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Dieser Erkenntnis hat der Gesetzgeber durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – AGG – vom 17.8.2006, geändert am 2.12.2006, entsprochen. Mit ihm werden in Ausführung der Vorgaben der Europäischen Union insgesamt vier EU-Richtlinien in nationales Recht umgesetzt. Wie bereits oben aufgezeigt hat das Gesetz eine besondere Bedeutung für das Arbeits- und Berufsleben.
aa)Ziel des Gesetzes und Benachteiligungsverbot
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Das Gesetz soll gem. der Zielsetzung in § 1 AGG Benachteiligungen aus Gründen
der Rasse,
der ethnischen Herkunft,
der Religion oder Weltanschauung,
des Alters,
des Geschlechts,
einer Behinderung oder
der sexuellen Identität
verhindern oder beseitigen. Verhindert werden soll die ungerechtfertigt benachteiligende Behandlung – im Kontext der Beschäftigung – der Arbeitnehmer.
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Ziel des Gesetzes ist es, Benachteiligungen wegen der oben genannten Umstände zu verhindern und zwar auch im Arbeitsleben. Dabei ist § 7 AGG der Dreh- und Angelpunkt. Die Regelung bestimmt, dass Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden dürfen, es sei denn, eine unterschiedliche Behandlung ist nach Maßgabe der §§ 8–10 AGG zulässig.
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Der Arbeitgeber ist verpflichtet, alles zu unterlassen, was den genannten Personenkreis in irgendeiner Form ob unmittelbar bzw. mittelbar benachteiligenkönnte. Darüber hinaus ist er verpflichtet, auch vorbeugend geeignete Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen zu treffen. In diesem Sinne kann er entsprechende Hausverfügungen erlassen, Handreichungen geben bzw. durch zielgerichtete Schulungsmaßnahmen präventiv etwaigen Versuchungen vorbeugen.
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Besondere Bedeutungbekommt das Benachteiligungsverbot im Rahmen der Stellenausschreibungen und Auswahlverfahren. Stellenausschreibungen müssen benachteiligungsfrei sein ( Gebot der benachteiligungsfreien Ausschreibungi.S. d § 11 AGG).
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Nach dieser Vorschrift darf ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben werden. Mithin dürfen Bewerber schon durch die Ausschreibung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. Hierzu dürfen in der Ausschreibung keine diskriminierenden Formulierungen verwendet werden.
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Dabei wird im Kontext des Benachteiligungsverbotes zwischen unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligungen unterschieden, dabei werden diese Begrifflichkeiten im § 3 Abs. 1 und 2 definiert.
119, 120
Unmittelbare Benachteiligung: eine Person erfährt wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (§ 3 Abs. 1 S. 1 AGG).
Mittelbare Benachteiligung:liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich (§ 3 Abs. 2 AGG).
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Die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung wird im Einzelfall bedeutsam. Eine mittelbare Benachteiligung ist schon dann zulässig, wenn die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. In diesem Fall ist nicht mehr zu prüfen, ob ein Rechtfertigungsgrund i.S.d. §§ 8–10 AGG vorliegt.[37]
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Im Einzelfall mag die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung schwierig sein. Grundsätzlich gilt jedoch, wer den möglichen Interessenten/Bewerberkreis z.B. auf eine bestimmte geschlechtliche Zugehörigkeit oder einen bestimmten geschlechtlichen Arbeitskorridor beschränkt, verstößt gegen die Diskriminierungsmerkmale.
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Die nachfolgenden Bespiele sollen jedoch einen Überblick geben, in welchen Fällen eine unzulässige Benachteiligung vorgelegen hat.
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Geschlechterdiskriminierung:
gesucht wird der starke, belastbare Handwerker,
gesucht wird eine Krankenschwester.
Eine Benachteiligung soll nicht vorliegen, wenn etwa hinter einer Berufsbezeichnung der Zusatz (m/w) steht. Dies mag in Zukunft problematisch werden, da auch ein drittes Geschlecht (divers) vor Benachteiligungen zu beachten sein wird. Insoweit hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes[38] zu den Regelungen des Personenstandsrechts eine große Bedeutung. Diese Regelungen sind mit den grundgesetzlichen Anforderungen insoweit nicht vereinbar, als § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) neben dem Eintrag „weiblich“ oder „männlich“ keine dritte Möglichkeit bietet, ein Geschlecht positiv eintragen zu lassen. Für Stellenausschreibungen mag daher noch der Zusatz (d für divers) oder Vergleichbares notwendig werden.
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Altersdiskriminierung:
gesucht wird ein junger/eine junge…,
für unser junges dynamisches Team suchen wir …,
gesucht wird ein Berufsanfänger/Berufsanfängerin.
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Herkunft:
gesucht wird „deutscher Muttersprachler“ (hier gleichzeitig auch Geschlechterdiskriminierung)
cc)Besonderheiten des Schwerbehindertenrechts
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Eine Benachteiligung wegen einer Behinderung ist ausdrücklich durch das AGG verboten. Dieses Diskriminierungsverbot wird jedoch durch weitere Vorschriften flankiert. Diesbezüglich sind die Bestimmungen des SGB IX zu berücksichtigen.
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Zunächst bestimmt § 154 SGB die Pflicht der Arbeitgeber zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen, wenn eine bestimmte Betriebsgröße erreicht wurde. Für den Fall, dass die Arbeitgeber ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, sind sie zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe nach § 160 SGB IX verpflichtet.
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Darüber hinausgehend sind schwerbehinderte Bewerberauch individuell geschützt. Hier trifft § 165 SGB IX besondere Regelungen für öffentliche Arbeitgeber. Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Es besteht also eine Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Vor diesem Hintergrund wird es für einen schwerbehinderten Bewerber sinnvoll sein, im Bewerbungsschreiben auf die Schwerbehinderung hinzuweisen.
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Eine Einladung ist nach § 165 S. 4 SGB IV entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Die Offensichtlichkeit bedeutet, dass die Nichteignung – etwa wegen einer fehlenden notwendigen Ausbildung – ohne weiteres erkennbar ist.
Fehlen der im Anforderungsprofil geforderten Qualifikationsvoraussetzungen: Stelle für Assistenzärzte, auf die sich ein Kaufmann bewirbt.
Die zu Unrecht unterbliebene Einladung eines Schwerbehinderten löst die Sanktionierungsmöglichkeiten des AGG aus, dabei geht es insbesondere um die Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche aus § 15 AGG.
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