1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Denn bisherige Studien zeigen: „Das Weltbild in unseren Medien ist durch negative Ereignisse geprägt, die in relativer Nähe zu uns stattfinden, in denen vorrangig prominente Personen und aggressives Verhalten vorkommen, und die sich gut in (bewegten) Bildern darstellen lassen. Negativität, Personalisierung, Visualisierung, Boulevardisierung: all das sind oft beklagte mediale Trends unserer Zeit […].“ (vgl. Maier/Stengel/Marschall 2010c: 133) Vorherrschende Methode, um festzustellen, welche Ereignisse welche Nachrichtenfaktoren aufweisen, ist die InhaltsanalyseInhaltsanalyse bereits publizierter Medienbeiträge. Dazu werden Nachrichtenfaktoren meist auf Artikel- oder Beitragsebene codiert (vgl. Maier 2010b: 53), indem durch „eine subjektive Interpretationsleistung“ „die Merkmale des berichteten Ereignisses“ analysiert „und auf der zur Verfügung stehenden Skala“ eingeordnet werden (Maier 2010b: 55). Die Distribution der Nachrichtenfaktoren gibt Aufschluss über ihre Relevanz bei der NachrichtenselektionNachrichtenselektion. Daneben wird, wie bereits erwähnt, auch der Nachrichtenwert festgestellt, indem man den Beachtungsgrad des Ereignisses in der Berichterstattung anhand seiner Platzierung und seiner Berichtlänge misst (vgl. Maier 2010a: 21). Damit die Zuweisung der Nachrichtenfaktoren nicht beliebig geschieht, muss ein Codebuch erstellt und Inter- bzw. Intracoder-Reliabilität sichergestellt werden. In der vorliegenden Arbeit ist eine Intercoder-Reliabilität, bei der verschiedene Codierer dasselbe Material auf dieselbe Weise codieren, nicht möglich. Umso wichtiger ist die Einforderung der Intracoder-Reliabilität, bei der derselbe Codierer zur Überprüfung dasselbe Material mithilfe desselben Codebuchs mit zeitlichem Abstand ein weiteres Mal auf dieselbe Weise codiert (vgl. Maier 2010b: 58). Geachtet werden muss darüber hinaus auf Inhaltsvalidität (vollständiges KategorieKategoriensystem, das misst, was die Forschungsfrage beinhaltet) sowie Kriteriumsvalidität (externe Stützung der Studie durch andere Studien, frühere Befunde) und Inferenzvalidität (Prüfung der Plausibilität der vorgenommenen Inferenzschlüsse mit Ergebnissen anderer Studien oder Daten) (vgl. Rössler 2005, zitiert nach Maier 2010b: 60). Empfohlen wird eine Triangulation auf mehreren Ebenen (z.B. Daten-, Methoden-, Theorien- oder Forschertriangulation; vgl. Maier 2010b: 69), die in der vorliegenden Arbeit z.B. durch die JournalistInnen-Befragung versucht worden ist. In der hier vorgenommen Untersuchung werden die Nachrichtenfaktoren im Rahmen der ThemenfrequenzanalyseThemenfrequenzanalyse relevant. Ziel ist es herauszufinden, inwieweit die Nachrichtenwerttheorie auf die Berichterstattung über die katholische Kirche zutrifft, welche Nachrichtenfaktoren vornehmlich Eingang finden, und welche Ereignisse von den JournalistInnen bevorzugt werden. Dazu werden die Themen der Artikel mit den Nachrichtenfaktoren abgeglichen, wofür ich auf die 22 Nachrichtenfaktoren nach Ruhrmann u.a. zurückgreife (vgl. 2003, zitiert nach Maier/Marschall 2010: 80–84). Ich behalte mir jedoch vor, die Liste, wenn nötig, abzuändern. Die 22 Faktoren sind: Status der EreignisnationOrtsstatusBeteiligung der jeweiligen Nation (Österreich/Frankreich; bei Ruhrmann u.a.: deutsche Beteiligung)Räumliche NähePolitische NäheKulturelle NäheWirtschaftliche NäheEtablierung des ThemasEinfluss (z.B. von Personen oder Gruppen)Prominenz PersonalisierungFaktizitätReichweiteÜberraschungNutzen/ErfolgSchaden/MisserfolgKontroverseKontroverseAggressionDemonstrationDarstellung von EmotionenDarstellung von Sex/ErotikVisualität Was mit den einzelnen Faktoren gemeint ist, wird im Codebuch näher erläutert (siehe Abschnitt 16.1).Gatekeeping 2.3.2 Verwandte Ansätze: Gatekeeping, News-Bias, Agenda-SettingAgenda-Setting, FramingNews-BiasNachrichtenselektion Sowohl hinter der Nachrichtenwerttheorie als auch hinter den in diesem Abschnitt vorgestellten Ansätzen steht das Ansinnen, zu untersuchen, aufgrund welcher Kriterien Nachrichten ausgewählt werden, „ob bzw. inwieweit die Berichterstattung als Produkt der journalistischen Selektionstätigkeit der Realität adäquat ist (bzw. es überhaupt sein kann) und welche unbeabsichtigten oder beabsichtigten Verzerrungen auftreten“ (Kunczik/Zipfel 2005: 241). Weiters steht im Zentrum des Interesses, wie sich all dies auf die Rezipienten bzw. auf die Öffentlichkeit auswirkt. Nachrichtenselektion und Nachrichtenrezeption stehen in engem Zusammenhang. Folgender Überblick (Abb. 3) zeigt, welche Prozesse und Bereiche die einzelnen Ansätze in den Blick nehmen. Abb. 3: Verschiedene Theorien der Nachrichtenselektion, -rezeption und -wirkung im Überblick (Quelle: Stengel/Marschall 2010: 116) Gatekeeping Die Gatekeeper-Foschung (bestehend seit den 1940er Jahren; vgl. Kübler 2003: 146) versteht Journalisten als Türsteher, Wächter oder Pförtner, die entscheiden, „welche Ereignisse zu öffentlichen Ereignissen werden und welche nicht, und […] damit zur Formung des Gesellschafts- und Weltbildes der Rezipienten [beitragen]“ (Kunczik/Zipfel 2005: 242). Sie nimmt also nicht die Merkmale der einzelnen Ereignisse in den Blick, sondern die Rolle der Redakteure, Redaktionen und anderer Strukturen in der Nachrichtenselektion. Die wichtigsten Ergebnisse fasst Schulz in fünf Punkten knapp zusammen (vgl. 1990, zitiert nach Kunczik/Zipfel 2005: 245): 1 „Die Nachrichtenselektion ist teilweise abhängig von subjektiven Erfahrungen, Einstellungen und Erwartungen des Journalisten. 2 Sie wird bestimmt durch organisatorische und technische Zwänge von Redaktion und Verlag (z.B. Zeitdruck, verfügbarer Platz). 3 Die Auswahl orientiert sich oft an der Bezugsgruppe der Kollegen und Vorgesetzten; die Vorstellungen von den Bedürfnissen des Publikums sind eher diffus und unzutreffend. 4 Die redaktionelle Linie ist ein wichtiges Selektionskriterium. 5 Die Berichterstattung wird weitgehend vom Agenturmaterial vorgeformt, dem gegenüber sich die Redakteure meist passiv verhalten.“ Nach Shoemaker gibt es fünf Ebenen, auf denen die Entscheidung getroffen wird, ob über ein Ereignis berichtet wird oder nicht: (1) die individuelle Ebene (Präferenzen des Journalisten), (2) die Ebene der Arbeitsgewohnheiten (z.B. Layout, Vorhandensein von Bildern), (3) die organisatorische Ebene (z.B. Auslandskorrespondenz, Budget, Leitlinie der Redaktion), (4) die soziale und institutionale Ebene bzw. Extra-Media-Ebene (Rezipienten, Werbepartner, wirtschaftliche und politische Einflussfaktoren), (5) die gesellschaftliche Ebene (auf globaler Ebene werden bestimmte Länder stark, andere hingegen kaum berücksichtigt) (vgl. Shoemaker 1991, zitiert nach Jäckel 2005: 191; siehe auch Stengel/Marschall 2010: 121). Ein Vorwurf gegenüber der Gatekeeper-Forschung ist, dass Faktoren wie der Inhalt oder die Gewichtung der Berichterstattung unberücksichtigt blieben und außerdem oft nur eine Durchlass-Station untersucht wurde, obwohl die Entscheidung nicht nur beim Journalisten allein liegt, denn: Bereits Agenturen selektieren Nachrichten; Journalisten wählen aus einer bestehenden Auswahl erneut aus (vgl. Kunczik/Zipfel 2005: 245). Nachrichtenselektion ist ein äußerst komplexer Vorgang, der nicht auf die Entscheidung eines Individuums reduziert werden kann. News-Bias Dieser Ansatz untersucht, „ob und inwieweit Medien oder Jounalisten mit ihrer Nachrichtenauswahl, aber auch mit der inhaltlichen Darstellung dieser Nachrichten eine bestimmte politische Linie unterstützen“ (Stengel/Marschall 2010: 122)1 und somit tendenziös berichterstatten. Festgestellte Einflussfaktoren sind hier im Wesentlichen auf drei Ebenen zu finden: (1) Person (politische Einstellung der Journalisten), (2) Organisation (politische Linie der Redaktionen, der Verlage und sonstiger Organisationen rund herum bis zu den politischen Institutionen), (3) Mediensystem (Medienindustrie) (vgl. Stengel/Marschall 2010: 123f.).
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