Als Napoleon Ende 1793 zum Bataillonschef der Belagerungsartillerie vor Toulon ernannt worden war, übersiedelte Letizia, um dem Sohne näher zu sein, nach der Umgebung der belagerten Stadt. Hier konnte er sie besser und leichter unterstützen. Bald strahlte sein Ruhm auf die ganze Familie aus: mit der Eroberung von Toulon hatte auch vorläufig die größte Not der Bonaparte ein Ende.
Nachdem Napoleon Brigadegeneral und gleichzeitig mit dem Kommando der Artillerie der Italienischen Armee und mit der Besichtigung der Küstenbatterien betraut worden war, riefen ihn seine Pflichten nach Antibes. Dorthin ließ er auch im Frühjahr seine Mutter und seine Schwestern kommen. Er brachte sie im Schlosse Sallé unter. Hier lebte Letizia trotz allem immer noch sehr einfach, obwohl ihre Lage im Vergleich zu den ersten Wochen in Marseille glänzend war. Sie hat den Aufenthalt in dem alten, malerisch gelegenen, von Licht und Sonne umflossenen Schlosse niemals vergessen. Noch als Kaisermutter erzählte sie, daß sie dort die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht habe. Und doch erinnerten sich die Einwohner von Antibes noch lange, daß Frau Bonaparte ihre Wäsche in dem vorbeifließenden Flusse selbst gespült hatte.
Das hinderte Madame indes nicht, auch »ihre Salons« zu öffnen. Die lebenslustigen Töchter bestanden darauf. Der Sohn brachte seine Kameraden, junge liebenswürdige Offiziere, ins Haus der Mutter, bei deren Gesellschaften er stets zugegen war. Man spielte ein wenig Theater, deklamierte, sang und tanzte, und Fröhlichkeit herrschte von morgens bis abends im Schlosse Sallé; dafür sorgten schon die jungen Mädchen.
Im darauffolgenden Sommer ging Letizia mit Napoleon nach Nizza. Erst nach fünfmonatiger Abwesenheit kehrte die Familie nach Marseille zurück. Inzwischen hatte sich Joseph verheiratet. Die Mutter hoffte, ihr Sohn Napoleon werde die junge Schwägerin Josephs, Désirée Clary, heimführen, aber böse Zungen behaupteten, die Clary hätten mit einem Bonaparte in der Familie genug gehabt. Auch Lucien schloß einen Bund. Seine Heirat mit Christine Boyer, der Tochter eines Gastwirts, war nicht nach dem Geschmack der Familie. Doch die einfache Letizia söhnte sich bald mit der Schwiegertochter aus, weil sie bescheiden und anspruchslos war, ihren Mann über alles liebte und ihm Kinder schenkte. Das gefiel der Korsin.
Mehr Enttäuschung erlebte Frau Bonaparte hingegen durch die Heirat ihres Napoleon mit der ehemaligen Vicomtesse de Beauharnais. Letizia war über diesen Schritt ihres Sohnes so ärgerlich, daß sie ihren Aufenthalt in Marseille verlängerte, obwohl Napoleon immer drängte, sie solle nach Paris kommen. Ein weiterer Grund zur Sorge für sie war, daß dieser Ehebund nicht durch die priesterliche Weihe geheiligt worden war. Letizias frommer Glaube litt darunter. Abergläubisch wie alle Bonaparte sah sie darin ein böses Omen für die Zukunft ihres Napoleon. Kurz, die Schwiegertochter, diese vornehme Weltdame, diese »Vicomtesse«, die in der leichtsinnigsten Gesellschaft von Paris gelebt hatte, von der man sich allerlei pikante Geschichten erzählte, und die ihr viel zu alt für den Sohn war, sagte dem einfachen korsischen Charakter nicht zu. Letizia glaubte nicht, daß Josephine ihren Mann glücklich machen könne. Am meisten aber fühlte sie sich in ihrem Mutterstolz verletzt. Napoleon hatte, ganz gegen korsische Sitte, sie, die Mutter, das Oberhaupt der Familie, nicht um ihre Einwilligung zu dieser Heirat gebeten. Dennoch antwortete sie der Generalin Bonaparte in liebenswürdigem Tone auf deren Brief. Sie schrieb ihr unter anderm: »Seien Sie versichert, daß ich für Sie die ganze Zärtlichkeit einer Mutter empfinde und Sie ebenso liebe wie meine eigenen Töchter.«
Bald jedoch wurde Letizias Sorge über diese Heirat durch die Ernennung Napoleons zum Oberbefehlshaber der Italienischen Armee verdrängt. Und als dieser auf seiner Reise nach Italien durch Marseille kam, um von den Seinen Abschied zu nehmen, umarmte Letizia ihn mit den Worten: »Nun bist du ein großer General!« Darin lag der ganze Stolz, das ganze Glück der Mutter. Ihr Segen begleitete ihn ins Feld. Als er von ihr ging, dem Ruhme und Glanze entgegen, da rief sie ihm nach: »Sei ja nicht unvorsichtig, nicht waghalsiger, als es dein Ansehen erfordert! Gott! Mit welcher Angst werde ich jeder Schlacht entgegensehen. Gott und die heilige Jungfrau mögen dich schützen!« In Gedanken folgte die Mutter seinem Ruhme mit ihren Wünschen für sein Wohlergehen.
Als Letizia später in Begleitung ihrer Kinder den Sieger von Montenotte, Millesimo, Castiglione und Arcole in Italien wiedersah, den bleichen, mageren General, der nicht Rast noch Ruhe kannte, preßte sie ihn voll Stolz an ihr Herz und sagte: »O Napolione, ich bin die glücklichste aller Mütter!« Es entschlüpften ihr aber auch die sorgenden Worte: »Du tötest dich.« – »Im Gegenteil«, erwiderte Napoleon heiter, »es scheint mir, daß ich lebe!« – »Sage lieber«, warf Letizia ein, »daß du in der Nachwelt leben wirst – aber jetzt ...!« – »Nun, Signora«, entgegnete der Sohn –, sie hatte es besonders, gern, wenn er sie Signora nannte –, »nun, Signora, heißt das etwa sterben?«
Noch einmal kehrte Frau Bonaparte nach Marseille zurück. Von dort begab sie sich mit ihrer Tochter Elisa, die inzwischen Frau Baciocchi geworden war, nach der jetzt endlich vom englischen Joch befreiten Heimatinsel. Mit welcher Freude begrüßte sie die alten lieben Felsen! Arm und hilflos war sie einst vor ihren Verfolgern geflüchtet, – als Mutter des gefeierten italienischen Siegers kehrte sie jetzt zurück. Aber ihr Haus fand sie verwüstet. Sofort machte sie sich an die Arbeit, das Nest für sich und die Ihrigen wieder aufzubauen, übergroße Anstrengungen aber warfen sie aufs Krankenlager und verlängerten ihren Aufenthalt in Korsika. So erfuhr sie von dem Triumphe, den man ihrem »großen General« bei seiner Rückkehr nach Paris entgegenbrachte, nur vom Hörensagen und durch die Zeitungen.
Während Napoleon in Ägypten war, versuchten englische Nachrichten oft die Ruhe der Mutter des Siegers zu stören, indem sie das Gerücht von seinem Tode verbreiteten. Aber Letizias festes Vertrauen auf sein Genie ließ sich nicht so leicht erschüttern. Eines Tages sagte sie zu verschiedenen, bei ihr in Ajaccio anwesenden Personen mit stolzer Zuversicht: »Mein Sohn wird in Ägypten nicht so elend umkommen, wie es seine Feinde gern möchten. Ich fühle, daß er zu Höherem bestimmt ist!« Auch sie glaubte an den Stern Napoleons.
Um dieselbe Zeit, als sich der General Bonaparte in Ägypten nach Frankreich einschiffte, verließ auch seine Mutter die heimatliche Insel. Sie traf einige Tage vor ihrem Sohne in Paris ein, ohne zu ahnen, daß sie ihn so bald wiedersehen werde.
Die Ereignisse des 18. Brumaire fanden statt. Frau Letizia, die bei Joseph wohnte, zitterte für das Geschick ihrer Kinder, wie die Mutter der Gracchen. Äußerlich zwar merkte man ihr nicht viel an, nur Totenblässe bedeckte ihr Gesicht, und jedes Geräusch erschreckte sie. Die spätere Herzogin von Abrantes, die sich am 19. Brumaire mit ihrer Mutter, Letizia und Pauline im Theater Feydeau befand, erzählt von Letizias Gemütsverfassung an diesem Tage Interessantes: Frau Bonaparte schien außerordentlich aufgeregt und besorgt zu sein. Sie sagte freilich nichts, sah aber öfter nach der Tür der Loge, und meine Mutter und ich merkten, daß sie jemand erwartete. Der Vorhang ging auf, das Stück begann ganz ruhig. Plötzlich trat der Regisseur vor die Rampe, verbeugte sich und sagte mit lauter Stimme: »Bürger! Der General Bonaparte ist soeben in Saint-Cloud einem Attentat der Vaterlandsverräter entgangen!«
Bei diesen Worten stieß Pauline einen markerschütternden Schrei aus und war furchtbar erregt. Ihre Mutter, ebenfalls tief erschüttert, suchte sie zu beruhigen. Letizia war bleich wie eine Marmorstatue. Wie sehr sie jedoch innerlich litt, auf ihrem damals noch immer schönen Gesicht sah man nichts als einen ganz leisen schmerzhaften Zug um die Lippen.
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