immer abstrakter werden und sich immer weiter von der Lebenswirklichkeit von Nicht-Wissenschaftlern entfernen. Die Rückkehr in den öffentlichen Raum führt dann häufig in die Banalisierung und Trivialisierung. Auf seinem soeben erschienenen Album Dark Matter erfasst der amerikanische Satiriker Randy Newman diese Entfremdung sehr schön in seinem einer Art Mini-Oper gleichenden achtminütigem Eröffnungstitel ›The Great Debate‹, in dem ein Conferencier Wissenschaftler in einem (sehr amerikanischen) Unterhaltungssetting dazu anhält, die Welt zu erklären:
NARRATOR: Dark matter, go ahead
SCIENTIST: Dark matter is out in space
It’s 75 % of everything
NARRATOR: Just a moment, sir
Do yourself a favor
Use our music
People like it
And your music is making people sick
No? Allright, it’s a free country, go ahead
Dark matter
What is it?
SCIENTIST: We don’t know what it is
But we think it’s everywhere
NARRATOR: I’d like to take a look at it
Can we get some down here?
SCIENTIST: Ha ha ha ha ha ha ha ha ha ha ha
Of course not!
NARRATOR: Let me get this straight
You don’t know what it is
You don’t know where it is
And we can’t get any
Put that to the one side
Let’s put the Lord, faith, eternity,
whatever on the other side
A show of hands?
[CHORUS]: I’ll take Jesus
I’ll take Jesus
I’ll take Jesus everytime […] (Newman 2017)
Angesichts dieser Entfremdung wird es in Zukunft darum gehen, die für die moderne Kultur konstitutiven Legitimationsmechanismen für Aussagen über die Wirklichkeit (Wissenschaft, Literatur, Massenmedien) aus der Welt des Buchdrucks in die digitalisierte Welt zu überführen. Dafür gibt es angesichts des selbstorganisierenden Charakters der (post-)modernen Kommunikation keine Patentrezepte, aber es gilt, eine kritische Beobachtungsperspektive zu wahren, von der aus sich abzeichnende Ordnungsmechanismen frühzeitig identifiziert und womöglich in ihrer Funktionalität unterstützt werden können. Eine medien- und kulturwissenschaftlich informierte Literaturwissenschaft erscheint dabei als Beobachtungs- und Reflexionsinstanz unverzichtbar.
Assheuer, Thomas (2017). ›Die Hippies sind schuld.‹ DIE ZEIT , 13 (23.März), 37.
Bachmann-Medick, Doris (2006). Cultural Turns: Neuorientierung in den Kulturwissenschaften . Reinbek: Rowohlt.
Beck, Ulrich (2016). Die Metamorphose der Welt . Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Berger, Peter L. und Thomas Luckmann (1966). The Social Construction of Reality: A Treatise in the Sociology of Knowledge . Garden City, NY: Anchor Books. Dt. Ausgabe: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit: Eine Theorie der Wissenssoziologie . Frankfurt am Main: Fischer, 1969.
Boroditzki, Lera (2012). ›Wie die Sprache das Denken formt.‹ Spektrum der Wissenschaft (15. März). http://www.spektrum.de/news/wie-die-sprache-das-denken-formt/1145804(31.07.2017).
Brandt, Christina (2009). ›Wissenschaftserzählungen: Narrative Strukuren im naturwissenschaftlichen Diskurs‹, in: Christian Klein und Matias Martinez (Hrsg.). Wirklichkeitserzählungen: Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens . Stuttgart: Metzler, 81–109.
Connor, Steven (2014). ›Spelling Things Out.‹ New Literary History , 45.2, 183–197.
Daston, Lorraine und Peter Galison (2007). Objektivität . Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Docherty, Thomas (1987). On Modern Authority: The Theory and Condition of Writing 1500 to the Present Day . Brighton: Harvester.
Esposito, Elena (2007). Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität . Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Ferrari, Maurizio (2014). Manifest des Neuen Realismus . Frankfurt am Main: Klostermann.
Glasersfeld, Ernst von (1996). Radikaler Kontruktivismus: Ideen, Ergebnisse, Probleme . Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Hampe, Michael (2016). ›Donald Trump: Katerstimmung bei den pubertären Theoretikern. Seitdem die Rechte postfaktisch geworden ist, hat die kulturwissenschaftliche Linke ein echtes Problem.‹ DIE ZEIT , 52 (15.Dezember). http://www.zeit.de/2016/52/kulturwissenschaft-theorie-die-linke-donald-trump-postfaktisch-rechtspopulismus(25.07.2017).
Harré, Rom (1990). ›Some Narrative Conventions of Scientific Discourse‹, in: Cristopher Nash (ed.). Narrative in Culture: The Uses of Storytelling in the Sciences, Philosophy, and Literature . London and New York: Routledge, 81–101.
Jauss, Hans Robert (1983). ›Der literarische Prozeß des Modernismus von Rousseau bis Adorno‹, in: Ludwig von Friedeburg und Jürgen Habermas (Hrsg.). Adorno-Konferenz . Frankfurt am Main: Suhrkamp, 95–130.
Köck, Wolfram Karl (2011). ›Von der Wahrheit zur Viablität: Ernst von Glasersfelds Radikaler Konstruktivismus‹, in: Bernhard Pörksen (Hrsg.). Schlüsselwerke des Konstruktivismus . Wiesbaden: VS, 375–396.
Küppers, Bernd-Olaf (2008). Nur Wissen kann Wissen beherrschen: Macht und Verantwortung der Wissenschaft . Köln: Fackelträger.
Luhmann, Niklas (1990). Die Wissenschaft der Gesellschaft . Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Luhmann, Niklas (1996). Die Realität der Massenmedien . 2., erweiterte Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Читать дальше