Aus den Gemeinsamkeiten mit dem Theater lassen sich die der Erzählperformance zur Verfügung stehenden non-verbalen Zeichen als performative Gestaltungsmittel herausarbeiten1.
Aus den Unterschieden und Gemeinsamkeiten mit dem System Theater lassen sich die Besonderheiten der performativen narrativen Kommunikation entwickeln.
Aus der Nähe zum Theater lässt sich der bereits erwähnte performative Pakt ableiten.
Überträgt man die drei von Fischer-Lichte entwickelten Konstituenten des Systems Theater (Fischer- Lichte 2007: 14ff.) auf die Erzählperformance als Aufführung, so sind einige wesentliche Übereinstimmungen, aber auch Unterschiede zum Theater feststellbar.
Die erste Konstituente des Theaters, das Transitorische und die absolute Gegenwärtigkeit, stellt auch ein Merkmal der mündlichen Kommunikationssituation dar (Kap. 3.5.1) – mit dem Unterschied, dass das einmalige Ereignis nicht vom Ensemble der Schauspielerinnen und Schauspieler, sondern von real existierenden mündlich Erzählenden hervorgebracht wird.
Die zweite Konstituente, die Gleichzeitigkeit von Produktion und Rezeption vor Publikum im öffentlichen Raum, gilt ebenfalls für beide mediale Vermittlungsformen.
Die dritte Konstituente, die Form der Darstellung, ist der des Theaters nur bedingt verwandt. Das Theater verfügt über eine eigene Sprache, einen theatralischen2 Code (Fischer-Lichte 2007: 21), mit dem es Bedeutung erzeugt (Kap. 4.3). Dem mündlichen Erzählen als Performance fehlen die Schauspielerinnen und Schauspieler. Und gerade deren Tätigkeit in Verbindung mit den ihnen zur Verfügung stehenden theatralischen Zeichen macht die Sprache des Theaters aus. Das mündliche Erzählen wird dagegen dominant über die verbale Sprache und im narrativen Diskursmodus realisiert. Seine non-verbalen Ausdrucksformen (Kap. 4.3) entnimmt das mündliche Erzählen dem theatralischen Code. Sie werden deshab in der Performanceforschung aus dem System Theater entwickelt3.
4.2.2 Kommunikationsmodell mündlich–fiktionalen Erzählens als Performance
Das folgende – in Anlehnung an Chatman (1989: 151) und O’Sullivan (2000: 121) entwickelte – Modell (Abb. 4) stellt die Kommunikation mündlich-fiktionalen Erzählens als Performance schematisch dar. Aus dem Modell wird ersichtlich, dass in der schriftlichen wie in der performativen bzw. der theatralischen Kommunikation zwischen realen Autorinnen und Autoren und den realen Zuschauerinnen und Zuschauern keine Kommunikation stattfindet.
Abb. 4:
Kommunikationsmodell mündlich-fiktionalen Erzählens als Performance
In der Kommunikationssituation mündlich-fiktionalen Erzählens als Performance kommunizieren real die Erzählenden und die als Publikum versammelte Zuhörerschaft. Die Erzählenden repräsentieren als Personen den fiktiven Erzähler der Narration und übernehmen die Aufgabe, die diegetische Welt in Mündlichkeit zu realisieren. Sie können dies auf vielfältige, multimediale Weise tun: mit ihrer Stimme, mit Gestik und Mimik und unter Einsatz weiterer Medien wie z.B. dem Tanz, dem Gesang, der Musik, der Videoprojektion. Sie haben auch die Möglichkeit, in die Figuren der Diegese zu schlüpfen und ihnen durch theatralische Darstellung Körperlichkeit zu verleihen. In diesem Fall gleichen sie Schauspielerinnen und Schauspielern des Theaters. Was sie allerdings nicht können, das ist, eine theatralische Situation zwischen mehreren auf der Bühne präsenten Akteuren zu erspielen. Sie können aber, um die gegenüber dem Theater eingeschränkten Möglichkeiten zu überspielen, mehrere Figuren im Wechsel darstellen und damit ihre gleichzeitige Präsenz simulieren und das Publikum in den Erzählvorgang einbeziehen.
Allerdings muss von Seiten der Zuhörerschaft die Bereitschaft bestehen bzw. entwickelt werden, die so dargebotene Performance zu akzeptieren bzw. sich auf diese Kommunikation einzulassen. Aus diesem Grund werde ich denjenigen Raum, in dem die Kommunikation zwischen realen Kommunikationspartnern stattfindet, als ‚performativen Raum‘ (s. auch Fischer-Lichte 2005a: 19) auffassen, wobei mit dem Begriff ‚Raum‘ nicht nur der Ort, sondern der Ereignisraum der Aufführung erfasst werden soll. In diesem Raum kann – in Analogie zum fiktionalen Pakt (Kap. 3.3) – ein ‚performativer Pakt‘ zwischen Erzählenden und Publikum geschlossen werden. Mit diesem Pakt wird ein Einverständnis hergestellt darüber, dass die narrative Kommunikation als ‚performatives (Theater-)Spiel‘ angesehen wird, bei dem die Rollen in Erzählende und (evtl. mitwirkendes) Publikum verteilt sind.
Das Kommunikationsmodell verdeutlicht, dass das mündlich-fiktionale Erzählen als Performance den performativen Künsten zuzurechnen ist, aber kein eigenes semiotisches System darstellt. Als performative Kunst gehört es den direkten Präsentationsmodi an und kann sich in einer Aufführung realisieren. Als Kunst des Erzählens mit einer ‚doppelten‘ Erzählinstanz (dem realen und dem fiktionalen Erzähler) gehört es dem narrativen Diskursmodus an. Das mündlich-fiktionale Erzählen nimmt unter kommunikationstheoretischen Gesichtspunkten eine Stellung zwischen vermittelter und unvermittelter Darstellung ein, unter ästhetisch-performativen Gesichtspunkten besteht eine Nähe-Beziehung zwischen der Erzählperformance und dem Theater. Diese Beziehung kann deshalb als eine graduelle angesehen werden, wobei der Grad der Nähe von den zum Einsatz kommenden theatralischen und grenzüberschreitenden Mitteln der Darstellung abhängt.
Die Nähe zum Theater liefert dem Einsatz der Erzählperformance im Fremdsprachenunterricht ein flexibles Gestaltungsinstrument, mit dessen Hilfe die Aufführung inszeniert und die Performance sich zwischen Tradition und Experiment positionieren kann. Zur weiteren Erkundung dieses Gestaltungspotenzials werden die Darstellungsmittel des theatralischen Codes im folgenden Kapitel (Kap. 4.3) dargestellt.
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