"Subjektive Theorien von Lehrerinnen und Lehrern im Kontext von Unterricht sind komplexe Aggregate bewusster und/oder unbewusster automatisierter Überzeugungen zu grundlegenden Fragen des Lehrens und Lernens, die sich in der Unterrichtsdurchführung widerspiegeln. Sie erfüllen – analog zu objektiven Theorien – die Funktion der Erklärung, Prognose und Technologie und besitzen eine entsprechende implizite Argumentationsstruktur." (Groeben; Wahl; Schlee & Scheele 1988: 17f.)
Subjektive Theorien sind in der Regel implizit, das heißt, dass eine Person auf bestimmte Annahmen nicht bewusst zurückgreift, um ein Verhalten oder eine Situation zu erklären. Vielmehr handelt es sich um unbewusste Prozesse, die prinzipiell ins Bewusstsein transportiert werden können und sich mit Hilfe verschiedener Methoden wie beispielsweise Interviews erschließen und rekonstruieren lassen.
„Subjektive Theorien über Fremdsprachenlernen sind komplexe Wissenskonstrukte, die der/die einzelne aus der persönlichen Erfahrung im Umgang mit Fremdsprachen in und außerhalb der Schule aufbaut. Sie stellen subjektiv wahrgenommene und relevante Aspekte des Fremdsprachenlernens in einen individuellen Sinnzusammenhang. […] Durch die mit der Verbalisierung einhergehende Bewußtmachung haben subjektive Theorien das Potential, in nachfolgende fremdsprachliche Lern- und Anwendungssituationen hineinzuwirken.“ (Kallenbach 1996: 49f.)
Kallenbach betont die Möglichkeit der Versprachlichung und der damit einhergehenden Bewusstmachung, da subjektive Theorien – wie Repräsentationen und Einstellungen – nur verändert werden können, wenn man sich ihrer bewusst ist. Auf den Fremdsprachenunterricht übertragen bedeutet dies, dass die Reflexionen der Lehrenden zur Erklärung und Verbesserung des Fremdsprachenlernens in das Zentrum der Forschungsbemühungen gerückt werden (Groeben & Scheele 1998: 14; Caspari 2014: 20f). Drei Gegenstandsbereiche der subjektiv-theoretischen Reflexionen lassen sich nach Groeben und Scheele (1998) unterscheiden:
1 Reflexionen über die Sprache/n;
2 Reflexionen über das Lernen;
3 Reflexionen über das Lehren bzw. den Unterricht (vgl. Groeben & Scheele 1998: 14)
Die Reflexionen der Lehrenden zum Lernen und Unterrichten dürften schon die Theorien der Lernenden über ihr eigenes Lernen und das Lehren der Unterrichtspersonen berücksichtigen und mitreflektieren, während es andersherum nicht zu vermuten ist (Groeben & Scheele 1998: 15). Unterrichtsplanung bleibt den Schülerinnen und Schülern in aller Regel verborgen. Deswegen impliziert die Thematisierung der Einstellungen Fremdsprachenlehrender indirekt auch die Berücksichtigung der Einstellungen der Lernenden zur Sprache, zum Lernen und zum Unterricht (Ebd.). In diesem Zusammenhang spricht Theresa Venus (2015) von „Einstellungen als individuelle Lernvariable“.
Wie lässt sich das Konstrukt definieren? Subjektive Theorien oder Einstellungen werden als
„[…] Aggregate von prinzipiell aktualisierbaren Kognitionen, in denen sich die subjektive Sichtweise des Erlebens und Handelns niederschlägt.“ (Mandl 1998: 98)
bezeichnet, die sich auf die Selbst- und Weltsicht beziehen.
3.3 Einstellungen und Unterrichtshandeln
Die Signifikanz der Einstellungen von Lehrkräften wird vor allem im Zusammenhang mit deren beruflichem Alltagshandeln erkennbar und ihre Bedeutung verweist auf Kognitionen der Selbst- und Weltsicht, mit anderen Worten:
Denkinhalte und -strukturen, die auf die eigene Person, auf andere Individuen und auch „auf alle übrigen belebten und unbelebten Objekte unserer Welt“ (Groeben & Scheele 1998: 15) gerichtet sind. Subjektive Theorien werden seither auch als Oberbegriff zu Konzepten wie Alltagstheorie, Laien-Theorie und naive, implizite oder intuitive Theorie (Grotjahn 1998: 33) benutzt. Dabei hat das Konstrukt „Subjektive Theorie“ eine recht präzise Bedeutung und ist theoretisch hinreichend verankert, so Rüdiger Grotjahn: es wird als strukturell und funktional analog zum Begriff der objektiv-wissenschaftlichen Theorie expliziert (vgl. Grotjahn 1998: 34)1.
Matthias Trautmann (2005) stellt die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Überzeugungen ( beliefs ) und der Unterrichtspraxis und will die Forschungen in diesem Bereich für den Englischunterricht nutzbar machen.
„Sucht man statt dessen nach empirischen Erklärungsansätzen, warum Lehrende ihre Unterrichtspraxis in einer bestimmten Art und Weise gestalten oder wovon das Lernen von Schülerinnen und Schülern beeinflusst wird, dann stößt man in der aktuellen Literatur auf das psychologisch inspirierte Konzept der Überzeugungen (beliefs). Überzeugungen gelten als Filter für die Wahrnehmung der Fachinhalte, für die Zuweisung von Bedeutung sowie für Verstehen, Motivation und Leistung.“ (Trautmann 2005: 39; Hervorhebungen im Text)
Am Beispiel zweier Englischlehrender zeigt Trautmann deren Einstellungen zum Grammatiklernen und unterscheidet dabei einen Ansatz den man deklaratives Wissen nennen könnte und einen weiteren, der sich aus der individuellen Sprachlernbiografie speist. Allerdings weist er zu Recht auf die Diskrepanz zwischen Überzeugungen und tatsächlichem Unterrichtshandeln hin.
„Die Erforschung von language learning beliefs stellt einen Versuch dar, Einflussfaktoren auf das Lehren und Lernen von Fremdsprachen zu identifizieren und einer reflexiven Bearbeitung zugänglich zu machen. So plausibel es in der Regel erscheint, dass Überzeugungen sich in irgendeiner Form auf das Handeln auswirken, so sehr ist doch Vorsicht angebracht, hier einen allzu direkten Zusammenhang („handlungsleitend“) zu konstruieren […]. An Phänomenen wie der „aufgesetzten“ Überzeugung, der „bloßen“ Überzeugung und an Routinen wird deutlich, dass Vorstellungen darüber, wie man handelt oder handeln sollte, nicht mit dem tatsächlichen Handeln übereinstimmen müssen, oder dass ‚Handeln’ auch nichtreflexiv stattfinden kann.“ (Trautmann 2005: 49; Hervorhebungen im Text)
Die Beziehungen zwischen Einstellungen und Handlungen werden in der deutschen fachdidaktischen Literatur allerdings keineswegs so kausal verbunden gesehen, worauf Caspari (2016) hinweist:
„Aus Arbeiten, die mithilfe unterschiedlicher Zugänge eine umfassende Rekonstruktion der subjektiven Sichtweisen von Lehrkräften unternehmen, wird deutlich, dass es sich dabei um hoch komplexe und heterogene Konstrukte handelt, die jeweils von zentralen Überzeugungen strukturiert werden. […] Obwohl diese Überzeugungen das unterrichtliche Handeln nachweislich beeinflussen, ist ihre Aussagekraft aufgrund situativer und sozial wie individuell unbewusster Faktoren begrenzt.“ (Caspari 2016b: 307f.)
Der Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten ist in der Forschung nicht eindeutig. Das, meines Erachtens, unauflösliche Dilemma besteht darin, dass Einstellungen nicht zwingend zu einem bestimmten Verhalten führen und somit auch nicht retrospektiv erhoben werden können, indem aus dem Verhalten auf die Einstellungen zu schließen sei. Gleiches gilt aber eben auch in der anderen Richtung, da sich aus Einstellungen nicht zwangsläufig eine bestimmte Praxis ableiten lässt. In diesem Sinne ist die Verbindung von croyances und comportements wie sie von Véronique Castellotti und Danièle Moore (2002) dargestellt werden, kritisch zu sehen:
« Les informations dont dispose un individu sur un objet particulier constituent ainsi son stock de croyances sur l’objet. Ces croyances peuvent être motivées par des informations objectives, comme elles peuvent s’appuyer sur des préjugés ou des stéréotypes. Elles peuvent aussi être modifiées et évoluer. Les attitudes organisent des conduites et des comportements plus ou moins stables, mais ne peuvent pas être directement observées. Elles sont généralement associées et évaluées par rapport aux comportements qu’elles génèrent. » (Castellotti & Moore 2002: 7f.; Hervorhebungen im Text)
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