232
Für den Fall, dass die abtretende Stelle mangels hinreichender Entscheidungsbefugniskeine Stellung als Verantwortlicher trifft, ist fraglich, welche Funktion sie in der datenschutzrechtlichen Nomenklatur einnimmt. Für eine Stellung als Auftragsverarbeiter i.S.v. Art. 4 Nr. 8 DSGVO spricht, dass sie personenbezogene Daten auf Weisung einer anderen Stelle verarbeitet, für welche Letztere Verantwortlicher im datenschutzrechtlichen Sinne ist. Im Unterschied zur gewöhnlichen Auftragsverarbeitungssituation besteht jedoch der Unterschied, dass die „kontrollierte“ Stelle keine „fremden“ Daten im Auftrag des Verantwortlichen, sondern vielmehr eigene Geschäftsprozesse betreffende Daten nach Maßgabe des Verantwortlichen verarbeitet. Demgemäß besteht nicht die eine Auftragsverarbeitung charakterisierende Risikolage, dass personenbezogene Daten an eine andere Stelle übermittelt werden, um dort für den jeweils Verantwortlichen von einem Außenstehenden (dem Auftragsverarbeiter) verarbeitet zu werden. Vor diesem Hintergrund könnten solche „kontrollierte“ Stellen im datenschutzrechtlichen Kontext auch als unselbstständige Zweigstellen betrachtet werden, deren Datenverarbeitungstätigkeiten der jeweils „kontrollierenden“ Stelle zuzurechnen sind.468 Hierfür spricht ferner die Definition des „Dritten“ nach Art. 4 Nr. 10 DSGVO, wonach Personen (neben u.a. Auftragsverarbeitern) gerade nicht als Dritte anzusehen sind, sofern sie unter der unmittelbaren Verantwortung des Verantwortlichen befugt sind, personenbezogene Daten zu verarbeiten, da sie der Sphäre des Verantwortlichen zuzurechnen sind (was sich auch bereits aus der funktionalen Betrachtung des Verantwortlichkeitsbegriffs ergibt, vgl. oben Rn. 184ff.). Anerkannt ist, dass hierunter nicht lediglich (unmittelbare) Angestellte des Verantwortlichen zu fassen sind, sondern vielmehr auch Externe, sofern und soweit sie funktional für den Verantwortlichen tätig werden und diesem fachlich unterstellt sind;469 nicht ersichtlich ist, warum dies nicht auch entsprechend für unselbstständige Zweigstellen bzw. selbstständige, jedoch im obigen Sinne „kontrollierte“ Niederlassungen gelten sollte.470 Der Wortlaut der Definition enthält insoweit auch keine Beschränkungauf natürliche Personen; demnach könnten darunter grundsätzlich auch juristische Personen oder anderweitige Stellen gefasst werden.
cc) Übertragung bestimmter Verantwortlichen-Pflichten auf andere Stellen
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Darüber hinaus können Verantwortliche die Ausführungen von einzelnen Datenschutzverpflichtungen auf andere Stellen übertragen. Vorausgesetzt, dass eine solche Übertragung nicht dazu führt, dass die andere Stelle in die Lage versetzt wird, Entscheidungen in Bezug auf Zweck und Mittel des jeweiligen Datenverarbeitungsvorgangs zu treffen, wird weder die abtretende Stelle frei von ihrer Stellung als Verantwortlicher (bzw. von der gesetzlichen Pflicht zur Erfüllung der abgetretenen Pflicht), noch wird die übernehmende Stelle alleinig oder gemeinsam Verantwortlicher i.S.v. Art. 4 Nr. 7 DSGVO. Eine solche Übertragung kann daher im Falle von Unterstützungs- und (in begrenzten Fällen) (Infra-)Strukturaufgaben sinnvoll sein, z.B. um eine ordnungsgemäße Dokumentation sicherzustellen oder IT-Sicherheitsmaßnahmen umzusetzen.
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Vice versa ist zu berücksichtigen, dass, sobald die beauftragte Stelle im Zuge der Erfüllung der übertragenen Aufgabe personenbezogene Daten weisungsgebunden und im Auftrag des Verantwortlichen verarbeitet, diese Stelle als Auftragsverarbeiterim Sinne von Art. 4 Nr. 8 DSGVO anzusehen ist. In der Konsequenz wäre der Verantwortliche dann verpflichtet, einen Auftragsverarbeitungsvertrag in Übereinstimmung mit den Anforderungen nach Art. 28 Abs. 3 DSGVO abzuschließen.
b) Innerhalb einer rechtlichen Einheit: Aufbau einer Datenschutz-Organisation
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Sofern es sich bei dem Verantwortlichen um keine natürliche Person handelt, trifft die (interne) Verantwortungzur Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben originär die Geschäftsleitung.471 Die Geschäftsleitung kann jedoch die Verantwortung für die einzelnen Datenverarbeitungsvorgänge auf einzelne Mitarbeiter delegieren. Je nach Größe und Tätigkeitsfeld der jeweiligen Stelle kann der Aufbau einer solchen Datenschutz-Organisation als organisatorische Datenschutzmaßnahme i.S.v. Art. 24 i.V.m. Art. 39 Abs. 1 lit. b DSGVO sogar verpflichtend sein.472 Für Unternehmen bzw. die Unternehmensleitung kann sich eine entsprechende Pflicht aus § 130 Abs. 1 (i.V.m. § 9 Abs. 1) OWiG ergeben, wonach Unternehmensinhaber bzw. die Geschäftsleitung verpflichtet sind, Aufsichtsmaßnahmen zu ergreifen, um Verstöße gegen Gesetze zu verhindern, die mit Bußgeldern geahndet werden;473 dies gilt insofern auch für Verstöße gegen die Bestimmungen der DSGVO.
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Im Falle einer solchen Delegationsind die jeweiligen Mitarbeiter (intern) verpflichtet, die Einhaltung der ihnen übertragenen datenschutzrechtlichen Pflichten bzw. die datenschutzrechtliche Konformität der ihnen anvertrauten Datenverarbeitungsverfahren zu gewährleisten. Die Verantwortlichkeiten der einzelnen Mitarbeiter müssen hierbei jedoch klar definiert und kommuniziert werden.474 Soweit die Verantwortlichkeiten nicht eindeutig definiert sind, bleibt die Geschäftsleitung für solche Verstöße verantwortlich. Für die Art und Weise der Pflichtendelegation auf Unternehmensmitarbeiter enthält die DSGVO keine verbindlichen Vorgaben. Die Pflicht zur Einhaltung einer oder mehrerer der vorgenannten Verpflichtungen kann pro Gesellschaft, pro Geschäftseinheit, pro Geschäftsprozess oder für jeden einzelnen Datenverarbeitungsvorgang übertragen werden.
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Jede Delegation muss in der Praxis auch umsetzbar sein. Demgemäß müssen die verantwortlichen Mitarbeiter in der Lage sein, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Entscheidend ist hierbei insbesondere, dass die verantwortliche Person die Befugnis haben muss, die betreffenden Datenverarbeitungsaktivitäten zu ändern, d.h. die Verantwortung für die Einhaltung bestimmter datenschutzrechtlicher Vorgaben darf nicht an eine Person delegiert werden, die nicht befugtist, (verbindliche) Weisungen zu derartigen Datenschutzvorgängen zu erteilen. Daher kann die Verantwortung für die Einhaltung geltender Datenschutzbestimmungen nicht niedriger übertragen werden als die Ebene, auf welcher die inhaltliche und operative Entscheidungsbefugnis über die Datenverarbeitung liegt. In der Regel können daher lediglich leitende Angestellte sowie Prozessverantwortliche für die materielle Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung verantwortlich sein, die (intern) die Entscheidung darüber treffen können, welche personenbezogenen Daten zu welchem Zweck und mit welchen Mitteln verarbeitet werden.475
IX. Auftragsverarbeiter (Nr. 8)
1. Allgemeines/Gesetzessystematischer Zusammenhang
a) Rechtlicher Hintergrund
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Die Begriffsbestimmung des Auftragsverarbeitersnach Art. 4 Nr. 8 DSGVO ist im engen Zusammenhang mit der Definition des Verantwortlichen nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO zu sehen. Beide Begriffe dienen in erster Linie dem Zweck, an einem Datenverarbeitungsvorgang beteiligte Akteure im Hinblick auf die Verantwortlichkeit zur Einhaltung diesbezüglich einschlägiger datenschutzrechtlicher Vorschriften voneinander abzugrenzen. Auftragsverarbeiter können so von Verantwortlichen mit der Verarbeitung personenbezogener Daten beauftragt werden, ohne hierfür (umfassende) datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit tragen zu müssen.476 Im Hinblick auf einen bestimmten Datenverarbeitungsvorgang bzw. auf bestimmte abgrenzbare Verarbeitungsabschnitte schließen sich ein datenverarbeitendes Tätigwerden als Verantwortlicher oder Auftragsverarbeiter daher gegenseitig aus.477
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