Es lebte sich übrigens sehr angenehm mit ihr. Alle die zu ihrer Umgebung gehörten, waren von dieser wahrhaften Kaisermutter des Lobes voll. Sie war mit allem zufrieden und fand sich in alles. Am liebsten hörte sie, wenn man ihre Kinder lobte. Es lag ihr besonders daran, daß man gut von ihnen sprach. Dann belebte sich das in der Regel kalte Gesicht, und ihre nicht großen, aber dunklen Augen leuchteten vor Stolz und Glück. Bis ins hohe Alter hat sie Reste ihrer Schönheit bewahrt. Besonders waren ihre Füße und Hände wahrhaft künstlerisch schön. Ihre Gestalt, obwohl voller als in der Jugend, hatte stets etwas Edles. Sie kleidete sich mit Sorgfalt, ihrer Stellung und ihrem Alter angemessen. Als Letizia 59 Jahre alt war, schuf Canova nach ihrem Ebenbilde die wundervolle Statue der Agrippina, ein vollendetes Meisterwerk, in dem die strenge Schönheit und die Seelengröße dieser Korsin zur vollen Geltung kommen.
Wenn Napoleon im Felde war, lebte Madame Mère noch stiller und zurückgezogener als gewöhnlich. Trotz ihres Vertrauens in sein Genie und in seinen Stern erfüllte die Mutter doch fortwährend die Angst, es könne ihm etwas zustoßen. Dann suchte sie ihren Trost im Gebet und in dem Briefwechsel mit ihren übrigen Kindern, besonders mit Lucien. Aber nur selten ließ sie ein Wort der Besorgnis fallen. Meist sprach sie in ihren Briefen über Familienangelegenheiten. Am liebsten erzählte sie dem, an den der Brief gerichtet war, von den Ihrigen. Dann schloß sie gewöhnlich mit den einfachen Worten: Ich bin Eure Mutter, oder: ich küsse Euch zärtlich. Ihr großer Charakter zeigte sich darin, daß sie allen Kummer in ihrem starken Herzen verschloß und die Mitglieder ihrer Familie nicht unnütz beunruhigte. Aber in ihren Memoirenfragmenten hat Letizia gestanden, was sie in dieser Hinsicht gelitten. »Alle Menschen nennen mich die glücklichste Mutter auf der Welt«, heißt es dort; »und doch war mein Leben eine ununterbrochene Sorge, eine Qual. Bei jeder eintreffenden Nachricht fürchtete ich, daß sie mir die Unglücksbotschaft bringen werde: der Kaiser liegt tot auf dem Schlachtfelde!«
Nicht immer war Frau Letizia mit den Handlungen ihres Sohnes einverstanden. Am meisten schmerzte sie es, daß er alle Rücksichten außer acht ließ, wenn seine Politik auf dem Spiele stand. Da halfen selbst die stärksten Familiengefühle nichts. Daß er im Jahre 1802 die Heirat seines Bruders Louis mit Hortense begünstigt hatte, und zwar auf Veranlassung Josephines, mißfiel ihr und betrübte sie zugleich. Sie sah darin »den Sieg einer fremden Familie über die ihrige«. So drückte sich wenigstens Lucien aus.
Am tiefsten jedoch betrübte sie die Hinrichtung des Herzogs von Enghien. Sie sprach bei dieser Gelegenheit die prophetischen Worte zu Napoleon: »Du wirst der erste sein, der in den Abgrund versinkt, den du jetzt unter den Füßen deiner Familie gräbst.« Weder die Tränen seiner Mutter, noch Josephines und Hortenses Flehen konnten ihn von dem Schritt abhalten, den seine Politik ihm vorschrieb. Interessant ist zu wissen, daß Madame Mère dem unglücklichen Herzog von Enghien kurz vor seinem Tode noch einen Dienst erwies. Er hatte den Wunsch ausgedrückt, daß sein Lieblingshund und einige Gegenstände, die ihm teuer waren, einer Dame übergeben würden, deren Adresse er nannte. Man fragte Frau Letizia, wer wohl diese heikle Mission erfüllen solle. Da sich niemand fand, nahm sie es selbst auf sich, der betreffenden Dame die letzten Grüße und Erinnerungen des Prinzen zukommen zu lassen.
Da sie eine strenge Katholikin war und in dem Oberhaupt der Kirche eine unantastbare, unfehlbare Persönlichkeit sah, litt sie im Jahre 1809 ebenfalls sehr darunter, daß der Kaiser den Heiligen Vater hatte verhaften und nach Frankreich bringen lassen. Eine solche Maßnahme schien ihr ungeheuer, kaum faßbar. Sie vermochte nichts daran zu ändern, denn sie hatte keinen Einfluß auf die politischen Angelegenheiten ihres Sohnes.
Wenn Letizia sich im allgemeinen nicht in die Staatsgeschäfte mischte, so hat sie doch im besonderen dem Kaiser hin und wieder mit ihrem Rate, nicht nur in Familiensachen, beigestanden. Man sagt sogar, sie habe immer mit Napoleon, wenn er nicht in Frankreich weilte, einen geheimen Briefwechsel unterhalten. So war sie es, die den Kaiser im Jahre 1808, als er sich in Spanien aufhielt, zuerst von der Verschwörung benachrichtigte, die Fouché und Talleyrand gegen ihn schmiedeten. Napoleon reiste darauf sofort nach Paris zurück.
Auch Ämter und Würden hat Madame Mère, besonders ihren Verwandten und Landsleuten, verschafft. Nie wandte sich ein Korse vergebens an sie. Nur mußte der Bittsteller einer von den »Ihrigen« sein, denn sie unterschied auch als Kaisermutter noch die Korsen von Ajaccio und die von Bastia. Vor allem erhielt die ganze Sippe der nahen und fernen Verwandtschaft durch Letizia Anstellungen und Titel. Im großen und ganzen aber stand die Mutter Napoleons den Ereignissen, die durch die Handlungen ihres Sohnes hervorgerufen wurden, fern. Sie hatte genug in ihrer Familie zu schaffen und zu schlichten.
Da sie schließlich einsehen mußte, daß alle ihre Bemühungen, die feindlichen Brüder Napoleon und Lucien zu versöhnen, erfolglos blieben, gab sie sich damit zufrieden, wenigstens das Glück der Kinder Luciens zu begründen. Sie meinte das am besten dadurch zu können, daß sie Luciens älteste Tochter aus erster Ehe, Charlotte Marie, im stillen zur Frau des Kaisers bestimmte und erzog. Denn Letizia war von der Notwendigkeit einer Scheidung ihres Sohnes von der kinderlosen Josephine vollkommen überzeugt. Da es Lucien, dem einzigen ihrer Söhne, nicht beschieden war, auf einem Throne zu sitzen, so sollte dieses Glück wenigstens seinem Kinde nicht entgehen. So dachte die Mutter und Großmutter. Ihr Plan scheiterte jedoch an den politischen Absichten ihres Sohnes Napoleon.
Dennoch hieß Letizia die Scheidung des Kaisers willkommen und wohnte jenem dramatischen Familienrate der Bonaparte von 1809 bei, in dem Josephines Urteil gesprochen wurde. Letizia hatte die Schwiegertochter nie geliebt, später noch weniger, als ehe sie sie persönlich kannte. Ja, sie haßte sie aus tiefstem Grunde Ihres Herzens, und dieser Haß übertrug sich sogar auf ihre andere Schwiegertochter, die sanfte Hortense und deren Kinder. Jetzt trennte sich Letizia ohne Bedauern von Josephine.
Letizia Bonaparte. Lithographie von Villain, Zeichnung von Devéria nach einem Gemälde von Gérard. Porträtsammlung der Nationalbibliothek, Wien
Größere Sorge bereitete ihr das plötzliche Verschwinden Louis' aus Holland. Sie war erst dann einigermaßen beruhigt, als Napoleon, sobald er selbst etwas Näheres über diese Flucht wußte, ihr sagte, daß sich der ehemalige König von Holland in Teplitz befinde und es ihm gut gehe. »Da Sie über Louis' Befinden sehr besorgt sein müssen«, schrieb der Kaiser an seine Mutter, »so verliere ich keinen Augenblick, Ihnen dies mitzuteilen.« Man sieht, der erste Gedanke Napoleons war, daß Letizia sich um eins ihrer Kinder sorgen könne. Er kannte seine Mutter. Ihre Fürsprache für Louis hatte jedoch ebensowenig Nutzen wie einst ihre Bemühungen um Lucien.
Napoleons Heirat mit Marie Luise befriedigte Letizia fast ebenso wie den Kaiser selbst, nur in anderm Sinne. Nicht, weil die neue Schwiegertochter ein Kaiserkind war, sondern weil sie jung war und ihr die Hoffnung ließ, Enkel zu bekommen. Sympathisch war ihr auch Marie Luise nicht. Als sie später ihrem Napoleon nicht in die Verbannung folgte, verachtete Madame Mère sie sogar.
Napoleon I., als Kaiser. Nach einem Gemälde von Vernet
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