»Sorry, ich weiß, du bist nicht so touchy-feely , wie wir ›Theaterfuzzis‹.« Sie malte mit den Fingern ironische Anführungszeichen in die Luft. »Aber im Ernst, nicht ungefragt angefasst werden zu wollen, ist absolut valide. Ich werde in Zukunft versuchen, mich dran zu halten.«
Das hatte Jake so noch nie gehört. Sonst hatten ihn die Menschen in seinem Umfeld immer bedrängt, dass er sich doch nicht so haben sollte. Für einen Moment machte ihn das sprachlos. »Danke«, antwortete er dann.
»Sieht so aus, als würdest du gerade eine ziemliche Epiphanie erleben. Ich lass dich dann mal besser allein.« Grace stand mühsam auf und balancierte auf ihrem gesunden Bein. »Ach übrigens, so von einem Wolfswesen zum anderen, es gibt am Wochenende eine Party, auf der nur übernatürliche Wesen eingeladen sind. Wenn du willst, bring ich dich da rein. Das würde es mir ersparen, mir deine Besserwisserei einen ganzen Kaffee lang anhören zu müssen.« Damit war Grace davongehumpelt und Jake hätte sich nie träumen lassen, dass aus diesem Gespräch die wohl intensivste Beziehung seiner College-Zeit entstehen würde.
***
»Tja, jetzt weißt du Bescheid«, schließt Jake seine Erzählung. »Ich bin demi. Mit Interesse an mehreren Geschlechtern übrigens. Aber einfach so vögeln ist bei mir nicht, sorry.«
»Du meinst so, wie es deine Mitbewohnerin wahrscheinlich gerade tut?« Evies Stimme ist neutral. Jake ist sich ziemlich sicher, dass sie ihn mit der Frage nicht verletzen will. Trotzdem schneidet er eine Grimasse. Evies Hand landet wieder auf seinem Knie. Nicht aufdringlich dieses Mal, sondern beruhigend, tröstend. »Das gehört zu meinen Fähigkeiten als Sukkuba, weißt du? Ich kann die sexuelle Energie eines Raumes lesen und steuern, wenn ich will.«
»Oh, wow. Das muss … Ich habe keine Ahnung, wie das für dich sein muss.«
»Es ist die meiste Zeit über eigentlich ziemlich nervig. Besonders, wenn man mit fünf anderen Menschen zusammenwohnt, die in diesem Bereich alle sehr aktiv sind. Es ist ein bisschen so, als würde ein kleiner Teil meines Gehirns ständig einen Porno gucken. Und es turnt einen mit der Zeit ganz schön ab. Ich habe aber noch eine andere Fähigkeit, und die ist ziemlich nice. Ich kann nämlich auch die Herzen von Menschen lesen. Und dein Herz sagt mir, dass du ganz schön in deine Mitbewohnerin verliebt bist.«
»Ich … was? Nein. Grace ist meine Freundin. Vielleicht die beste, die ich bis jetzt hatte. Und sie ist meine Mitbewohnerin. Sie ist …« Jake weiß nicht, wie er den Satz fortsetzen soll. Aber das muss er zum Glück auch gar nicht.
»Sorry, wenn ich jetzt ein bisschen direkt und grob zu dir bin«, nimmt Evie ihm die Antwort ab. »Aber darf ich dich fragen, was dich und deine Mitbewohnerin überhaupt verbindet? Ich meine, ich kenne sie nicht und will mich auch gar nicht in deine Angelegenheiten einmischen, aber für mich klingt das, was du mir bis jetzt von ihr erzählt hast, nicht nach einer großartigen Freundschaft.«
»Hmm … das war sie am Anfang auch gar nicht. Im Gegenteil. Ich konnte Grace damals überhaupt nicht ab. Und sie mich auch nicht. Wir sind immer wieder aneinandergeraten. In der Uni. Auf Partys. Im Park. Und je mehr wir versucht haben, uns aus dem Weg zu gehen, um so öfter haben wir uns getroffen. Irgendwann haben wir dann wohl gemerkt, dass wir gar nicht so verschieden sind. Wir haben angefangen zu reden, ohne uns alle fünf Sekunden an die Kehle zu gehen. Über das Wolfssein, das uns verbindet. Über unsere verschiedenen sexuellen Orientierungen. Gerade damit hab ich ihr wohl ziemlich ein Ohr abgekaut.« Bei dem Gedanken an den verbalen Arschtritt, den Grace ihm verpasste, als er das Thema zum x-ten Mal aufs Tapet brachte, muss Jake schmunzeln. »Das alles war für mich nicht leicht und Grace hat mir da durchgeholfen. Sie ist nämlich gar nicht so eine überhebliche, eingebildete Tussi, wie ich zuerst gedacht habe. Sie ist leidenschaftlich. Sie hat Spaß an dem, was sie tut. Und dieser Spaß ist ansteckend. Und manchmal auch ziemlich anstrengend. Wenn man einmal in ihrem Dunstkreis ist, kommt man da nur schwer wieder raus. Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass ich sehr gerne Zeit mit ihr verbringe, auch wenn sie manchmal immer noch sehr anstrengend sein kann. Es beruhigt mich irgendwie, sie um mich zu haben. Bei ihr kann ich mich auskotzen, wenn ich einen schlechten Tag habe, oder unruhig bin, weil der Wolf in mir raus will. Sie tritt mir in den Arsch, falls es nötig ist. Sie … eigentlich bin ich mir gar nicht mal so sicher, warum wir überhaupt befreundet sind. Es hat sich einfach so entwickelt. Macht das Sinn?«
»Oh, wow. Ja, total. Das klingt wirklich … beneidenswert. Ich war immer der Meinung, dass die besten Freundschaften die sind, die einfach so passieren, ohne dass man genau weiß, warum. Und ich verstehe auch irgendwie, wieso du in sie verliebt bist. Das klingt alles sehr cozy mit euch beiden.«
Der Ausdruck bringt Jake zum Lachen. Grace würde jegliche Wesen zum Frühstück verspeisen, die es wagen würden, ihr irgendeine Form von Gemütlichkeit zu unterstellen. Dazu ist sie viel zu sehr ein Wirbelwind. Ein Wirbelwind, der ihn immer wieder dazu bringt zu wachsen, sein Bestes zu geben und der ihn zurechtweist, wenn er mal ein Arsch ist. Denn irgendwie ist Grace auch ein bisschen sein Gewissen. Aber das klingt definitiv viel zu kitschig, als dass er es jemals laut sagen würde.
»Ich fühle mich wohl mit ihr«, antwortet er stattdessen. »Ich vertraue ihr. Und sie respektiert mich auf eine Weise, wie ich es zuvor noch nie erlebt habe. Aber ob das schon Liebe ist? Ich habe mal wieder keine Ahnung. Ich glaube, ich muss da noch über so einiges nachdenken.«
Evie lächelt und tätschelt noch einmal mitfühlend sein Knie. »Sieht ganz so aus.«
»Ja. Ja. Danke übrigens. Dass du mir zugehört hast und so. Ich hoffe, ich hab dich nicht zu sehr gelangweilt.« Langsam beginnt Jake den ganzen Whiskey zu spüren. Er sollte besser aufstehen und sich bewegen. »Ähm, weißt du zufällig, wo hier das Bad ist?«
»Den Flur runter und dann links, glaube ich. Du kannst es eigentlich nicht verfehlen. Unser Gastgeber hat einen sehr eigenwilligen Geschmack, was Deko betrifft.«
»Danke. Ich bin gleich wieder da.«
Im Bad wäscht Jake sich erstmal gründlich die Hände und das Gesicht. Ihm ist warm und ein bisschen schwindlig. Und seine Gedanken kreisen. Ist er wirklich verliebt in Grace? Hoffentlich nicht. Denn das würde zwischen ihnen alles so viel komplizierter machen. Aber Grübeln bringt ihn in diesem Moment auch nicht weiter. Besser, er sucht Grace und überredet sie dazu, nach Hause zu gehen. Er will nur noch ins Bett und schlafen. Wenn er Glück hat, sind seine plötzlichen Gefühle für Grace auch nur dem Alkohol oder den Hormonen geschuldet und morgen früh bei Tageslicht auch wieder verschwunden.
Zum Glück muss Jake auch gar nicht lange nach seiner Mitbewohnerin suchen, denn sie wartet schon im Flur auf ihn.
»Hey, da bist du ja«, begrüßt sie ihn und ein warmes Gefühl macht sich in Jake breit. Ein Gefühl, das hoffentlich Freundschaft ist und nichts anderes.
»Hey, alles okay? Du siehst ziemlich kaputt aus.«
Es kostet Jake eine Menge Kraft, aber er ringt sich ein Lächeln für sie ab. »Alles okay. Ich bin nur ziemlich platt. Können wir langsam gehen?«
»Ja, ich bin auch erledigt.« Sie will sich bei ihm unterhaken, doch er schüttelt sie ab und versucht die Gänsehaut zu ignorieren, die sich bei dem Kontakt seiner Haut mit ihrer an seinem ganzen Körper bildet.
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