Um den Dames diese liebliche Sprache näherzubringen, teilt Catanusi seine Instruction in vier Bücher und zwei Anhänge ein, in denen Fragen zur Morphologie, Phonetik, Grammatik, Übersetzung und composition besprochen werden. Im vierten Buch Des moyens pour faciliter les Dames à parler 136 werden im Chapitre I Regeln zur Morphologie vorgestellt, im Chapitre II Des regles pour accomoder les paroles Françoises en Italien, sans Dictionnaire , Chapitre III behandelt Des Proverbes Italiens les plus choisis und Chapitre IV hat Des discours & manieres de parler Italien zum Inhalt. Das (letzte) Chapitre V präsentiert Des chansons Italiennes accomodées aux airs François pour faciliter aux Dames le chant italien , gefolgt von einem Traité de la Poésie italienne.
Die Überschrift und die Beispiele des fünften Kapitels zeigen, dass durch die Kontrafakturtechnikbekannte französische Melodien in einen italienischen Kultur- und Sprachkontexttransferiert werden. Im Gegensatz zu den französischen Grammaires de Dames von Barthélémy, Simonnin und Warchouf, bei denen die Sprach-Arbeit an Orthographie und Phonetik in der Muttersprache Französisch im Mittelpunktstand, handelt es sich bei Catanusi um den Kontext von französischen Lernerinnen, die das Italienische als Fremdspracheerlernen sollen. Der Einsatz von bekannten Liedernund deren Anwendung auf den italienischen Kontexterfolgt in einem Kulturtransfer,bei denen eigene Strukturen an neue Lerninhalte angepasstwerden. Dieser Prozess der Akkomodationwurde bereits von Catanusi so benannt.137 Der Prozess der Assimilation des Fremden an das Eigene 138 wird im Rahmen der Kulturkunde noch eine wichtige Rolle spielen.
Im speziell auf den Liedeinsatz konzipierten Chapitre V kontextualisiert Catanusi die Verwendung der chansons italiennes. Die Erklärungen weisen Parallelen zur Herausgeberfiktion bei mehreren Grammaires des Dames auf. Die Liedersammlung entstand auf Wunsch einer seiner (adeligen) Schülerinnen, einer Prinzessin, für die er dank ihres schönen Gesangs weitere Lieder komponierte und darauf die Übersetzungen anfertigte. Mit dem Zitat soll auch die Praxisrelevanz seiner Liedersammlung unterstrichen werden: Es ist ein Werk, das nützlich ist, das aus der Praxis stammt und für die Praxis bestimmt ist.
Ayant eu l’honneur d’enseigner l’Italien à quelque Princesse auec assés de succez, sa curiosité la porta à me demander des airs Italiens; Parce qu’elle chantoit fort bien, ie luy fis les chansons, & les Traductions, qui suiuent de quelques airs François en Italien, dont elle fut si satisfaite, qu’elle m’ordonna de luy en faire d’autres sur d’autres airs. I’ay bien uoulu, Mesdames, uous en faire part, croyant, que cela uous poura estre agreable,& de quelque diuertissement, pour estre nouueau,& galant.139
Das Chapitre ist in Reimform verfasst und resümiert den Aufbau der folgenden Liedersammlung: Auf eine allseits bekannte Melodie ( Sur le chant ) wird ein neuer (italienischer) Textin Kontrafakturtechnik gesungen. Dabei schließt diese italienische (fremdsprachliche, von Catanusi übersetzte und in Reimform gebrachte, also didaktisierte) Version direkt an den französischen Vers an.140
Sur le chant, Dans le siecle où nous sommes,
Toutes les choses ont leurs temps, 141
Tanto se’, bella, Clori,
Quanto freschezz’ e’ntè:
Vecchia che se’, dimori
Ogetto uil, affé,
Se se’ fanciull’ accorta
Godi, mentr’ il comporta
Bellez’, etat’, e fé,
Deh, che pazzi’ é questo
Honor, che ti ritien;
Giache beltà si presto,
Si perde, e piu non uien,
Sciocc’ hor che puo’, uon525 vuoi
Vn tempo uorrà’ poi,
Che nessun’ hará ben.526
Du bist so schön, Clori,
So viel Frische ist in Dir.
Wenn Du alt bist, bleibst Du
In der Tat ein wertloses Objekt.
Wenn Du ein schlaues, aufgewecktes Mädchen bist,
Dann genieße, solange das noch geht,
Deine Schönheit, Jugend und das in Dich gesetzte Vertrauen.
Oh weh, wie dumm ist doch falsch verstandene Ehre,
die Dich zurückhält / aufhält,
Denn die Schönheit vergeht so schnell und kehrt nie wieder zurück. Was Du jetzt tun könntest, willst Du nicht zulassen.
Dumm ist es, wenn Du nicht willst, wenn Du kannst.
Und eines Tages wirst Du es zwar wollen,
Wenn niemand davon Gutes haben wird.
142143Der Liedteilkann auch als Praxisteilverstanden werden, bei dem die in den vorherigen Kapiteln erworbenen Kenntnisse angewendet werden. Im zweiten Buch Des regles pour accomoder les paroles Françoises en Italien, sans Dictionnaire geht es um die methodische Frage des effizienten Einsatzes der Übersetzung für den Fremdsprachenunterricht. Catanusi beschreibt eine „ traduction circulaire […], d. h. eine Übersetzung, die, vom italienischen ‚Ur‘-Text ausgehend, diesen zunächst ins Französische überträgt, um diese Übersetzung dann, möglichst ohne Zuhilfenahme des Ausgangstextes, wieder ins Italienische zu übersetzen.“144
Im vorliegenden Beispiel würde der italienische Text ins Französische übersetzt werden, wobei es durch den französischen Titel Toutes les choses ont leurs temps schon einen ersten Hinweis gibt auf das Rückübersetzen von Vn tempo uorrà’ poi. Die von Catanusi beschriebene Art des Übersetzens ist der traditionellen, deduktiven Methode und der „pedanterie“ diametral entgegengesetzt und entspricht eher der imitativen-intuitiven Richtung, da sie ein inzidentelles Lernen ermöglicht, ganz beiläufig „sans qu’il y paroisse“:
Cette manière de traduire est fort propre à ceux, qui n’ayment point la pedanterie, & c’est le veritable moyen d’apprendre vne langue suiuant les reigles de la Grammaire sans qu’il y paroisse,Vous instruisant tout de mesme, que si uous estiez dans le pays.145
Im Folgejahr 1668 veröffentlichte Catanusi seine Instruction à la langue italienne contenant deux parties. 146 Es handelt sich um einen Folgeband, dessen Aufbau der Ausgabe von 1667 ähnelt, doch ohne den Traité de la Poésie italienne. 147 Als Begründung dafür, dass ein neuer Band schon ein Jahr später folgt, schreibt Catanusi: „L’estime que l’on fait de la Langue italienne, & la passion que les plus honnestes gens ont de l’apprendre, m’oblige de mettre au iour ce petit Traité.“148 Eine Neuerung ist die numerische und graphische Aufwertung des Liederteils, der sich auch durch ein besonderes Deckblatt von dem Rest des Werks abhebt. Graphisch hervorgehoben ist das Adjektiv italienne , wobei françoise und Recueil de chanson immer kleiner dargestellt werden: „La Mvse ITALIENNE habillée à la françoise ov Recveil de chansons Italiennes, accommodées aux Airs François du temps.“149 Auf der nächsten Zeite folgt die Zueignung AVX LECTEVRS, in der Catanusi an den Erfolg der ersten Auflage anknüpfen will: „Ce n’est ny le desir de la gloire, ny la confiance que i’ay en moy-mesme, qui m’ont porté à entreprendre d’appliquer des paroles Italiennes aux Airs François que l’on chante icy à Paris;mais l’ennui seul de plaire au public.”150
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