III. Ino-Themisto-Version und Zwischenstadium
Nur Hygin berichtet den Mythos der I-T-Version. Nonnos aus Panopolis spielt auf diese Version lediglich an und sowohl Athenaios wie die Anonymi Paradoxographi Anonymi ParadoxographiAnon.Par. 1–8 Westermann weisen aufgrund des ruinierten Hauses von Athamas auf sie hin.
Von ThemistoThemisto wird immer ein negatives Bild gezeichnet; sie wird als dumm bzw. töricht dargestellt, denn sie wird von InoIno (oder einer Dienerin) betrogen; sie tötet ihre eigenen Kinder; sie ruiniert Athamas’ Haus bzw. veranlasst den Wahnsinn des AiolidAioliden. Man findet viele Autoren, die Themisto bzw. ihre Kinder erwähnen, sie erzählen jedoch nicht den Kern dieser Version, sondern geben nur eine etymologische Deutung des geographischen Ortsnamens.
Schließlich findet sich eine Reihen von Texten – viele von ihnen beziehen sich auf AlosAlos bzw. auf die athamantische Ebene, wie z.B., Apollodor, Herodianos, Stephanos von Byzanz, die Etymologica Geniunum, Magnum und Symeoni und Eustathios –, die von Athamas’ Herumlaufen reden; dieses Motiv stellt möglicherweise ein Zwischenstadium der I-L-M und I-T Versionen dar .
Ino-Phrixos-Helle-Version Teil 1
Krappe meint, dass Athamas’ Mythos in dieser Version – er kennzeichnet sie mit den Figuren von Phrixos und dem goldenen Vlies – das Ergebnis des Zusammenschlusses von zwei Elementen ist: „L’ancienne coutume de sacrifier le roi ou le fils aîné du roi en temps de famine, et un type de conte de fée bien connu, qui a été relevé dans presque tous les pays européens “ 1. Weiter unten wird diese Behauptung nachgeprüft. Da von dieser Version nur sehr fragmentarische Texte erhalten sind, ist folgende Behauptung dieses Gelehrten m.E. etwas übertrieben: „[Il y a une] manque déplorable de documents antérieurs au temps de Phérécyde“2. Es ist sogar insofern falsch, als sich Andeutungen auf gewisse Bestandteile dieser Version bei Hesiod, Simonides, Hekataios und Akusilaos finden.
In Bezug auf die magischen und volkstümlichen Hinweise in dieser Version glauben Krappe und andere Forscher, wie z.B., Friedländer, dass Feenmärchen diese Geschichte sehr stark beeinflusst und diese Version wesentlich modifiziert haben. Friedländer spricht sogar explizit von ‚MärchenmotivMärchen‘3, wie z.B. dem der gedörrten Samen, der kleinen Geschwister, der grausamen StiefmutterStiefmutter, usw.; Krappe schließt kategorisch aus: „[Le] mythe de Phrixos a été changé sous l’influence du conte de fée“4.
In der I-P-H-Version kann man in der mythischen Erzählung drei wichtige geographische Orte erkennen: HellasHellas, das MeerMeer zwischen Griechenland und KolchisKolchis und Kolchis selbst. In Hellas findet Inos IntrigeIntrige statt, der erste Grund von Phrixos’ (und Helles) OpferOpfer und die letzte Ursache der Flucht der Kinder von NepheleNephele auf dem rettenden Widder. In dieser ersten Etappe spielt Phrixos die Hauptrolle, entweder als Opfer der Intrige oder als Förderer und Vollstrecker der Flucht auf dem Widder. Die SeeSee spielt in der zweiten Etappe dieser Version eine Rolle, sei es nun, dass das Tier auf dem Meer schwimmt oder über die See fliegt. Die Hauptfigur ist zweifellos Helle, Phrixos’ Schwester, deren SturzSturz den Namen ‚HellespontHellespont‘ kreiert. In Kolchis findet der letzte Teil dieser Version statt, nämlich die AbenteuerAbenteuer von Phrixos in diesem entfernten Land. Ohne den Athamantiden gering zu schätzen, ist der Protagonist dieser Etappe der Widder, dessen Opfer bzw. Enthäuten dem ArgonautenArgonautenzug zugrunde liegt und dessen KatasterismosKatasterismos ihn mit dem Sternzeichen des Widders ( Aries ) identifiziert.
Nun sollen diese drei Schlüsselfiguren untersucht werden: Phrixos, der Widder und Helle. Mit ihnen kann man auch zugleich die wichtigsten Themen dieser Version analysieren.
I. PhrixosPhrixos
I.1 Einführung
Es ist noch einmal zu betonen, dass das Ziel dieses Buches nicht die ausführliche Untersuchung der Gestalt des Phrixos oder der Figuren auf den folgenden Seiten ist, sondern die detaillierte Analyse und Erörterung der Figur von Athamas. Es ist aber unmöglich, den AiolidAioliden und seinen MythosMythos völlig zu verstehen, ohne ihn mit all den Personen seiner SageSage zu kontextualisieren. Alle diese Figuren sollen deshalb analysiert werden, um ein möglichst vollständiges Bild des Mythos von Athamas skizzieren zu können. Infolgedessen sollen alle diese Gestalten lediglich als Hauptbestandteile der mythischen Erzählung verstanden werden, deren Analyse nur in Verbindung mit der Hauptfigur Athamas bzw. mit den wichtigsten Themen dieses Mythos, in denen sie eine hervorragende Rolle spielen, durchgeführt wird.
Im Hinblick auf Phrixos gibt es vier Schlüsselmotive, und keines hat mit dem ‚Wort‘ Athamas zu tun: das Thema der StiefmutterStiefmutter, den OpferOpferaltar, den rettenden Widder und das aufnehmende Land von KolchisKolchis. Das erste dieser Motive, das der Stiefmutter, bildet den Grund des zweiten, nämlich das der Opferung auf dem Opferaltar. Im ersten Fall werden die m.E. zwei Arten von ‚Stiefmüttern‘ im Mythos von Athamas untersucht; hier werden auch die Ursache und die Weise der IntrigeIntrige gegen Phrixos (und manchmal auch gegen Helle) analysiert. Im zweiten Fall ist von der Opferung im Allgemeinen und von den Menschenopfern in HellasHellas die Rede. Das dritte Thema, der Widder, stellt ein grundlegendes Element dieser Tradition dar, weswegen es im nächsten Absatz der I-P-H-Version ausführlicher erforscht wird. Das vierte Thema wird in der dritten Abteilung dieses Absatzes von Phrixos untersucht.
Im Grunde genommen werden an dieser Stelle die Themen der Stiefmutter, der MenschenopferMenschenopfer und der AbenteuerAbenteuer von Phrixos in KolchisKolchis analysiert.
I.2 Das Thema des StiefmutterStiefmutters
Das Argument der grausamen Stiefmutter ist sehr alt und findet sich in allen Literaturen der Welt. Sprichwörtlich ist die praktische Lieblosigkeit zwischen Stiefmüttern und Stiefkindern. Einige Beispiele können dafür Zeugnis ablegen1: Hdt. IV 154HerodotHdt. IV 154; Is. Pro Euph IsaiosPro Euph. V. V; Apul. Met ApuleiusMet. X 5. X 5. In Tac. Ann . XII 2TacitusAnn. XII 2 spricht man von nouercalia odia , einem derMythographi VaticaniM.V. I 23 M.V. I 23 sehr ähnlichen Ausdruck: nouercali odio . Dieser HassHass wird stark konkretisiert in Sen. Contr . IV 6SenecaContr. IV 6 : nouercalibus oculis aliquem intueri .
Das deutlichste Beispiel in den Texten über Athamas’ Mythos ist das Frg. 36 KannichtEuripidesPhrixos A-B:Frg. 36 Kannicht, das auf einen der zwei Phrixos von Euripides zurückgeführt wird; InoIno hätte es aussprechen sollen. Das Frg. 4 Kannicht, von Aigeus EuripidesAigeus:Frg. 4 Kannicht, ist diesbezüglich auch sehr bedeutsam. McHardy meint, Medea wäre in diesem Werk „the hostile stepmother attempting to persuade her husband Aegeus to murder his unrecognized son, Theseus“2.
Fontenrose stellt fest: „The second wife and the other woman have been favorite themes of story“3. Diese zweite Frau hat immer einen negativen Charakter, denn sie wird ipso facto zur Stiefmutter der Kinder der früheren Ehefrau, und Stiefmütter haben keinen guten Ruf4. Als Muster gilt nicht nur die Legende von Athamas, sondern auch jene von Aëdon-Prokne, in der Tereus als Ehebrecher – genauso wie Athamas in Bezug auf NepheleNephele bei Philostephanos ( FHG PhilostephanosPhilosteph.Hist. (FHG) 37 37) – oder als ein Mann, der zweimal heiratet, vorkommt.
Der Ruf der Stiefmütter ist so negativ, dass Alkestis sich freiwilligfreiwillig statt ihres Mannes dem Tod hingibt, wenn nur Admetos – immer in Euripides’ Version – keine zweite Ehe eingeht; eigentlich sorgt sie sich um ihre Kinder: „È per essi (più che per gelosia), infatti, che chiede ad Admeto di non introdurre in casa una matrigna; e per la loro sorte futura che essa trema“5.
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