»Nein, das ist … nett.«
Saleen verabscheute tanzen, aber das hier … das hier war mehr als nur nett! Mit Luna im Arm und guter Musik könnte sie die ganze Nacht durch-
»Huch!«
Jäh krallte sich Luna an Saleens Schulter fest. Ihre Absätze schlitterten auf dem Boden. Hastig packte Saleen sie an der Taille.
»Sorry«, murmelte Luna, »bin ausgerutscht …«
Erschrocken blickte Saleen nach unten. Der Boden war klatschnass! Wasser zog sich am Saum ihrer Jeans hinauf! Warum mussten Merborn an Land immer tropfen? Ätzend! Und gefährlich! Hoffentlich glaubte Luna bloß, jemand hätte ein Getränk verschüttet!
Behutsam half sie Luna auf. »Genug getanzt?«
»Fürs Erste. Aber wir versuchen es später nochmal, ja?«
Mit einem spitzbübischen Grinsen strich Luna ihr über den Rücken. Ihre Hand kam nahe über ihrem Po zur Ruhe, und Saleens Gedanken hatten nichts Besseres zu tun, als in gefährliche Gefilde zu driften – Gefilde, in denen sie beide die lästige Kleidung loswurden und es nur Haut und Hitze gab …
Und dann darfst du dir Ausreden ausdenken, warum das Bett nass ist! Lass es, Saleen!
Ernüchtert führte sie Luna zurück zu ihrem Tisch. Warum riskierte sie es überhaupt, sich die Finger zu verbrennen? Sie würde sich dabei nur wehtun – und Luna gegenüber war es unfair.
»Ist alles okay?«, fragte Luna. Sie wirkte unbehaglich. Kein Wunder – Saleen führte sich lächerlich auf! Auf dem Tisch leuchtete Lunas Handy-Display – irgendein »Istro« bombardierte sie mit Textnachrichten. Vermutlich der Kerl, mit dem Maik sie gesehen hatte. Super.
»Mir geht’s gut«, log Saleen und zwang sich zum Lächeln. »Darf ich etwas für dich singen? Hast du Wünsche?«
Luna lachte, doch ihre Augen blieben ernst. »Dir fällt sicher etwas Passendes ein.«
***
Ob Luna Total Eclipse of the Heart passend fand? Für Saleen war der Song heute genau das Richtige. Während der ersten Zeilen schloss sie die Augen. Vielleicht konnte sie ja mit bloßen Tönen alles kommunizieren, was sie Luna nicht sagen konnte: »Ich bin quasi so was wie eine Nixe, aber mein Schwarm hat mich verstoßen. Fisch-Essen find ich barbarisch, meine Klamotten tropfen, und falls wir je zusammen duschen, musst du mich auffangen, weil man auf Flossen nicht stehen kann. Magst du mich trotzdem?«
Aber dazu taugte ihre Stimmmagie nicht. Sie hatte bloß unnützes Zeug gelernt – wie man Sinne betörte und müde Herzen in den Bann zog. Aber sie wollte Luna gar nicht betören. Sie wollte ihr nur etwas schenken. Zum Abschied.
Als sie zum Refrain die Augen öffnete, starrten die Gäste sie verzückt an. Luna jedoch saß mit ausdrucksloser Miene da, die Lippen zu einem schmalen Strich gepresst. Lag es an der Songauswahl? Oder hatte sie von einer dreifachen Karaokemeisterin mehr erwartet? Vielleicht musste Saleen für die zweite Strophe noch einen drauflegen!
Also sang sie all ihre Sehnsucht, ihren Schmerz, ihre Einsamkeit in die Melodie, jede Note wie ein befreiender Atemzug. Als sie schließlich endete, herrschte für einen Moment Stille. Dann begann das Publikum zu johlen, und während sie von der Bühne kletterte, suchte Saleen nervös Lunas Blick.
Doch Luna war fort. Als Saleen zu ihrem Tisch zurückeilte, fand sie nur ihren halbgetrunkenen Cocktail. Ihre Kehle schnürte sich zu.
Vielleicht ist sie nur auf Klo.
Doch als sie nach einer Viertelstunde an der Bar nach Luna fragte, winkte Maik bloß ab.
»Deine Freundin hat telefoniert, bezahlt und ist gegangen.«
Ungläubig starrte Saleen ihn an. Er hätte sie genauso gut ohrfeigen können. Telefoniert? Sicher mit diesem Istro, der sie zugetextet hatte …
Sie hat sich nicht mal verabschiedet. So eilig hatte sie es, wegzukommen! Ist besser so, Saleen.
Trotzdem konnte sie kaum atmen, und diesmal hatte es nichts mit Kiemen oder Lungen zu tun.
»Krieg ich noch ‘nen Whiskey, Maik?«, krächzte sie. »Lass die Flasche gleich hier.«
***
Eine Stunde später schlurfte Saleen die Landungsbrücken hinunter, dem Hotel entgegen, mit wundem Herzen und einem scheußlichen Kater in Aussicht.
»Schön gesungen«, sagte jemand direkt hinter ihr.
Erschrocken fuhr Saleen herum – und blickte geradewegs in Lunas Gesicht.
Schlagartig wurde sie nüchtern.
»Ah, und weil’s dir so gut gefallen hat, bist du abgehauen?«
Sie sollte nicht so bitter klingen. Sie wollte die Sache doch sowieso beenden!
»Oh, ich hab alles gehört«, sagte Luna und trat einen Schritt näher. »Leidenschaftliche Performance.«
Verunsichert räusperte sich Saleen. Und wenn sie Luna unrecht tat? Vielleicht hatte es einen Notfall in der Familie gegeben. Vielleicht war dieser Istro ihr Bruder. »Ich hab ja auch nur für dich gesungen.«
Luna verzog keine Miene. »War ein richtiger Sirenengesang.«
Saleen blinzelte irritiert. Menschen verwechselten Merborn ständig mit Sirenen. Aber warum sich darüber ärgern, wenn die Versuchung so groß war, ihre Finger durch Lunas Haar gleiten zu lassen, den Kontrast zwischen den Sidecut-Stoppeln und der seidigen Mähne zu fühlen? Warum sich ärgern, wenn sie diese Nähe noch ein bisschen länger spüren durfte?
»War ein richtiger Lockruf «, raunte Luna.
Verlegen biss sich Saleen auf die Unterlippe. »Wenn das so ist: Darf ich dich zu einem Mitternachtssnack verlocken?«
Lunas kräftige Brauen zuckten nach oben. Schnell schob Saleen hinterher: »Ich mach prima Pancakes.«
»Du willst wirklich mit mir essen?«, fragte Luna leise. Aus irgendeinem Grund klang es … verzweifelt.
»Ich würde auch dich kosten.« Die Worte waren draußen, ehe Saleens Vernunft Oberhand gewinnen konnte. Sie erschauerte, als Luna ihre Hand nahm.
»Mich kosten?« Luna seufzte. Ihr Atem streifte Saleens Lippen. »Schade. Warum musst du so eine sein?«
So eine? Saleen erstarrte. Hatte sie Lunas Signale denn derartig falsch gedeutet? »Sorry, ich ‒«
»Schluss mit den Spielchen!«, schnarrte Luna. Ihre Finger wanden sich wie Schraubstöcke um Saleens Handgelenke.
»Hey, was ‒«
»Still jetzt!«
»Lass mich los!« Saleen versuchte, freizukommen, doch Luna ließ nicht locker. Verflucht, eine lesbenfeindliche Attacke war das Letzte, was sie brauchte! Panisch blickte Saleen umher. Von fern tönte der Lärm der Reeperbahn, doch ausgerechnet jetzt war keine Sau an den Landungsbrücken unterwegs! Trotzdem schrie sie, was ihre Lungen hergaben.
»Nimm deine Pfoten weg!«
Doch Luna hielt sie im Schwitzkasten – und hob sie von den Füßen.
Schreiend trat Saleen um sich, kickte Luna gegen das Schienbein, rangelte mit den Schultern. Ihr Ärmel riss. Mit vollem Körpereinsatz warf Saleen sich nach vorne, stolperte fort von Luna, die nur noch den Hemdfetzen in der Hand hielt – und taumelte über den Rand der Kaimauer.
Die Elbe war eisig. Wasser füllte Saleens Lunge, ihre Poren, ihr ganzes Sein. Ihre Knöchel schellten gegeneinander und verwuchsen, die Jeans barst, als Muskeln und Schuppen sprossen. Kurz darauf strömte Elbwasser durch ihre Kiemen.
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