8
Noch vor wenigen Jahren neigte insbesondere die wissenschaftliche Literatur dazu, Compliance gleichzusetzenmit schon bislang bekannten (wirtschafts-)strafrechtlichen Fragestellungen. Criminal Compliance aber ohne Weiteres mit Fragen des Wirtschaftsstrafrechts gleichzusetzen, ist nicht gewinnbringend. Dass viele dieser Fragen von einer konsentierten Lösung entfernt sind – das ist im (Straf-)Recht nichts Besonderes –, vermag an diesem Befund nichts zu ändern. Die Probleme, die bei der Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen bestehen, sind den besonderen Schwierigkeiten des Wirtschaftsstrafrechts, nicht hingegen irgendwelchen Besonderheiten von Criminal Compliancegeschuldet.[34] Dass manche Compliance insgesamt für eine inhaltslose Modeerscheinung (vgl. auch Rn. 3) halten,[35] hat seinen Grund denn auch darin, dass dem Begriff häufig mehr oder weniger willkürlich alles zugeordnet wird, was den aktuellen Beschäftigungsgegenstand der Strafrechtswissenschaft bzw. den Beratungsgegenstand der Strafrechtspraxis im Wirtschaftsstrafrecht ausmacht. Auch der häufig und zum Teil noch immer anzutreffenden Parallelisierungvon Criminal Complianceund Korruptionsprävention[36] ist entschieden zu widersprechen.[37] Um Compliance im Strafrecht einen originären spezifischen Anwendungsbereich zu geben, bedarf es deshalb zunächst der weiteren Begriffskonkretisierung in negativer Hinsicht.
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Im Rahmen der Abgrenzung des Wirtschaftsstrafrechts von Criminal Compliancewurde bereits frühzeitig vorgeschlagen, den Bezugsgegenstand (Criminal Compliance im weiteren Sinne) von spezifischen Compliance-Fragen (Criminal Compliance im engeren Sinne) zu unterscheiden.[38] Das geschieht in einem ersten Schritt so, dass – negativ – klargestellt wird, dass „Compliance im Strafrecht“ sich jedenfalls nicht erschöpft im und gleichgesetzt werden kann mit „Wirtschaftsstrafrecht“ (vgl. Rn. 8). Das ändert freilich nichts daran, dass – jedenfalls bislang – der Beschäftigungsgegenstand von Criminal Compliance „das Wirtschaftsstrafrecht“[39] ist. Von diesem Bezugsgegenstand, der in jüngster Zeit erste Aufweichungen und Erweiterungen erfährt ( Rn. 36), lassen sich aber spezifische Fragen der Compliance im Strafrechtunterscheiden.[40] Erst im Anschluss an den grundlegenden ersten Schritt der negativen Abgrenzung der Criminal Compliance von ihrem Bezugsgegenstand des Wirtschaftsstrafrechts kann in einem – deutlich aufwendigeren – zweiten Schritt eine Konkretisierung von Criminal Compliance dann auch in positiver Hinsicht versucht werden (dazu unten Rn. 34 ff.).
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Um (straf)-rechtliche Verantwortlichkeit zu vermeiden, muss antizipiertwerden, ob ein bestimmtes Verhalten strafrechtlich relevantist oder nicht. In diesem Wechsel des Blickwinkels– vom rückwärtsgewandten Blick eines traditionell-reaktiven Strafrechts hin zum vorwärtsgewandten eines im Schwerpunkt modern-präventiven Steuerungssystems – liegt ein Wesensmerkmalund die besondere, häufig kaum zu überwindende Schwierigkeit von Criminal Compliance.[41] In weiten Bereichen des Wirtschaftsstrafrechts (des Bezugsgegenstandes der Compliance, vgl. Rn. 9) lässt sich ex anteeine strafrechtliche Relevanz unternehmerischen Handelns jedoch kaum vorhersagen, während der BGH – sozialpsychologisch naheliegend – aus einer bequemen ex post-Sichtweise und unter dem Eindruck des schließlich ja eingetretenen Schadens (resp. tatbestandsmäßigen Erfolges) stets eher dazu neigen wird, von dessen Vermeidbarkeit und damit im Ergebnis von einer Strafbarkeit auszugehen. Dies verschärft das Problem hier in besonderem Maße.[42] So ist sowohl der Normadressat wie auch der in der Compliance-Beratung tätige Anwalt naturgemäß mit dem im Wirtschaftsstrafrecht häufig uneindeutigen Normappellin – und nicht nach – der konkreten Handlungssituation konfrontiert. Der auf der Hand liegende Einwand, hierbei handele es sich um keine Besonderheit der Criminal Compliance, vielmehr liege die retrospektive Sachverhaltsbeurteilung durch das Gericht in der Natur der Sache, trägt nicht ganz. Denn im Kernstrafrecht gründet die Erwartung, dass der Täter die Verbotsnorm kennt und sie versteht, und sie deshalb befolgt, auf einem meist eindeutigen, ethisch konsentierten und daher vom Normadressaten internalisierten Normappell. Im Wirtschaftsstrafrecht hingegen führen häufig weiche, an der Grenze zur verfassungswidrigen Unbestimmtheit formulierte Tatbestände zu größter Verhaltensunsicherheit. Das Risiko des wirtschaftlich Tätigen ist insoweit ein zweifaches. Nicht nur das ökonomisch-unternehmerische Risiko ist für den Betreffenden (häufig nur schwer) abzuwägen; auch das Risiko, sich strafrechtlich relevant zu verhalten, ist meist deutlich weniger absehbar als in weiten Bereichen des Kernstrafrechts. Wo aber die strafrechtliche Relevanz von Verhalten nicht absehbar ist, lassen sich auch kaum wirksame Maßnahmen zur Vermeidung strafrechtlicher Verantwortlichkeit treffen. Damit ist ein wesentliches Merkmalvon Criminal Compliance als Mittel normativen Risikomanagements die Notwendigkeit der Antizipierbarkeit strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Da in der Praxis regelmäßig die Rechtmäßigkeit eines bestimmten tatsächlichen unternehmerischen Handelns in Frage steht, folgt daraus zunächst die Notwendigkeit, die Frage zu beantworten, ob dieses – im Zweifel unter ökonomischen Gesichtspunkten vernünftige Verhalten – deshalb zu unterbleiben hat, weil im Falle seiner Vornahme die strafrechtliche Sanktionierung droht. Bejahendenfalls sind dann in einem weiteren Schritt diejenigen Handlungsmöglichkeiten zu benennen, die strafrechtlich unbedenklich sind. Das alles macht aber auch recht eindringlich deutlich, dass es gerade die spezifische Komplexität des Rechtsist, die das Phänomen der Compliance paradoxerweise ebenso begründetwie begrenzt: Ohne diese Komplexität bedarf es präventiver Sicherungsmaßnahmen schon gar nicht, gleichzeitig ist es gerade sie, die das wichtigste Ziel von Compliance – die Antizipierbarkeit und Vermeidbarkeit rechtlicher Sanktionen – erschwert.
[1]
Rotsch in: Rotsch, Criminal Compliance, Handbuch, § 1 Rn. 1.
[2]
Für einen instruktiven Überblick siehe Hauschka/Moosmayer/Lösler in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, § 1.
[3]
Von Beseler/Jacobs-Wüstefeld Law Dictionary, Fachwörterbuch der anglo-amerikanischen Rechtssprache, 4. Aufl. 1986.
[4]
Stober NJW 2010, 1573; Bock Criminal Compliance, S. 19.
[5]
Rotsch ZIS 2010, 614.
[6]
Vgl. Bock ZIS 2009, 68; ders. Criminal Compliance, S. 1.
[7]
Uwe H. Schneider ZIP 2003, 646. Siehe noch die Nachweise bei Rotsch in: Rotsch, Criminal Compliance, Handbuch, § 1 Rn. 6.
[8]
Bock Criminal Compliance, S. 19.
[9]
Vgl. Rotsch ZIS 2010, 614. Allerdings weist Engelhart S. 313, zu Recht darauf hin, dass im (US-amerikanischen) Unternehmensrecht die Bindung an das Recht lange Zeit gerade nicht als völlig selbstverständlich angesehen wurde; zu den Gründen vgl. ders. a.a.O., mit Fn. 183.
[10]
Kritisch bereits Rotsch ZIS 2010, 614 (615).
[11]
Rotsch ZStW 125 (2013), 481; Engelhart RW 2013, 208; Schünemann GA 2013, 193 (195 f.). Von einer Änderung des Menschenbildes spricht Schünemann GA 2013, 196. Hassemer (s. Youseff/Godenzi ZStW 125 [2013], 665) hat auf der Strafrechtslehrertagung 2013 vom „Abschied von der Idee des Rechtsguts“ gesprochen. Vgl. noch Rotsch in: Rotsch, Criminal Compliance, Handbuch, § 1 Rn. 6.
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