162
Selbst wenn man dem wegen der systematischen Stellung des Art. 138 BV außerhalb des Grundrechtsteils der Bayerischen Verfassung nicht folgen und stattdessen auf Art. 31 GG abstellen will, ergibt sich nichts anderes. Art. 31 GG setzt ebenfalls einen Normwiderspruch voraus, der zwischen Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV und Art. 5 Abs. 3 GG jedoch wie gezeigt, nicht vorliegt. Ebenso wenig lässt sich ein solcher Widerspruch im Verhältnis zwischen einfachem Bundesrecht und Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV begründen. Mit der im Zuge der Föderalismusreform 2006 geplanten (bisher aber nicht umgesetzten) Abschaffung des HRG würde auf Bundesebene zwar keine Norm mehr existieren, die (wie § 58 Abs. 1 S. 3 HRG), den Hochschulen ein Selbstverwaltungsrecht explizit zuerkennt. Dem Bundesrecht lässt sich aber auch dann nicht entnehmen, dass ein solches Recht ausgeschlossen sein soll.[76]
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Fraglich ist, in welchem Umfang Beschränkungen der individuellen Wissenschaftsfreiheit, die der Ausgestaltung der akademischen Selbstverwaltung dienen, verfassungsrechtlich zulässig sind. Auf der landesverfassungsrechtlichen Ebene ist die Zulässigkeit relativ unproblematisch: Zwar ist das Grundrecht aus Art. 108 BV mangels geschriebener Grundrechtsschranken nur durch kollidierendes Verfassungsrecht einschränkbar. Solches kollidierende Verfassungsrecht findet sich jedoch in Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV. Problematischer ist insoweit das Verhältnis zwischen Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV und (dem wie Art. 108 BV vorbehaltlosen) Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Folgt man dem BVerfG darin, dass sich eine Garantie der akademischen Selbstverwaltung dem Grundgesetz nicht entnehmen lässt, stellt sich die Frage, ob ein vorbehaltloses Grundrecht des Grundgesetzes (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) gestützt auf eine Bestimmung der Landesverfassung (Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV) beschränkt werden kann. Im vorliegenden Fall ist dies zu bejahen: Das BVerfG hat anerkannt, dass der Hochschulgesetzgeber die Organisation der Hochschulen nach dem Selbstverwaltungsmodell ausgestalten darf. [77] Das Gericht sieht also offenbar Regelungen, die der Ausgestaltung der akademischen Selbstverwaltung dienen, als verfassungsrechtlich zulässig an. Begründen lässt sich dies entweder damit, dass solche Regelungen schon keine Grundrechtsbeschränkungen darstellen (z.B. weil die Mitglieder der Hochschule in sie eingewilligt haben)[78] oder damit, dass es sich um verfassungsgemäße Beschränkungen handelt. Es erscheint jedoch konstruiert, eine Einwilligung der Hochschulmitglieder bezogen auf alle gegenwärtigen und künftigen Regelungen der Selbstverwaltung durch den Gesetzgeber anzunehmen. Daher muss es sich um gerechtfertigte Beschränkungen handelt. Der Hochschulgesetzgeber darf, obwohl die Wissenschaftsfreiheit vorbehaltlos garantiert ist, also die akademische Selbstverwaltung ausgestalten. Hochschulgesetzgeber ist jedoch (und war auch als es die Rahmenkompetenz des Bundes nach Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a GG noch gab) in erster Linie der Landesgesetzgeber. Somit muss es auch dem Landesgesetzgeber verfassungsrechtlich erlaubt sein, die akademische Selbstverwaltung zu regeln, ohne dass dem Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG entgegenstünde.
d) Die Hochschule als Grundrechtsträgerin und Grundrechtsverpflichtete
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Die (staatlichen) Hochschulen sind sowohl grundrechtsberechtigt als auch grundrechtsverpflichtet: Trotz ihres Charakters als juristische Person des öffentlichen Rechts kann die Hochschule Trägerin von Grundrechten, insbesondere der Wissenschaftsfreiheit sein. Die vom Schrifttum[79] und dem BayVerfGH anerkannte Grundrechtsberechtigung der Hochschule[80] dient dazu, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Wissenschaftsfreiheit vorwiegend an Hochschulen ausgeübt wird und deshalb dem Staat eher die Hochschule und als der einzelne Wissenschaftler gegenübertritt. Der Grundrechtsschutz des einzelnen Wissenschaftlers bedarf deshalb einer Abrundung durch den Grundrechtsschutz der Hochschule. Allerdings ist die Grundrechtsberechtigung der Hochschule auf das Außenverhältnis zum Staat beschränkt.[81] In keinem Fall darf die Hochschule sich für eine Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit des Einzelnen auf Grundrechte berufen. Anderenfalls könnte das Ziel, die Grundrechtsposition des einzelnen Wissenschaftlers durch eine Grundrechtsberechtigung der Hochschule zu stärken, verfehlt werden.[82] Dass die Grundrechtsträgerschaft der Hochschule auf das Außenverhältnis beschränkt ist, gilt im Übrigen auch für die subjektiv-rechtliche Seite der akademischen Selbstverwaltung i.S.d. Art. 138 Abs. 2 S. 1 BV[83].
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Mit dieser Beschränkung einer Grundrechtsposition der Hochschule ist freilich nicht zugleich eine Grundrechtsträgerschaft der Fakultäten und ähnlicher Untergliederungen (auch unterhalb der Fakultätsebene)[84] ausgeschlossen. Diese ist zwar ebenfalls auf das Verhältnis zum Staat beschränkt. „Staat“ in diesem Sinne ist jedoch auch die Hochschulleitung und zwar erst recht dann, wenn sie im Zuge von Hochschulreformen im Verhältnis zur Ministerialverwaltung gestärkt und verselbstständigt wurde.[85] Sinn von Hochschulreformen kann nicht sein, durch Verschiebung der Verantwortungsteilung im Hochschulwesen zugunsten der Hochschulen den Grundrechtsschutz für freie Forschung und Lehre insgesamt zu schwächen. Von dieser Grundrechtsberechtigung der Untergliederungen der Hochschule sind die organschaftlichen Rechte dieser Einheiten zu unterscheiden. Diese können im Wege eines Hochschulverfassungsstreits (Spezialfall des verwaltungsrechtlichen Organstreits[86]) gegen andere teilrechtsfähige Rechtssubjekte innerhalb der Hochschule auch dann verteidigt werden, wenn nicht zugleich eine Grundrechtsbeeinträchtigung vorliegt.
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Beschränkt die Hochschule Rechte ihrer Mitglieder oder grundrechtsberechtigten Untergliederungen, ist sie, wie bereits angedeutet, aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung grundrechtsverpflichtet. Dasselbe gilt im Außenverhältnis z.B. bei Immatrikulationen oder gegenüber externen Doktoranden. Je stärker Aufgaben im Zuge von Hochschulreformen auf die Hochschulen verlagert werden, desto wichtiger wird für den einzelnen Wissenschaftler diese Grundrechtsverpflichtung der Hochschule.
e) Akademische Selbstverwaltung und demokratische Legitimation
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Da Hochschulen, insbesondere soweit sie gegenüber Studenten tätig werden, Staatsgewalt ausüben, bedarf ihr Handeln nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 S. 2 BV demokratischer Legitimation. Die Beziehung zwischen diesem Verfassungserfordernis und der funktionalen, insbesondere der akademischen Selbstverwaltung ist nicht unproblematisch:
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Demokratische Legitimation bedeutet, dass prinzipiell jede Einzelentscheidung der Verwaltung auf den Willen des Volkes bzw. des von diesem gewählten Parlaments zurückgeführt werden kann.[87] Dies setzt im Wesentlichen zweierlei voraus: Erstens muss die entscheidende Stelle an die Gesetze und damit an den in diesen verkörperten Volkswillen gebunden sein (sog. sachlich-inhaltliche Legitimation). Diese Gesetzesbindung ist nur dann effektiv, wenn jeder Einzelne, der Staatsgewalt ausübt, den Weisungen einer übergeordneten Stelle unterliegt, die ihrerseits – vermittelt über weitere Behörden – den Weisungen der dem Parlament verantwortlichen Regierung unterworfen ist. Zweitens muss der im konkreten Einzelfall Handelnde seine Handlungsbefugnis (vermittelt über verschiedene Ernennungsakte) im Wege einer ununterbrochenen Legitimationskette auf die Regierung zurückführen können, die ihrerseits durch das Parlament gewählt wird (sog. personell-organisatorische Legitimation)[88]. Beide Legitimationsformen können sich ergänzen und teilweise kompensieren. Notwendig ist jedoch stets, dass ein insgesamt hinreichendes Legitimationsniveau erreicht wird.[89] Dies ist jedenfalls dann nicht mehr gegeben, wenn eine der Legitimationsformen vollständig fehlt.
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