Die Annahme des Willenselements des Tötungsvorsatzes vor dem Entschluss des Angeklagten, die Patientin in ein Krankenhaus zu verlegen, hat demnach keinen Bestand.“
49
Zugleich kritisierte der BGH eine verfehlte Abgrenzung von Tun und Unterlassen hinsichtlich der unzureichenden postoperativen Versorgung,[17] für die er allerdings auch die Möglichkeit eines Verdeckungsmordes durch Unterlassenhervorhob:[18]
„Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte den lebensbedrohlichen Zustand seiner Patientin erkannte, und hat angenommen, dass – freilich ohne Begründung im Einzelnen – er an eine noch mögliche Rettung im Krankenhaus geglaubt hat. Unter diesen Prämissen hat es das Landgericht unterlassen zu erwägen, ob ein untauglicher Unterlassungsversuch der Tötung zur Verdeckung der zuvor erfolgten Körperverletzung vorliegen kann […]. Solches anzunehmen kommt […] für das neu berufene Tatgericht in Betracht, falls sich feststellen lassen sollte, dass der Angeklagte nach Erkennen der Todesgefahr geplant hat, mit der Einlieferung so lange zu warten, bis die Patientin im Krankenhaus sicher versterben würde. Hierdurch hätte möglicherweise ein Nachweis seiner eigenen Verursachung erschwert oder gar unmöglich gemacht werden können.
Ein weiterer Anknüpfungspunkt der neu vorzunehmenden Beweiswürdigung und Bewertung unter diesem Aspekt könnte sein, dass der Angeklagte in Kenntnis der Gefahr eines tödlichen Verlaufs der Erkrankung seiner Patientin bei angenommener Rettungsmöglichkeit gegen 18.30 Uhr – gerade in der Intensivstation – ein Bett bestellt hat und dabei die nachfolgende sachwidrige Verzögerung dieser Rettungschance auf den Willen des Angeklagten zurückzuführen sein könnte, um das Versterben der Patientin im Krankenhaus zur Schonung eigener Interessen zu fördern […].“
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Im Anschluss an das Revisionsurteil wurde der angeklagte Arzt im neuen Verfahren vor dem LG Berlin zu einer Freiheitsstrafe von 7 ½ Jahren wegen versuchten Mordes und einem sofortigen Berufsverbot von 5 Jahren verurteilt. Dieses Urteil hob der BGH [19] abermals infolge einer unzureichenden Darlegung des Tötungsvorsatzesauf. Die Beweiswürdigung krankte insbesondere daran, dass das Tatgericht ein Tötungsmotiv unschlüssig aus der bestreitenden Einlassung des Angeklagten herleiten wollte, mit der dieser anschließend handelnde Ärzte verantwortlich machen wollte.[20] Er sprach den Arzt abschließend wegen § 227 StGB schuldig. Hinsichtlich des Strafmaßes verwies es den Fall an das LG Berlin zurück, das sodann auf eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren und ein Berufsverbot von 4 Jahren erkannte. Diese Strafe hatte bestand.[21]
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Die vorsichtig tendierende Rechtsprechung wird im Schrifttum teilweise als eine verfehlte „ Heilwillentheorie“ kritisiert, die allzu abstrakte Betrachtung fördere und sachverhaltsabgewandt die Vorsatzfeststellung zulasten der Ärzte erschwere.[22] Daran ist richtig, dass eine fallabgewandte, belastende Indizien des Einzelfalles nicht mehr wahrnehmende Entscheidungspraxis ein unbegründetes und allzu pauschales „Ärzteprivileg“ schaffen würde.[23] Die schon allgemein zu befürwortende Vorsicht darf diese Überlegung ihrerseits aber nicht überspielen. Es besteht insbesondere kein Grund, gerade beruflich bedingt mit Todesfällen konfrontierte Ärzte nun regelmäßig mit Schwurgerichtsverfahren zu überziehen. Ebenso darf auch bei den Ärzten nicht übersehen werden, dass bei der Tatfrage des Vorsatzes unterschiedliche Würdigungen des Einzelfalles möglich sind. Allein der Umstand, dass etwa im Fall des Schönheitschirurgen ein anderes Ergebnis bei nuanciert anderen Feststellungen vertretbar erscheint, macht weder die Rechtsprechung des BGH noch die Einzelfallentscheidung unrichtig.[24]
[1]
Vgl. die Nachweise bei Ulsenheimer MedR 1987, 208.
[2]
Zur jurist. Verarbeitung OLG Oldenburg medstra 2019, 101 und Dann medstra 2019, 1 f.
[3]
Zu diesem Problemkreis siehe eingehend zum Meinungsstand m.w.N. Krell medstra 2017, 3 und 90; J. Krüger HRRS 2016, 148 f.; siehe ferner Rn. 1160 ff.
[4]
Dazu anhand des Eröffnungsbeschlusses OLG Oldenburg medstra 2019, 101, 103 f.
[5]
Bestätigend BGHSt 56, 277, 287 ff. In diesem Verfahren wurde der Angeklagte schließlich wegen versuchten Mordes verurteilt, Ulsenheimer , Vorauflage, Rn. 618.
[6]
M.w.N. zu diesem allgemeinen Maßstab OLG Oldenburg medstra 2019, 101, 103 f.
[7]
Gleichsinnig etwa schon BGH NStZ 2004, 35, 36; medstra 2015, 41, 44 – Rn. 45 (nicht am Wohl des Patienten ausgerichtetes Handeln häufig fernliegend); Ulsenheimer , Vorauflage, Rn. 618; Spickhoff/ Knauer/Brose §§ 211, 212 Rn. 16; letztlich wohl auch Kudlich NJW 2011, 2856, 2857.
[8]
Siehe auch schon BGH NStZ 2004, 35, 36 f.: Erörterung unter besonderen Umständen geboten.
[9]
Hier für einen hinreichenden Tatverdacht bzgl. vorsätzlichen Handelns OLG Oldenburg medstra 2019, 101, 103 f.
[10]
Siehe auch mit einer bemerkenswerten Einreihung in die allgemeine Auseinandersetzung um das rechte Verständnis der „Hemmschwellentheorie“ OLG Oldenburg medstra 2019, 101, 103 f., aber mit einer – für den Fall – doch sehr weitgehenden Einforderung vertrauensbegründender Umstände.
[11]
BGHSt 56, 277, 284 ff.; bekräftigend m.w.N. BGHSt 63, 88, 93 ff.; m.w.N. Matt/Renzikowski/ Gaede § 15 Rn. 8, 15 ff., 26.
[12]
Anhand der Fälle zur Manipulation der Organvergabe BGHSt 62, 223 = BGH medstra 2017, 354, 359 f. – Rn. 47 ff.; zur aufgeschobenen Patientenverlegung BGHSt 56, 277, 284 ff.
[13]
Bekräftigend m.w.N BGHSt 63, 88, 93 ff; BGH NStZ 2004, 35, 36; m.w.N. Matt/Renzikowski/ Gaede § 15 Rn. 22 f.; a.A. – in Abweichung vom geltenden Recht – Kubiciel/Wachter HRRS 2018, 332 und Puppe ZIS 2017, 439.
[14]
BGHSt 56, 277 ff. = NJW 2011, 2895 = MedR 2012, 111 = NStZ 2012, 86; fortführend dann BGH NJW 2012, 2898. Eine Einordnung unter § 227 StGB akzeptiert auch BGH BeckRS 2004, 14880.
[15]
BGHSt 56, 277, 284 ff.
[16]
Zu entsprechenden Umständen beispielhaft BGH NStZ 2004, 35.
[17]
BGHSt 56, 277, 286: Schwerpunkt des Vorwurfs lag auf dem Unterlassen der Veranlassung der medizinisch gebotenen cerebralen Reanimation in einer Intensivstation eines Krankenhauses und nicht im bloßen Zuführen – zudem eher nutzloser – kreislaufstabilisierender Medikamente.
[18]
BGHSt 56, 277, 287 ff., u.a. auch mit näheren Erwägungen zu den Mordmerkmalen einschließlich der sonst niedrigen Beweggründe.
[19]
BGH NJW 2012, 2898.
[20]
Dazu näher BGH NJW 2012, 2898 f.
[21]
BGH Beschl. v. 10.3.2014 – 5 StR 51/14.
[22]
J. Krüger HRRS 2016, 148, 151 ff., u.a. mit einem Rekurs auf die fragwürdige Maßstabsanwendung im „Fall Céline“; Neelmeier ArztR 2011, 256, 263; LK/ Rissing-van Saan/Zimmermann § 212 Rn. 44 f.; verhaltener krit. Sternberg-Lieben/Reichmann MedR 2012, 97 ff.; siehe auch die Berliner Verurteilung besonders begrüßend Neelmeier DÄBl. 2012, A 856.
[23]
Treffend auch LK/ Rissing-van Saan/Zimmermann § 212 Rn. 44: Bei belastenden Indizien kann die Ablehnung des Vorsatzes nicht allein auf einen allgemeinen Heilungswillen gestützt werden.
[24]
Zum zugrundeliegenden Vorsatzverständnis nochmals m.w.N. Matt/Renzikowski/ Gaede § 15 Rn. 21 ff., 24 f.
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