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Die Vollstreckungsbehörde kann aber auch auf derselben systematischen Ebene die Hilfe des Gerichts in Anspruch nehmen: Beispiele hierfür sind die Vorlage an das Gerichtwegen Zweifeln über die Auslegung des Urteils oder über die Strafzeitberechnung nach § 458 Abs. 1 Alt. 1 StPO oder bei der Geldstrafenvollstreckung der Beschluss über die Durchsuchung einer Wohnung nach pfändbaren Sachen, der dem Gericht obliegt.[7] Hierbei geht es also nicht um eine durch einen Rechtsbehelf veranlasste Kontrolle.
[1]
BVerfGE 19, 342, 352 und 29, 312, 316; BVerfG NStZ 1988, 474; vgl. Volckart 2000.
[2]
Vgl. auch Pollähne StraFo 2007, 404 ff., 486 ff.
[3]
Grundlegend AK-StPO- Volckart vor § 449 Rn. 15–33.
[4]
§§ 462a StPO, 78a, 78b GVG.
[5]
KK- Fischer § 453 Rn. 5.
[6]
Meyer-Goßner § 451 Rn. 20.
[7]
BVerfGE 51, 97 = NJW 1979, 1539.
Teil 1 Vollstreckung I Verteidigung und Rechtsbehelfe› II. Rechtsbehelfe
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Die nachfolgende Übersicht über Verteidigungsmöglichkeitenin der Vollstreckung muss notgedrungen in einigen Bereichen verkürzt bleiben. Das Buch wäre sonst weit über den geplanten Umfang hinaus angeschwollen. Wir haben uns bemüht, die Beschränkungen nur da vorzunehmen, wo andere Darstellungen leicht greifbar sind, auf die verwiesen werden kann.[1]
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Auf der Kontrollebene muss wieder unterschieden werden, ob die Behörde oder das Gericht die Vollstreckungsmaßnahme erlassen hat. Die Kontrolle der Maßnahmen der Vollstreckungsbehörde weist notwendigerweise systematische Ähnlichkeiten mit der verwaltungsgerichtlichen Kontrolleauf. Hierauf wird in den folgenden Abschnitten näher eingegangen. Die Kontrolle der Maßnahmen des Gerichts geschieht auf eine Beschwerde hin. Das Vollstreckungsrecht kennt davon drei Typen: die sofortige Beschwerde, die beschränkte und die einfache Beschwerde.
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Wo bei den vorerwähnten Kontrollentscheidungen das Gericht erstinstanzlich tätig wird (nämlich im Sinne einer verwaltungsgerichtsähnlichen Kontrolle der Tätigkeit der Vollstreckungsbehörde), ist in einigen Fällen kein Rechtsmittel gegeben[2], in anderen die sofortige Beschwerde. Verfahrenssystematisch ähnelt diese Beschwerde der Berufung im verwaltungsgerichtlichen Rechtsweg. Anders liegen die Dinge in den Fällen, in denen statt der Vollstreckungsbehörde das Gericht die Grundentscheidung erlassen hat, wenn die Kontrollentscheidung also auf eine Beschwerde hin ergangen ist. Hier sind Entscheidungen nur möglich, wenn die weitere Beschwerdegegeben ist, die überwiegend für ausgeschlossen gehalten[3], jedoch von einer Minderheit in den Fällen des Sicherungshaftbefehls nach § 453c StPO und des Sicherungsunterbringungsbefehls nach §§ 453c, 463 StPO für zulässig erachtet wird.[4]
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Nach Ausschöpfung des Rechtsweges besteht die Möglichkeit, Grund- und Menschenrechtsverstößezu rügen: Die Grenzen zwischen Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit sind fließend geworden.[5] Dem BVerfG kommt insbesondere im Vollstreckungsbereich – aufgrund der Freiheitseingriffe – größte Bedeutung zu, der es durch maßgeblich korrigierende Entscheidungen auch oft gerecht wird.[6] Anstelle der Anrufung des BVerfG kann in zahlreichen Bundesländern unter bestimmten Voraussetzungen auch die Anrufung eines Landesverfassungsgerichts[7] in Betracht kommen. Auf europäischer Ebene kann der Grund- und Menschenrechtsschutz vorrangig auf der Basis der EMRK vor dem EGMR kontrolliert werden.[8]
Teil 1 Vollstreckung I Verteidigung und Rechtsbehelfe› II› 1. § 458 Abs. 1 StPO
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Die Bestimmung umfasst zwei völlig verschiedene gerichtliche Entscheidungen: Die erste kommt ausschließlich auf Antrag der Vollstreckungsbehörde zustande, wenn diese Zweifel bei der „ Auslegung eines Strafurteilsoder über die Berechnung der errechneten Strafe“ (Abs. 1 Alt. 1) hat. Die zweite Entscheidungsart ergeht auf „Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung“ (2. Alt.); einwendungsberechtigt ist der Verurteilte, die Verteidigung, auch die gesetzliche Vertretung. Erhebt der Verurteilte keine Einwendungen, so kann die Vollstreckungsbehörde ihre eigenen Zweifel allerdings nicht gerichtlich klären lassen[9], sie hat eine Entscheidung zu treffen, gegen die sich der Verurteilte ggf. zur Wehr setzen kann.
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Die Einwendungentspricht der Anfechtungsklage im System des Verwaltungsprozessrechts. Es wird vertreten, der Verurteilte könne die Errechnung des Zweidrittelpunkts z.B. nicht nach § 458 StPO angreifen, weil die StVK die Erledigung der Mindestverbüßungszeit ohnehin inzidenter zu prüfen habe.[10] Die Notierung des Hälfte- bzw. Zweidrittelzeitpunkts oder des Strafendes hat jedoch bereits Regelungswirkung, auch wenn keine Anrechnung vorzunehmen war, weil Vollstreckungs- und Vollzugsbehörden sich daran orientieren. Die Notierung eines zu späten Zeitpunkts ist also ein belastender Verwaltungsakt, der im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG anfechtbar ist. Geregelt wird dies wegen der systematischen Nähe zur Strafzeitberechnungauf Vorlage der Vollstreckungsbehörde in § 458 Abs. 1 StPO. Die Einwendungen richten sich gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung überhaupt; sie können die fehlende Identität mit dem Verurteilten[11], das Fehlen der Rechtskraft oder die Verjährung betreffen.
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Der Wortlaut des § 458 Abs. 1 StPO könnte darauf hindeuten, dass über Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung bei Vollstreckungshindernissenallein das Gericht zu entscheiden habe. Das ist aber nicht richtig: Die Vollstreckungsbehörde hat zunächst selbst zu entscheiden[12] und die Vollstreckung einzustellen, wenn sie der Auffassung ist, dass ein Vollstreckungshindernis besteht.
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Die Vollstreckungsentscheidung, oder genauer: Vollstreckungsmaßnahme, wird vom Rechtspflegererlassen. Dagegen ist in der Regel der Weg zum Gericht eröffnet (§ 31 Abs. 6 RPflG). Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbefristet. Er sollte bei der Vollstreckungsbehördeeingereicht werden, weil diese das Vollstreckungsheft und die Akten führt und ohnehin zu dem Antrag Stellung nehmen muss. Außerdem kann sie dem Anliegen abhelfen. Schließlich prüft sie, welches Gericht zuständig ist: Befindet der Mandant sich – gleich in welcher Sache – in Strafhaft, ist es die StVK, sonst das Gericht des 1. Rechtszuges (§§ 462, 462a StPO). Mit dem Antrag sollte immer ein Antrag auf einstweiligen Aufschub (ggf. Unterbrechung) der Vollstreckung nach § 458 Abs. 3 S. 1 StPO gestellt werden. Der eigentliche Antrag hindert nämlich den Fortgang der Vollstreckung und die Einleitung von Zwangsmaßnahmen nicht. Bei angeordnetem Freiheitsentzug ist nicht auszuschließen, dass der Mandant trotz der Einwendung verhaftet wird.
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Gegen die Entscheidung des Gerichts ist die sofortige Beschwerdegegeben. Mit der Beschwerde, die nur bei dem Gericht eingelegt werden kann, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, sollte regelmäßig ein Eilantrag nach § 307 Abs. 2 StPO verbunden werden. Dieser Eilantragkann sowohl das Gericht der angefochtenen Entscheidung als auch das Beschwerdegericht als auch beide – das Beschwerdegericht mit einem Hilfsantrag – zum Adressaten haben; es kann sinnvoll sein, beide Gerichte mit dem Eilantrag zu befassen.
Teil 1 Vollstreckung I Verteidigung und Rechtsbehelfe› II› 2. §§ 458 Abs. 2, 459h StPO
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