2. Teil Verbraucherschutz› 1. Kapitel Strafrechtliche Produkthaftung› Vorbemerkung
Produkthaftung ist die Haftung für Schäden oder Gefährdungen, die aus dem Inverkehrbringen von Produkten resultieren. Zum Produkt wird eine bewegliche Sache[1] durch ihre Bestimmung zum wirtschaftlichen Austausch. Daran fehlt es bei der Herstellung von Gegenständen zum privaten Gebrauch. Sie kann daher ebensowenig eine Produkthaftung begründen wie (mangels eines Inverkehrbringens) die Beeinträchtigung von Rechtsgütern bei der Herstellung von Produkten.[2]
[1]
Den beweglichen Sachen stellt § 2 ProdHaftG die Elektrizität gleich. Vgl. dazu BGH VersR 2014, 593. Zur Sachqualität von Computerprogrammen Wagner AcP 217 (2017), 707 (716 ff.).
[2]
Kuhlen Produkthaftung, S. 23 f.; Colussi Produzentenkriminalität, S. 17; Contreras Kriterien, S. 43 ff.; Gerst Produktstrafrecht Rn. 3. Zum, nicht einheitlichen, Begriff des Inverkehrbringens siehe Heine /Bosch in: Schönke/Schröder, § 314 Rn. 20; Wolters in: SSW, § 314 Rn. 18 ff.; Taschner in: FS Deutsch, S. 957 (969 ff.); Lenz in: GS Hübner, S. 535; BGH NJW 2014, 326 – Versendung. Weiter Voigtel Produkthaftung Rn. 8 Fn. 12; Wagner AcP 217 (2017), 707 (719).
2. Teil Verbraucherschutz› 1. Kapitel Strafrechtliche Produkthaftung› A. Zivilrechtliche Produkthaftung
A. Zivilrechtliche Produkthaftung
1
Kommt es bei der Verwendung in Verkehr gebrachter Produkte, die deren Entsorgung einschließt,[1] zu Rechtsgutsverletzungen und darauf beruhenden Schädigungen, so stellt sich zunächst die Frage nach einem Schadensausgleich, danach also, ob der Schaden nicht vom Geschädigten selbst zu tragen, sondern vom Produkthersteller oder anderen Personen zu ersetzen ist. Diese Problematik der zivilrechtlichen Produkthaftung ist Gegenstand einer Fülle gerichtlicher Entscheidungen und juristischer Literatur.
2
Zivilrechtliche Produkthaftung ist vorrangig deliktische Haftung[2], des Näheren Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB.[3] Der Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Schadenseintritt auf einer Rechtsgutsverletzung beruht, die durch rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Ersatzpflichtigen verursacht wurde. Diese allgemeinen Voraussetzungen der zivilrechtlichen Deliktshaftung werden für die Produkthaftung so konkretisiert, dass eine insgesamt sehr strenge Haftung des Herstellers resultiert.[4] Bewirkt wird diese rechtspolitisch erwünschte weitgehende Produkthaftung zum einen durch die Statuierung strenger Herstellerpflichten. Sie reichen thematisch von der Konstruktion und Produktion über die Instruktion des Verwenders bis zur Beobachtung des bereits in Verkehr gebrachten Produkts.[5]
3
Zum anderen hat die Rechtsprechung dem Geschädigten den Nachweis der Haftungsvoraussetzungenim Bereich der Produkthaftung wesentlich erleichtert. Zwar obliegt dem Geschädigten der Beweis dafür, dass die Verletzung seines Rechts durch ein fehlerhaftes Produkt hervorgerufen wurde.[6] Doch kann dieser Beweis nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises[7] bzw. durch eine „tatsächliche Vermutung“[8] erleichtert werden. Über diese allgemein bestehende Möglichkeit hinaus hilft zudem im Produkthaftungsbereich die Rechtsprechung dem Geschädigten mit einer Beweislastumkehr zu Lasten des Herstellers. In seinem grundlegenden Hühnerpest-Urteil hat der BGH entschieden, dass bei nachgewiesener Schadensverursachung durch ein fehlerhaftes Produkt dem Hersteller der Beweis dafür obliegt, „dass ihn hinsichtlich des Fehlers kein Verschulden trifft“.[9] Das trägt dem Umstand Rechnung, dass der Hersteller „näher daran (ist), den Sachverhalt aufzuklären und die Folge der Beweislosigkeit zu tragen“[10], als der Geschädigte.[11]
4
Neben die deliktische Verschuldenshaftung ist seit dem 1.1.1990 die Gefährdungshaftung nach dem Produkthaftungsgesetz(PHG) getreten. Weitergehend als § 823 Abs. 1 BGB statuiert das PHG eine Haftung für Schädigungen durch fehlerhafte Produkte, ohne ein fehlerhaftes Verhalten (Inverkehrbringen der Produkte) vorauszusetzen[12]. Da in manch anderer Hinsicht die Produkthaftung gem. § 823 Abs. 1 BGB weiter geht als die nach dem PHG (so ist z.B. nur sie der Höhe nach unbegrenzt und geht u.U. auf Schmerzensgeld)[13], hat aber § 823 Abs. 1 BGB seine Bedeutung als Grundlage einer zivilrechtlichen Produkthaftung behalten.[14]
[1]
Vgl. dazu Koch PHi 1992, 20 ff.
[2]
Zur Problematik einer vertraglichen Produkthaftung vgl. BGHZ 51, 91 – Hühnerpest; BGH VersR 1981, 636 – Apfelschorf; Graf von Westphalen Handbuch, §§ 1–17.
[3]
Zur Produkthaftung nach § 823 Abs. 2 BGB siehe Foerste Handbuch, §§ 31–34 sowie BGH VersR 2006, 710.
[4]
Zum Begriff des Herstellers vgl. Foerste Handbuch, § 25.
[5]
Knapper Überblick bei Katzenmeier JuS 2003, 943, 946 f. Eingehend Foerste Handbuch, § 24.
[6]
Dazu aus der Rspr. BGH VersR 1987, 102 (103) – Verzinkungsspray; BGHZ 99, 167 (181) – Motorrad-Lenkerverkleidung; BGH VersR 1989, 399 – Asthmaspray; BGH NJW 1991, 1948 (1951) – HIV-Infektion; BGH NJW 1992, 560 (562) – Kindertee.
[7]
Vgl. etwa BGH bei Kullmann/Pfister Produzentenhaftung, 7600/7 – Elektrokabel; BGH bei Kullman/Pfister Produzentenhaftung, 7600/4 – Plastikmassebehälter; BGH VersR 2006, 931 – Sportboot; BGH NJW-RR 2010, 1331 – Vioxx; sowie Foerste Handbuch, § 30 Rn. 12 ff.; Kuhlen Produkthaftung, S. 20.
[8]
BGH NJW 1992, 560 (562) – Kindertee.
[9]
BGHZ 151, 91 (104 ff.) – Hühnerpest.
[10]
BGHZ 151, 91 (105) – Hühnerpest.
[11]
Zur Reichweite der Beweislastumkehr vgl. Foerste Handbuch, § 30 Rn. 62 ff. sowie BGH NJW 1992, 560 (562) – Kindertee; Kullmann NJW 1992, 2669 (2676 ff.).
[12]
Zum Verhältnis von Produkt- und Verhaltensfehler vgl. Kuhlen Produkthaftung, S. 14 ff., 23; Wagner AcP 217 (2017), 707 (711 ff.). Aus der Rechtsprechung zum Produktfehler s. BGH VersR 2013, 1450 – Herzschrittmacher (dazu Helmig PHi 2014, 2 ff.); BGH VersR 2014, 593 – Überspannung.
[13]
Vgl. im Einzelnen Foerste Handbuch, § 20 Rn. 10 ff.
[14]
Siehe etwa den Rechtsprechungsüberblick bei Molitoris/Klindt NJW 2010, 1569 ff.
2. Teil Verbraucherschutz› 1. Kapitel Strafrechtliche Produkthaftung› B. Grundzüge der strafrechtlichen Produkthaftung
B. Grundzüge der strafrechtlichen Produkthaftung
5
Unabhängig von der Frage des Schadensausgleichs stellt sich häufig die nach einer Strafhaftung für das Inverkehrbringen fehlerhafter Produkte. Mögliche Rechtsfolgen einer solchen Strafhaftung sind nach deutschem Recht[1] vor allem die Geld- und die Freiheitsstrafe(§§ 38 ff. StGB), das Berufsverbot (§ 70 StGB)[2]) und die Einziehung (§§ 73 ff. StGB) von Gegenständen.[3] Praktisch nicht weniger wichtig ist die Möglichkeit, die (endgültige, d.h. die weitere Verfolgung einer Tat als Vergehen ausschließende) Einstellung eines Strafverfahrensdavon abhängig zu machen, dass der Beschuldigte bestimmte Leistungen, i.d.R. Geldzahlungen, erbringt (§ 153a StPO).
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