Sie musste die Namenslisten für diesen Sommer finden. Jetzt war alles einfach. Ein Häkchen neben ihrem Namen. Ein Häkchen für Jacqueline. Sie musste nur die Privilegien der Admins zu ihnen verschieben, dann konnten sie einfach durch das Tor spazieren.
Ein Häkchen für Potz. Sie suchte: Pe-Pe-Pe. Potz. Nein, das war doch gar nicht der Name. Pokorny, Adalbert. Sie kicherte. Wer nannte sein Kind schon Adalbert. Hm. Die Stifters. Hatte sie nie gelesen. Jugendschutz. Sie schnaubte.
Da war auch Richard. Sie überlegte. Machte das Häkchen. Klickte oben auf das Feld »Berechtigungen«. Wie hieß der Schachspieler? Gruber. Häkchen. Gruber hatte gebettelt. Herzzerreißend gebettelt und ihr den Bauern gegeben. Die automatisiert erstellten Dokumente erschienen auf der Bildfläche. Alle freigeben.
Die Uhr wieder, immer wieder die Uhr. Die Funkübertragung ans Wächterhäuschen war schnell. Die Tür ging auf, wieder das Nicken, was sie denn täte. Sie würde sagen, dass ihre Mutter ihr geschrieben hatte. Sie überlegte es sich anders, sie sagte nicht »Mutter«, sie sagte »meine Mama«. Emotionale Komponente beifügen. Sie mache sich Sorgen. Er lächelte. Stand mitten im Raum, neben dem Gerät, an dem sie versuchte, das Geübte umzusetzen. Bitte dreh dich nicht um, dachte sie, dreh dich nicht um, schau nicht auf die Bildfläche. »Zeit ist fast um«, sagte er, machte kehrt, verließ den Raum. Sie schluckte, drückte den Ausschaltknopf des Gerätes, zupfte den Datenträger viel zu grob heraus.
Sie setzte sich in Bewegung. Warum hatte sie auch Richards Status geändert? Egal, wo sie hingingen. Richard war gestern ungemütlich gewesen, sollte er nur hierbleiben und seine Scheiße ausbaden, dachte sie. Vielleicht bemerkte er es gar nicht. Ein kleines Pulsieren in der Hand kann auch garnichts bedeuten. Ein Update. Ein Wetterumschwung. Vielleicht fragte er seinen Log nicht danach. Nachrichten im Lager waren nur Nachrichten vom Lager.
»Zeit ist vorüber.« Die Tür war aufgegangen, eine Frau mit müden Augen. Auf ihrem Namenskärtchen stand »Anneliese«. Wieder lächelte Emma. Sie hatte das Lächeln schon vor Jahren geübt, alleine vor dem Spiegel, auch ohne Facial Expression Workshop . Sie ging an der Frau vorbei, legte ihr die Brille in die offene Hand und vermisste die scharfen Umrisse der Buchstaben sogleich. Matt, dachte sie trotzdem.
Potz wartete ungeduldig, sie hörte das Scharren seiner Füße am Holzboden, noch bevor sie den Raum betrat. »Wie lief es?« Richard war nicht da. Er lächelte. Sie griff nach dem Vaper: »Die d***** Kuh schreibt Pizzaburger mit ö.« Sie kam sich zum ersten Mal in ihrem Leben gechillt vor: Rechtschreiben konnte sie. Sie zog am Vaper und konnte nicht mehr aufhören zu kichern.
»Du kannst unterwegs rauchen«, knurrte er, hielt ihr den Vaper hin, sie schüttelte den Kopf, ihr war schon schwindelig. »Wir gehen sofort. Bei der nächsten Mahlzeit merken sie, dass wir weg sind, und wir wollen uns doch nicht sofort wieder einsammeln lassen.«
Jacqueline stand in der Tür, seufzte, eine Tasche auf der Schulter: »Wenn wir Glück haben«, sagte sie mit ihrer weichen Stimme, »kehren wir bis zur Nacht nicht in den Käfig zurück.«
Im Jahr 1 vor dem Konsul
Newsfeed im Jahr 1 vor dem Konsul
Die Union gibt sich stur, während die systemisch unterdrückte Minderheit der Dragonkin auf Anerkennung pocht und um strukturelle Gleichstellung kämpft. Live von den Protesten meldet sich unsere Außenkorrespondentin, die Aktivistin Orelia Schlick. Online-Aktivists diskutieren im Anschluss am runden Tisch über die Demonstrationen und die Misrepräsentation der Dragonkin in den Medien, in Anbetracht der unglücklichen Einzelfälle im Vorfeld der Proteste, die der Dragon-Community angelastet wurden. Die Untersuchungen dauern an .
Als sie ins Appartement kamen, nahm Sandor wohlwollend den Duft von Nadelwald wahr. Er hatte vergessen, dass heute Tag der Grundreinigung war, und Kata hatte ihm erlaubt, wieder den Waldduft zu bestellen. Er genoss das Zusammenspiel der hellen Einrichtung und des erfrischenden Odeurs. Er hoffte, so, wie sie jetzt war, würde die Einrichtung lange bleiben, obwohl er stets Veränderungen fürchten musste, wenn Kartons im Flur standen. Kata hatte ihrem Log erlaubt, selbsttätig für sie zu kaufen, was ihr gefallen würde, seit jenem Abend damals, sie waren gerade zusammengezogen und Kata hatte die Möbel ausgesucht, und der Log hatte pünktlich geliefert. Sie hasste alles. Sie stand in der Wohnung und hasste alles. Sie könnte niemals in diesem hässlichen Bett schlafen. Sie hätten es sich nicht leisten können, alles auszutauschen. An diesem Abend schliefen sie auf dem Teppich, den Kata »zu haarig« genannt hatte, dabei war es nur ein grobfädriger Wuschelteppich. Er hatte den Arm um sie gelegt. Seit sie es sich leisten konnte, hatte sie alles dreimal neu einrichten lassen. Sein Arbeitszimmer war dem Kinderzimmer gewichen, er saß im beschaulichen Kämmerlein, Kata arbeitete im Schlafzimmer. Den »grotesken Tisch« hatte sie lieben gelernt. Ein Tisch wie jeder andere, meinte Sandor. Vier Beine, Platte, vielleicht etwas schmal. Der Wuschelteppich war einem Microfaser-Plüschteppich gewichen, der sich anfühlte, als seien kleine Baby-Yetis dafür gestorben. Man hatte wieder versucht, Yetis zu züchten, aber Sandor wollte es gar nicht so genau wissen.
Die Grundreinigung war eine gute Sache. Bei Kata waren die Säuberlein immer bei Bedarf aus den Wänden gestürzt, aber er zog es vor, im Vorhinein einen Tag zu fixieren. Dann konnte man planen, nicht zu Hause zu sein, damit sie einem mit ihren Sensoren nicht ständig ausweichen mussten. Die letzten Monate hatten sie den salzigen Duft eines nördlichen Meeres in der Nase gehabt. Er hatte immer schon Wald gehabt, doch Kata hatte befürchtet, dass der Geruch Einfluss auf ihr Schreiben haben könnte. Als sie hier eingezogen waren, hatte sie viel über Wälder geschrieben, Eines ihrer Märchen hatte ein Programmierer zum Vorbild eines Spiels erklärt und Kata war glücklich gewesen, ihn zu beraten, welche Tiere er in dieser Welt unterbringen konnte. Welche Gestalten Quests gaben, welche Gestalten eine Bedrohung waren. Die Bedrohung ging immer von den Menschen aus und der Spieler musste die Tiere des Waldes beschützen, durfte jedoch Einzelne auch töten. In dem Spiel hatte Sandor bereits viel Zeit verbracht, denn da roch es nach unterschiedlichsten Wäldern. Als die Meeresluft Einzug ins Appartement hielt, hatte er sich in Windeseile hochgelevelt. Nun hatte Kata entschieden, dass sie mehr Zeit mit ihm verbringen wollte, und erkannt, dass er mit dem Waldduft glücklicher war und sich weniger in das Spiel zurückzog. Anstatt ihm vorzuwerfen, dass er ständig im Virtuali war, gab sie ihm den gewohnten Wohnungsduft zurück. Er war glücklich. Zumindest fast, dachte er, als er den Moskitospray auf seine Hand richtete.
Darf der Log auf Ihre Dokumente zugreifen? Sandor knurrte. Als wüsste sie, was er dachte, sagte Kata: »Das ist nur am Anfang so. Da fragt er viel. Aber wenn du ihn lässt, ist es wirklich bequem.« Sandor fühlte sich dabei unwohl: »Ich will nicht, dass er all meine Daten hat.«
»Du verstehst das falsch«, sagte Kata. »Deine Daten sind beim Log sicher, denn nur du hast sie und der Log. Der Log gibt sie nicht weiter. Nicht wie andere Unternehmen oder Programme.« Sandors Hand juckte, er knurrte und sprühte abermals. »Den Log personalisieren?«, fragte der Log. Sandor lehnte ab. Der Log war ein Gerät. Er hatte keine Lust, eine Stimme und einen Namen auszuwählen. Kata nannte ihren Log Marie und Maries Stimme klang fast wie ihre.
»Hast du die Nachrichten gesehen?«, fragte sie. Aber Sandor schüttelte den Kopf. »Die Toleranzunion hat beim Friedenseinsatz ein Tätigkeitslager gefunden. Stell dir vor, die waren nicht für qualvolle Tätigkeiten dort. Die wurden gut behandelt und gut genährt.«
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