Während sie die Suite putzte, lauschte sie dem plätschernden Gesang, der ein bleiernes Gewicht an ihr Herz hängte und ihre Beine schmerzen ließ.
Linderung für beides wartete nur ein paar Schritte weiter.
Die luxuriöse Wanne im Bad lockte wie eine verbotene Frucht. Sie hatte sich schon ein paarmal hergeschlichen, als der Schmerz zu groß geworden war. Hatte sich dem Leitungswasser hingegeben, bis ein Ruck ihre Schenkel und Knöchel zu einem einzigen, kräftigen Knochen zusammenpresste, überzogen von Muskeln und Schuppen – schillernde Linien, die sich bis zu ihrer gelbschwarzen Flosse hinunterzogen, wie bei einem Falterfisch.
Nur ein paar Minuten die Schmerzen vergessen, sich wieder wie sie selbst fühlen …
Irgendwann erwischen sie dich! Dann fliegst du achtkantig raus!
Aber das wäre ihre kleinste Sorge, wenn jemand hereinplatzte und nicht die selbstgekrönte Queen Butch in der Wanne vorfand sondern … nun, die Menschen würden sie in ihrer unpräzisen, engen Sprache wohl eine Meerjungfrau nennen. »Deutsch hat einfach nicht die Kapazitäten, um das Wesen der Merborn zu erfassen«, sagte Papa immer.
Aber sie konnte es nicht riskieren. Nicht heute. Nicht mit einem Date mit Luna in Aussicht.
Doch während sie das Bad putzte, raubte ihr das Gewicht auf der Brust den Atem. Es war nicht nur die Sehnsucht nach ihrer Flosse. Seit Emma sie vor drei Jahren verlassen hatte, gab es niemanden mehr, der wusste, wer sie war. Wer sie wirklich war.
Selbst schuld! Man kehrt dem Meer nicht den Rücken!, höhnte das Stimmchen in ihrem Kopf, das wie ihre Mutter klang – voller Spott, der die Verletzung darunter kaum verhüllte. Wie damals, als Saleen ihre Sachen gepackt hatte, um Emma nach Hamburg nachzureisen. Man verlässt nie das Meer und den Schwarm!
Heuchler! Ihr ganzer Schwarm lebte auf dem Festland, wie so viele Merborn! Nur eben an der Küste statt im Inland!
Wenn du gehst, gehst du allein und bleibst allein!
Energisch schrubbte Saleen die Waschbecken. Sie war nicht allein gewesen! Sie hatte Emma gehabt – und Emma hatte sie mit Beinen und Flossen geliebt. Dass Saleens Kleidung ständig tropfte, hatte ihr bloß ein schiefes Lächeln entlockt. »Dann darfst du eben nicht mehr mit Klamotten ins Bett, Schatz.«
Aber seit Emma sie verlassen hatte, war sie allein. Zog stets die Notbremse, wenn ihr jemand zu nahe kam – sie konnte nicht noch mehr Menschen ihr Geheimnis verraten. Und wie sollte Nähe wachsen, wenn man ständig lügen musste?
Selbst die Sache mit Luna wurde langsam zu brenzlig. Bei der Aussicht, sie heute wiederzusehen, kribbelte es in Saleens Bauch – klares Signal, die Sache abzubrechen.
Morgen.
Den heutigen Abend würde sie auskosten – ein bisschen flirten, vielleicht sogar noch einen Kuss … sich noch einmal lebendig fühlen und die Nähe spüren, ehe die Einsamkeit sie zurück in die Tiefe zog.
Von draußen wehte das Lied der Wellen herein, und Saleen summte mit, während sie der Suite den letzten Schliff gab.
***
Was für ein beschissener Abend!
»… and nothing else matters «, hauchte Saleen ins Mikro. Zur Belohnung johlte das Publikum. Genau deshalb liebte Saleen diese Karaokebar: Das Publikum war immer enthusiastisch, egal, wie man sich anstellte. Normalerweise munterten Karaoke und Cocktails sie todsicher auf, doch heute sank Saleens Stimmung nach dem dritten Song unter den Nullpunkt.
Lunas Sidecut war weit und breit nicht zu sehen.
Sie war nicht gekommen.
Wundert’s dich, nach dem peinlichen Geschlabber am Sonntag? Du küsst einfach so mies!
Fuck. Da half wohl nur eins: ihr Herz, dieses nutzlose, wundgeschürfte, entzündete Ding, in Alkohol ertränken.
»Hey Maik, krieg ich noch einen ‒«
»Gin Tonic. Für dich. Von deiner Freundin da drüben.« Der Barkeeper schob ihr ein Longdrink-Glas entgegen.
Verdattert blinzelte Saleen. »Meine … Oh!«
An einem Ecktischchen winkte Luna ihr zerknirscht zu. Heute hatte sie ihr seidenschwarzes Haar zurückgebunden, sodass der Sidecut umso besser zur Geltung kam; ein blaues Kleid schmiegte sich um ihre Kurven. Trotz des Drinks war Saleens Kehle plötzlich staubtrocken. Bis zum letzten Wochenende hatte sie Luna zwar ein paarmal hier gesehen, sich aber nie getraut, sie anzusprechen – wahrscheinlich stand so eine Schönheit sowieso nicht auf Frauen. Sonntagabend hatte Luna die Sache dann selbst in die Hand genommen. Die Nacht war in Gelächter und philosophischen Gesprächen davongeflogen; im Morgengrauen hatten sie sich eine Stunde lang am Hafen verabschiedet, ohne zu gehen – und dann hatte Luna klargestellt, dass sie sehr wohl auf Frauen stand. Ihre Küsse hatten die ganze Woche nachgehallt, und Saleen versank viel zu oft lächelnd in den WhatsApp-Nachrichten, die sie austauschten.
»Nur, dass du‘s weißt«, raunte Maik über den Tresen, »ich hab sie vorgestern in ’nem Club gesehen, wie sie sich mit ’nem Typen amüsiert hat.«
Saleens Magen zog sich schmerzhaft zusammen. »Kann sie doch. Wir sind ja nicht zusammen oder so.«
Und du brauchst auch nicht klammern wie ein Oktopus – du musst es sowieso beenden!
Außerdem war Luna jetzt hier , ohne Typen, und strahlte ihr entgegen, als Saleen mit dem Drink in der Hand zu ihr stakste.
»Womit hab ich das denn verdient?«
»Mit einem großartigen Metallica -Cover. Von dem ich leider nur den Schlussapplaus gehört habe.« Bedauernd schob Luna die Unterlippe vor. »Alle schwärmen, wie toll du singst, Miss dreifache Karaoke-Meisterin, und ich verpass dich jedes Mal!«
»Ach, du wirst doch auf der Arbeit genug vollgeträllert.« Zögerlich trat Saleen näher. Wie begrüßte man sich, nachdem man den Morgen fortgeknutscht hatte? War ein Kuss zu forsch? Luna nahm ihr die Antwort ab, indem sie sie umarmte. Saleen drückte die Nase gegen ihren Hals, sog ihren frischen Duft nach Salz und Minze ein, wollte in der Wärme ihrer Arme versinken …
Wie kann man eigentlich so ausgehungert nach Berührung sein? Lächerlich!
Als Luna sich viel zu bald zurückzog, nippte Saleen betont lässig an ihrem Drink. »Wie war die Show? Was macht die Kleine Seehexe ?«
»Will ich gar nicht wissen.« Prompt verzog Luna das Gesicht. »Ich bin nur Platzanweiserin und kann dieses blöde Musical trotzdem auswendig! Aber lass uns nicht über die Arbeit reden, okay?« Zaghaft berührte sie Saleens Hand. »Tanzt du mit mir?«
»Zu dem Lied?« Gequält verzog Saleen den Mund. Gerade kreischte ein angetrunkenes Trio einen Popsong ins Mikro.
»Ich verrate niemandem, dass die Metal-Queen zu den Spice Girls abgegangen ist wie eine Rakete.« Luna grinste und tippte auf das Arch Enemy -Logo auf Saleens Brust. »Bitte!«
Also hüpfte Saleen kurz darauf ungelenk neben Luna herum. Sie fühlte sich wie eine Qualle! Doch als die trunkenen Spice Girls abzogen und ein Nerd mit Engelsstimme eine Bon Jovi -Ballade ansang, schlang Luna die Arme um sie.
»Ist das so schlimm?« Ihr Atem streifte Saleens Hals und bescherte ihr eine Gänsehaut.
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