«Aber ich fürcht’ mich vor den Geistern, weisst, der Laui-Joseph hat’s doch erzählt, es geistert droben.»
«Bist eine dumme Gans, glaubst dem alten Waschweib allen Blödsinn; es gibt keine Geister, ganz sicher und heilig nicht.»
Zaghaft, mit einem Hoffnungsschimmer hob die kleine Geisshirtin das verweinte Gesichtchen. Wenn der Otto sagte sicher und heilig, war schon etwas dran; sie zankte sich ja oft mit ihm; aber heimlich hatte sie doch Respekt vor dem klugen Buben.
«Mir ist schon allerhand eingefallen, was wir treiben wollen», sagte Otto eifrig, und die beiden streckten die Köpfe zusammen und tuschelten und lachten heimlich. Otto war ein findiger Kopf und Lydia seine getreue Helferin, wenigstens da, wo es galt, unnützes Zeug und Dummheiten zu machen.
Schon zeitig war es auf dem Matteshof lebendig. Stillschweigend wurde das Morgenessen eingenommen. Otto packte wacker ein, während Lydia kaum einen Bissen hinunterbrachte. Die zuversichtliche Stimmung von gestern war wie weggeblasen. Wohl hatte sie mit der Mutter Erlaubnis allerlei eingepackt, um die Stube in dem alten Haus etwas heimeliger zu machen; aber all das tröstete sie wenig. Heute war Dienstag, und bis zum Sonntag sollte sie die Mutter nicht mehr sehen, dies war das schwerste von allem.
Rinder, Kälber, Geissen und Schafe, alles war aus den Ställen getrieben. Das war ein Durcheinander, ein Muhen, Meckern und Blöken, ein Gumpen und Beineln. Die alte Geiss rief kläglich nach ihrem Jungen, das sich gestern Abend ein Bein verstaucht hatte und nun daheim bleiben musste, und das schwarze Schaf hatte seine beiden Lämmer verloren, lief wie besessen zurück zur Scheune, und zwei-, dreimal ringsherum, trotzdem die beiden Jungen bei der Herde waren und schrecklich blökten.
In all den Lärm hinein ertönte die Stimme des Mattes, kurz, laut und herrisch, dass es einem General Ehre gemacht hätte. Endlich war alles auf der eingezäunten Strasse. Wortlos, die grossen Braunaugen voller Tränen, reichte Lydia der Mutter die Hand.
«Sei tapfer, Kind», mahnte die Mutter gütig, «wein nicht, sonst sieht’s der Vater, und gelt, ihr tragt mir Sorg zum Feuer. So und jetzt geh schnell, behüt euch der Herrgott!» Damit wandte sich die Mutter um und ging dem Hause zu. Lydia aber folgte schweren Herzens der übermütigen Herde.
«Wie viel Holz, glaubst, dass es braucht, bis der Braten weich ist?», fragte Otto, der Rindersenn, seinen Handbuben, die Lydia. Lydia stand an dem alten Herd in der russigen Küche und briet ein prächtiges Stück Schweinefleisch goldgelb. Die kleine Köchin überlegte einen Augenblick, dann meinte sie bedächtig: «Schon sicher zwei Zainen voll. Weisst, es wäre doch schad, wenn der Braten nicht lind genug würde, schau doch, wie schön gelb er wird.»
«Ich wollte, es wär’ schon Mittag», nickte Otto geschäftig, «mir wässert schon der Mund danach», und er warf Klotz um Klotz in den grossen Ofen. «So, ich glaube, es tut’s jetzt.»
«Wirf lieber noch ein paar hinein», riet Lydia, «weisst, es ist ein alter Ofen, und die brauchen viel Holz. So, ich stelle den Braten in das Stubenrohr, und jetzt gehen wir auf die Weide und lesen Steine auf, damit wir Hunger kriegen.»
Friedlich graste die Herde auf der nahen Weide. Voll Eifer trugen die beiden Steine an einen Haufen. «Ja, die grossen hätten wir jetzt, dies wäre noch schnell gegangen, aber was machen wir mit den kleinen?», fragte Lydia. «Nimm sie in die Schürze!», schlug der praktische Bruder vor. «Was wollen wir sonst machen?» – «Aber wenn sie kaputt geht?» Otto lachte: «’S wär’ nicht viel hin, um die ist’s, mein’, nicht schade, um so einen ausgewaschenen Lumpen.» Also wurde die Schürze mit viel Eifer immer wieder voll gemacht, schon ein ordentliches Stück war gesäubert; aber, o weh, die Schürze kriegte ein Loch, das grösser und grösser wurde, und zuletzt war’s rein unmöglich, noch etwas darin zu transportieren. «Mutter wird schön schimpfen, wenn sie es sieht», meinte Lydia bekümmert. Doch Otto machte: «Sei froh, dass sie kaputt ist»; und als sich Lydias besorgtes Gesichtchen nicht aufheitern wollte, schlug er vor: «Komm, wir wollen mal nach dem Braten sehen, es ist bald Zeit zum Essen.»
«Ja, wenn nur unser Braten genug Wasser hat, vielleicht hätten wir mal nachsehen sollen», mit diesen Worten eilten die beiden dem Hause zu.
«Herrje, wie ist das eine Hitze», schrie Lydia auf, als sie die Stubentüre öffnete, «wie in einem Bratofen»; und sie eilte zum Fenster und riss einen ganzen Fensterflügel auf.
«Unser Braten, ich glaub, der hat warm genug gehabt», mit diesen Worten riss Otto die alte gusseiserne Ofentüre auf, die ganz rot vor Hitze war. Entsetzt wich er zurück; aus dem Ofenrohr schlug ihm eine glühende Hitze entgegen.
«Hier, nimm den alten Lismer und wind ihn um die Hände», riet Lydia, «wir müssen den Braten herausnehmen, sonst geht er kaputt.»
«Wenn er nicht schon ist», keuchte Otto, indem er mit Todesverachtung das alte Email-Kacheli herausfischte.
Besorgt und neugierig hob Lydia den Deckel, eine Flamme schlug den beiden daraus entgegen, ein zweistimmiger entsetzter Aufschrei; im nächsten Augenblick lief Otto zum Fenster und schleuderte das gefährliche Kacheli in weitem Bogen zum Fenster hinaus. Bleich und zitternd vor Schreck blieben sie am Fenster stehen. «Wo ist wohl der Braten?» fragte Lydia zaghaft. «Komm wir holen ihn, alles wird wohl nicht fort sein, man sieht’s von hier aus nur nicht recht», beruhigte Otto; aber ach, einen Augenblick später standen die beiden vor den spärlichen Überbleibseln ihres herrlichen Mittagessens, zwei halbverkohlte Beinlein, sonst nichts. Zerknirscht, mit den Tränen kämpfend, setzten sie sich vor das Haus, mit einem Stück trockenen Brotes, nicht einmal Milch wärmten sie. «Z’leid nicht!», trotzte Otto. «Was wollen wir nun anfangen?», fragte Lydia, als sie das Stück Brot mit einigen stillen Tränen heruntergeschluckt hatte. – – – «Ja so, du schläfst; hast eigentlich recht. Wenn man nur trockenes Brot hat, mag man halt nicht schaffen.» – Mit einem abgrundtiefen Seufzer zog sie die Schürze untern Kopf und schlief wenige Minuten später tief und fest.
Erst als einige schwere Regentropfen ihnen ins Gesicht schlugen, wachten die beiden auf und flüchteten ins Haus.
«Jetzt können wir doch sicher keine Steine mehr auflesen, meine Schürze ist kaputt, und regnen tut’s auch noch, was wollen wir nun machen?»
«Du, weisst was mir geträumt hat?», fragte Otto. «Wie soll ich das wissen?»
«Mir hat geträumt, ich sei ein Kurgast im Rietbad, weisst, dort in der Quelle oben bin ich in einer Hängematte gelegen, und hab ein schönes Buch gelesen und geschaukelt, fein war’s.»
«Was ist denn eine Hängematte?»
«Herrjeh, hast du dies denn noch nie gesehen?», und so anschaulich als möglich schilderte er ihr die Sache. «Könnten wir die hier nicht auch machen?», fragte Lydia unternehmungslustig. «Wir haben ja kein Netz.»
«Aber unser Leintuch, das wär doch stark genug.» «Draussen regnet’s ja.»
«Kann man’s denn nicht in der Stube auch machen?» «Dummes Ding, man muss doch Bäume haben, vier Bäume.»
Lydia sah wehleidig zum Fenster hinaus. Wenn die Sonne schien und sie im Freien sein konnte, ging es ja ganz gut, aber wenn es trüb und regnerisch war, kam das Heimweh nach der Mutter, und wohl auch ein wenig die Gespensterfurcht.
Otto rannte in die Stube: «Du, Lydia, wir nehmen doch ein Leintuch und machen einfach vier Löcher in die Decke, das gibt eine prächtige Hängematte.»
Lydia war gleich Feuer und Flamme. – «Ich habe in der Grümpelkammer einen grossen, alten Bohrer gesehen, mit dem geht’s schon.» Mit glühenden Wangen machten sich beide an die Arbeit. Daran, was der Vater zu der Sache sagen würde, dachte keines von beiden.
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