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Die Legitimationskette reißt ab, wenn eine Staatsgewalt ausübende Stelle keinen Weisungen unterliegt. Weitgehende Weisungsfreiheit ist jedoch Charakteristikum der Selbstverwaltung. Selbstverwaltung und demokratische Legitimation scheinen daher unvereinbar. Beide Prinzipien sind jedoch zumindest auf der Ebene der bayerischen Verfassung (Art. 2 und z.B. Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV), gleichrangige Verfassungsgüter, die in praktische Konkordanz zu bringen sind. Davon geht (für die grundgesetzliche Ebene) auch das BVerfG aus, erkennt an, dass durch Betroffenenpartizipation im Rahmen der Selbstverwaltung das Demokratieprinzip durchaus auch gestärkt werden kann und argumentiert im Übrigen einzelfallbezogen.[90] Letztlich dürfte dies verfassungsdogmatisch der einzig gangbare Weg sein.
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Verschiedentlich wurde versucht, Demokratieprinzip und funktionale Selbstverwaltung als mit einander in Einklang stehend zu begreifen.[91] Die hierfür angebotenen Lösungsansätze begegnen jedoch Bedenken:
Dies gilt zunächst für die Idee, die Selbstverwaltungsorgane seien durch die Mitglieder der Körperschaft (als „Verbandsvolk“) demokratisch legitimiert.[92] Dies verkennt zum einen, dass die Demokratie des Grundgesetzes vorrangig eine interessenneutrale parlamentarische und keine „Betroffenendemokratie“ ist. Zum anderen ist die Definition des Begriffs „Volk“ als Träger der Staatsgewalt Sache des Verfassungsgebers. Dass der Verfassungsgeber den Begriff so definiert hätte, dass auch „Verbandsvölker“ umfasst sind, lässt sich aus der Verfassung nicht zweifelsfrei herleiten.[93] Daher kann der Legitimation durch ein Verbandsvolk höchstens eine Ergänzungsfunktion zukommen. Ferner bleibt die „Verbandsvolklegitimation“ ohnehin defizitär, weil dadurch ein Handeln der Körperschaft gegenüber Außenstehenden (z.B. die Ablehnung einer Immatrikulation durch eine Hochschule) nicht legitimiert werden kann.
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Kluth argumentiert, die Organe und Amtswalter eines Trägers funktionaler Selbstverwaltung seien zwar nicht unmittelbar demokratisch legitimiert. Mit der Gründung einer Selbstverwaltungseinheit (durch das Parlament oder die parlamentarisch legitimierte Regierung) erhielten jedoch deren Mitglieder eine kollektive demokratische Legitimation, die sie auf die Organe und Amtswalter übertragen könnten. Dass auch die Legitimation von Kollektiven verfassungsgemäß sei, zeige das Beispiel der Listenwahl.[94] Dem ist entgegenzuhalten, dass eine solche Kollektivlegitimation zu schwach ist, um den Anforderungen des Demokratieprinzips genügen zu können, weil der Legitimationsakt nur ein einziges Mal stattfindet und nicht wie die Legitimation des Parlaments durch Wahlen ständig erneuert wird. Gegen den Vergleich mit der Listenwahl spricht, dass bei einer solchen nicht ein Kollektiv legitimiert wird, sondern einzelne (namentlich bekannte) Abgeordnete, von denen jeder einzelne Vertreter des ganzen Volkes wird (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 13 Abs. 2 S. 1 BV).
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4. Reichweite der akademischen Selbstverwaltung
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Die Reichweite der akademischen Selbstverwaltung lässt sich mit dem Schrifttum[95] am treffendsten durch eine Untergliederung in drei Bereiche (Körperschaftsangelegenheiten, Kooperationsbereich, staatlicher Bereich) bestimmen.[96] Diese Bereiche sind nicht vollkommen trennscharf abgrenzbar. Generell lässt sich sagen, dass der Einfluss der Hochschulen höher sein muss, je enger die jeweilige Aufgabe mit Forschung und Lehre in Verbindung steht:
a) Körperschaftsangelegenheiten (Art. 12 Abs. 1 und 2 BayHSchG)
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Im Bereich der akademischen Selbstverwaltung haben die Hochschulen das Recht, ihre Angelegenheiten eigenständig bzw. nur unter staatlicher Rechtsaufsicht (Art. 74 Abs. 1 BayHSchG) zu erledigen. Das BayHSchG bezeichnet diese zum Selbstverwaltungsbereich gehörenden Angelegenheiten in Art. 12 Abs. 1 und 2 als „Körperschaftsangelegenheiten“.
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Für den Umfang dieser Aufgaben gibt es im Gegensatz zu den staatlichen Angelegenheiten keine gesetzlich festgelegte Grenze. Wegen des engen Zusammenhangs der akademischen Selbstverwaltung mit der Wissenschaftsfreiheit und damit mit der wissenschaftlichen Eigengesetzlichkeit muss dies auch so sein. Andererseits weist Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV den Hochschulen nicht (wie Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG den Gemeinden für die örtlichen Angelegenheiten) eine Allzuständigkeit zu.[97] Einen somit bei der akademischen Selbstverwaltung möglichen Streit um die Zuordnung verschiedener Materien zum Selbstverwaltungs- oder zum staatlichen Bereich hat der Gesetzgeber jedoch durch Art. 12 Abs. 2 BayHSchG entschieden, wonach bei unklarer Zuordnung eine Vermutung gilt, dass es sich um eine Körperschaftsangelegenheit handelt. Die Frage, ob bereits aus den Grundrechten einen solche Vermutung folgt,[98] stellt sich in Bayern also nicht. Zu den, nicht ausdrücklich als Selbstverwaltungsaufgaben bezeichneten Angelegenheiten gehört etwa auch die nationale und internationale Kooperation mit anderen Hochschulen (Art. 2 Abs. 4 S. 1, Art. 7, Art. 16 BayHSchG) sowie der Wissens- und Technologietransfer.[99]
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Bestandteil der Körperschaftsangelegenheiten muss, soll die akademische Selbstverwaltung effektiv dem Schutz der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft dienen, die gesamte Planung, Organisation, Koordination und Durchführung aller Aufgaben der Forschung und Lehre sein.[100] Außerdem sind folgende Materien aufgrund ihres engen Bezuges zur Wissenschaftsfreiheit Körperschaftsangelegenheiten:
– |
das Recht, die eigenen Organe selbst zu wählen, |
– |
das Recht, die sich aus der Mitgliedschaft zur Hochschule ergebenden Rechte und Pflichten im vom BayHSchG gesetzten Rahmen zu regeln |
– |
das akademische Prüfungswesen (einschließlich Promotionen und Habilitationen[101], sowie die Erteilung der Lehrbefugnis[102]), |
– |
die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses[103], |
– |
die Verwaltung des hochschuleigenen (Körperschafts-)Vermögens[104], |
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die Verleihung von akademischen Graden (Art. 66 BayHSchG)[105] und Ehrungen, |
– |
die Bestellung außerplanmäßiger Professoren (Art. 29 Abs. 1 BayHSchPG) |
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die Erhebung und Verwendung von Studienbeiträgen innerhalb der gesetzlich festgelegten Grenzen (Art. 71 Abs. 1 BayHSchG) |
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das Recht, all diese Fragen durch Hochschulsatzungen zu regeln (dazu s.u. Rn. 190 ff.). |
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Eine Personal- und Finanzhoheit steht den Hochschulen im Übrigen (bzw. außerhalb des Körperschaftsvermögens) nur insoweit zu, als auch bei Personal- und Finanzfragen wissenschaftsrelevante Entscheidungen nach wissenschaftsinternen Kriterien zu treffen sind (z.B. die Beurteilung der wissenschaftlichen Qualifikation eines Bewerbers).[106]
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Im Zuge der Modernisierung und „Ökonomisierung“ des Hochschulwesens (näher s.u. Rn. 109 ff.) haben weitere („nicht juristische“) Elemente des Körperschaftsbereichs Bedeutung erlangt, so insbesondere die Bildung eines Hochschulprofils in Forschung und Lehre, die Öffentlichkeitsarbeit (Art. 2 Abs. 6 BayHSchG) und die hochschulinterne Evaluierung und Qualitätssicherung.
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Neben dem Kernbereich existiert ein Bereich wissenschaftsrelevanter Angelegenheiten, in dem die Hochschule nicht allein entscheiden darf, sondern dies aus verfassungsrechtlichen Gründen gemeinsam mit dem Staat tun muss. In diesem im BayHSchG nicht angesprochenen, von der h. M.[107] aber anerkannten Kooperationsbereich ist der jeweilige Hochschulanteil den Körperschaftsangelegenheiten zuzurechnen. Daher findet insoweit nur Rechtsaufsicht statt. Allerdings bestehen für die Hochschule im Kooperationsbereich intensivere Rücksichtnahmepflichten gegenüber dem Staat als bei sonstigen Körperschaftsangelegenheiten. Diese Pflichten darf der Hochschulgesetzgeber in Verfahrensvoraussetzungen umsetzen, ohne dass dem Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV entgegenstünde.
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