Zwei Jahrzehnte nach der kommunikativen Wendekommt Frank G. Königs in Anlehnung an Hans-Eberhard Piephos proklamierter „postkommunikativer Phase”71 nach einer Bestandsaufnahme der Forschungen in der Fremdsprachendidaktik zum Ergebnis, dass diese Neuentwicklungen als Belege für eine „Veränderung des Verständnisses von fremdsprachenunterrichtlicher Kommunikation und natürlich auch von fremdsprachenunterrichtlich bezogener kommunikativer Kompetenz” interpretiert werden können.72 Königs prägt den Begriff „neokommunikativ”, der diese Neuentwicklungen treffender darstelle als „postkommunikativ”.73 Parallel zu Frank G. Königs, dessen Aufsatz in der wenig verbreiteten chilenischen Zeitschrift Taller de letras erschien und deutschlandweit nur in der UB Frankfurt konsultierbar ist, bezeichnete auch Marcus Reinfried diese unterrichtsmethodischen Strömungen in seiner Vorlesung über Methodenkonzeptionen an der damaligen PH Erfurt als „neokommunikativ“.74 Dieser Paradigmenwechselhin zum neokommunikativen Fremdsprachenunterrichtwurde von Reinfried nach einer empirischen Auswertung der Sachregister der Bibliographie Moderner Fremdsprachenunterricht aus drei Jahrzehnten analysiert75, wobei er daraus folgende fünf unterrichtsmethodische Leitprinzipien abgeleitet hat:76
(1) Handlungsorientierung(mit den Unterrichtsformen kooperatives Lernen, kreative Arbeitsformen und Lernen durch Lehren); (2) fächerübergreifender Unterricht(dem der Projektunterricht, die Mehrsprachigkeitsdidaktik und der bilinguale Unterricht zugeordnet werden); (3) ganzheitliches Lernen77 (mit Inhaltsorientierung sowie authentischem und inzidentellem, d. h. beiläufigem Lernen); (4) Lerner- und (5) Prozessorientierung(mit der Individualisierung des Lernens, dem autonomen Lernen und dem reflektierten Einsatz von Lerntechniken).78
Zur Mehrsprachigkeitsdidaktik erschien 1998 ein von Franz-Joseph Meißner und Marcus Reinfried herausgegebener umfangreicher Sammelband.79 Ein Jahrzehnt später verfasste Franz-Joseph Meißner darüber hinaus einen grundlegenden historischen Aufsatz, der sich erstmals der diachronen Perspektive der Mehrsprachigkeitsdidaktik widmete und deren historischen Vorläufern unter semasiologischen und onomasiologischen Aspekten nachging.80
In mehreren Bänden der von Gabriele Blell und Rita Kupetz herausgegebenen Reihe Fremdsprachendidaktik inhalts- und lernerorientiert werden intermediale Korrelationen, d. h. Formen medium interner Verbindungmit der Fremdsprache und medium externer Kombinationvon Musik und Fremdsprachethematisiert.81 Die kommunikativen, sprachlichen und kulturellen Interaktionsmöglichkeitender Neuen Medienzeigt Laurenz Volkmann82 auf in seinem Artikel Überlegungen zum Lernziel Medienkompetenz 83 am Beispiel Musikvideoclips . Neben der fremdsprachlich kommunikativenund der interkulturellen Kompetenzplädiert Volkmann für eine semiotischeund kulturkritische Kompetenz.84 Die zentrale Rolle von Musikvideoclips im Französischunterrichtzeigt sich auch daran, dass Andreas Nieweler 2011 seine Reihe Französisch Innovativ mit dem Band Musik und Videoclips eröffnet.85 In diesem Zusammenhang verweist Nieweler auf das didaktische Potentialder Neuen Medien, insbesondere des Internets:86
Mit dem vorliegenden Band werden gezielt Kompetenzen gelehrtund erworben.Die Schüler lernen, Chansons, Liederund Musikvideoclips87 zu analysierenund produktivzu nutzen. Sie tauchen dabei ein in eine landeskundlich relevante Vielfalt an Texten und Medienaus dem frankophonen Sprachraumund erweitern ihre Kenntnisse. Das Internetist eine reichhaltige Informationsquellefür Musikund Künstler. Entsprechende Hinweise für Recherchen werden in den Beiträgen gegeben.88
Die Auswahl der Beiträge zeigt die methodische Vielfalt der thematischen Aspekte,89 die sich mit den Themenheften der 2010er Jahre der Zeitschrift Der fremdsprachliche Unterricht – Französisch 90 größtenteils decken.91
Der wachsenden Bedeutungnicht nur von Chansonsbzw. Liedern, sondern von Musik im Fremdsprachenunterrichtwird dadurch Rechnung getragen, dass die Herausgeberin Carola Surkamp mit Gabriele Blells Beitrag einen separaten Lexikoneintragdiesem Stichwort im Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik widmet.92 Blell fasst folgende didaktische Grundlagenund Prinzipien für den Einsatz von Musik im Fremdsprachenunterrichtzusammen:
(1) Prozessorientierung als Konzept konstruktivistischen Lernens zur Anregung von Sprach- und Sinnbildung sowie zum ästhetischen Lernen; (2) ganzheitlich-handelndes, schülerzentriertes Lernen(Lernerorientierung), bei dem die Lehrperson Monitor, Beraterin sowie aktiv Beteiligte ist. Handlungsorientierung ist dabei das zentrale verbindende konzeptionell-didaktische Prinzip der Fremdsprachendidaktik und der angrenzenden Musikpädagogik; (3) Öffnung des Lernortes Schule: Projektorientiertes Lernen (z. B. Musikwerkstatt) oder Hörspaziergänge (Lehr- und Lernort, Projektarbeit); (4) interkulturelles Lernen zur Entdeckung fremder akustischer Kulturen.93
Michaela Sambanis untersucht in ihrem 2013 bei Narr erschienenen Buch Fremdsprachenunterricht und Neurowissenschaften 94 u. a. die Interaktionen zwischen Musik, Sprache und Bewegung, wobei sie nach einem kurzen historischen Abriss des „bewegten Lernens” auch auf Bewegungsliedereingeht:
Lehrkräfte, die in der Grundschule Englisch oder Französisch unterrichten, verfügen in der Regel über ein Repertoire an bewegungsbasierten Aktivitäten. Sie singen mit ihrer Klasse Bewegungslieder(z. B. Head and shoulders, knees and toes / Tête, épaules et jambes et pieds ) oder verbinden Lieder mit Tanzbewegungen.95
Im Basisheft Praxis Fremdsprachenunterricht 3 / 2015 mit dem Titel Musik widmet sich Sambanis unter dem Abschnitt Grundsätzliches der Wirkung von Musikauf das Fremdsprachenlernen.96 Engelbert Thaler untersucht die Ziele eines musikbasierten Fremdsprachenunterrichts (MBF)und orientiert sich in seinem Artikel Musikbasierter Fremdsprachenunterricht 97 auf die Bildungsstandards, d. h. die fünf Bereiche der Abiturstandards:
1 Funktionale kommunikative Kompetenz (Hör- / Hörsehverstehen, z. B. Dekodierung eines Popsongs […]; Leseverstehen, z. B. kursorisches Lesen einer Star-Biographie; Sprechen, z. B. kritische Diskussion des Musikbetriebs; Schreiben, z. B. Verfassen einer E-Mail an Band-Mitglieder; Sprachmitteln, z. B. kontrastive Analyse von Originaltext und deutscher Übersetzung; Verfügen über sprachliche Mittel, z. B. Ausspracheschulung und Förderung des Sprachflusses durch Singen oder Einführung einer grammatischen Struktur.
2 Interkulturelle kommunikative Kompetenz (z. B. Perspektivenwechsel durch Rollenspiel mit einem amerikanischen Hip-Hop-Star).
3 Text- und Medienkompetenz (z. B. Analyse typischer Merkmale eines Rap-Musikvideos […].
4 Sprachbewusstheit (z. B. Sensibilisierung für kolloquiale Varianten von Songtexten […].
Читать дальше