Catanusi ist sich sicher, dass die neue, ausführlichere Ausgabe eine noch bessere Annahme finden wird, da er noch bekanntere und stärker verbreitete Weisen ausgewählt hat:
[…] j’ay choisi des Airs qui ont le plus cours, & que tout le monde sçait. Si vne premiere impression moins correcte & beaucoup moins ample que celle-cy a esté agreable à tant de gens, n’ay-je pas droit d’attendre que celle-cy sera encore mieux receuë? Quoy qu’il en arriue, i’ay eu intention de plaire en instruisant, & cette intention merite d’estre considérée.151
Catanusis Aphorismus des „plaire en instruisant“ am Schluss der Zueignung wird ein Jahrhundert später wieder aufgenommen und variiert zum Motto von Barthélémys Cantatrice grammairienne „En instruisant, cherchons à plaire.“
In der Spätphase der Damengrammatiken für (deutsche) Lernerinnen des Italienischen,also fast zwei Jahrhunderte nach Antonini und Catanusi, taucht der Topos der Affinität des „beau sexe“ zum Gesang152 bei Karl Ludwig Kannegießerwieder auf: „Da ich bei der Auswahl der Lesestuecke sorgsam zu Werke gegangen bin, so darf ich meine Arbeit auch dem weiblichen Geschlecht empfehlen, dem zum Behuf des Gesangeseinige Kenntniß der italienischen Sprache fast unentbehrlich ist.“153
Kannegießer folgt dem von Marcus Reinfried beschriebenen didaktischen Grundsatz Vom Eigenen zum Fremden :154
Dem Lesebuche geht eine kurze Geschichte der italienischen Literatur voran, auf welche ich bei den Lesestücken mich bisweilen bezogen habe. In den letzteren ist neben dem Fortgang vom Leichteren zum Schwereren155 die moeglichste Mannigfaltigkeit bezweckt worden. Daher finden sich zuerst kleine Saetze, Anekdoten, Briefchen, kleinere und groeßere Erzaehlungen und Novellen, Schilderungen, Beschreibungen, sodann Abhandlungen, ein bedeutendes Stueck aus einem der neuesten Romane, ein kurzes Lustspiel, und endlich als Vorschmack der Poesie einige kurze Stellen aus den bedeutendsten Dichtern.156
Diese didaktische Progressionspiegelt sich auch im Lesebuch-Abschnitt Poesie wider. Nach (einfacheren) Gedichten werden (komplexe) Opernauszüge abgedruckt, z. B. Oh che felici pianti! aus Metastasis Opern und O bella età dell’ oro aus den Amyntas des Torquato Tasso.157 Kannegießer gibt nur vereinzelte Vokabelhilfen und weist dem lauten Leseneine wichtige Rolle zu. Er kann in diesem Sinne als einer der Vorläufer der direkten Methodeangesehen werden.
II. Der Musikeinsatz im Französischunterricht im Rahmen der neusprachlichen Reformbewegung
II. 1 Die Hochzeit der Grammatik-Übersetzungs-Methode und die Folgen für den Musikeinsatz
Der Einsatz von musischen Elementen im Französischunterricht wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts zugunsten der Grammatik-Übersetzungs-Methode weitgehend zurückgedrängt, wobei die zentrale Bedeutung der Grammatik durch die formale Bildungstheorie gerechtfertigt wurde.1 Parallel dazu etablierte sich im Gegensatz zum holistischen Einsprachigkeitsprinzipbei den Philanthropen2 und den Grammaires des Dames 3 eine konsequente Zweisprachigkeit. Das zeigte sich im zeitgenössischen Französischunterricht darin, dass hauptsächlich übersetzt wurde. Marcus Reinfried fasst dieses Spannungsfeldfolgendermaßen zusammen:
Das methodische Spektrumzwischen der kognitiven Durchdringung der Zielspracheund der ganzheitlichen Sprachpräsentationkonstituierte sich nun in einer neuen Weise: Die synthetische Grammatik-Übersetzungsmethode, die es bereits in vorangegangenen Jahrhunderten gegeben hatte, bildete nach wie vor (in verbesserter Form) den einen Eckpfeiler des Spektrums. Die sogenannte „analytische Methode“, eine streng wörtliche Übersetzungsmethode, bildete nun den neuen Eckpfeiler; sie steht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland für den ganzheitlichen Pol beim schulischen Fremdsprachenlernen.4
Die beiden bekanntesten Vertreter der synthetischen Grammatik-Übersetzungs-Methodewaren die beiden Lehrwerkautoren Johann Valentin Meidinger5 und Carl Ploetz.6 Diese Methode kann als klassisch-deduktiv7 bezeichnet werden und arbeitet vor allem mit Einzelsätzen. Im Gegensatz zu Meidinger führte Ploetz bereits im frühen Anfangsunterricht Sätze in der Zielsprache sowie Übersetzungen vom Französischen ins Deutsche ein. Ploetz folgte dem didaktischen Grundsatz vom Einfachen zum Komplexen, der das Prinzip Vom Eigenen zum Fremden ergänzt.8 Dadurch ergibt sich eine didaktische Progressionder Lernziele, wobei Ploetz auch die Aussprache9 unter seinen Grammatikregeln berücksichtigte. Demgegenüber war die „analytische“10 Übersetzungsmethodevon James Hamilton11 und Joseph Jacotot12 holistisch, nutzte authentische Texteund folgte einer intuitiven Lernkonzeption:13
Cette méthode est – avant tout dans l’enseignement de départ – déductive, atomiste, et utilise majoritairement des phrases indépendantes. À l’opposé, la méthode de traduction dite analytique d’Hamilton qui a trouvé un grand écho en Allemagne est de type holistique; elle repose sur une conception d’acquisition intuitive et fait usage de textes authentiques.14
Abb. 12:
Charles TOUSSAINT / Johann Gustav Ludwig LANGENSCHEIDT, Methode Toussaint-Langenscheidt. Brieflicher Sprach- (und Sprech-) Unterricht für das Selbststudium der französischen Sprache. Berlin: Langenscheidt 1903, S. 34.
Ihre methodischen Konzeptionen, die beide Autoren unabhängig voneinander entwickelten, wurden als Variationen ein und derselben Methodeangesehen. Das trifft vor allem für den Elementarunterrichtzu. Hier wurden von Anfang an längere authentische Texte übersetzt. Die Übersetzungen erfolgten satz- oder abschnittsweise sowohl von der Fremdsprache in die Muttersprache ( version ) als auch von der Muttersprache in die Fremdsprache ( thème ). Diese Rückübersetzung (Retroversion) diente der häuslichen Nachbereitung der Schüler. Als Vorbild diente die Interlinearversion, wobei der französische Teil des Textes mithilfe eines Kartons abgedeckt und dann zeilenweise wieder aufgedeckt wurde. Diese Technik wurde auch in der Methode Toussaint-Langenscheidt15 angewendet. Im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht vergrößern sich dann allerdings die Unterschiede zwischen Hamiltons und Jacotots Methode: Bei Jacotot läuft das Unterrichtsgesprächmeist einsprachigund stärker inhaltsbezogenab als bei Hamilton, wobei der Transfer zur Eigentätigkeit der Schülereine wichtige Rolle spielt. Hamilton und Jacotot
beobachteten bei ihrer Methode den naturgemäßen Gang, wie der Fremde in einem fremden Lande oder die Kinder eine Sprache erlernen […], daß sie nämlich beide
1 dem Schüler gleich von Anfang an die Sprache als eine lebendige, Gedanken enthaltende vorführen, also lauter sprachganze Sätze geben, weil die Sprache eher als die Grammatik, das Concrete eher als die Abstraction, die Praxis eher als die Theorie ist; und daß sie
2 den Schüler die Gesetze der fremden Sprache möglichst selbständig erkennen und auffinden lassen, weil dieß für ihn […] förderlicher sei, als wenn er sich gleich von Anfang an mit dem abstracten Inhalte einer Grammatik herumzuschlagen habe und weil dadurch das ganze Verhältniß des Lehrers zu den Schülern heiterer, frischer und unmittelbarer werde.16
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