„Warum schweigt Ihr denn alle so? Andermal haben wir auch Römer umgebracht. Und auch jetzt werden wir sie erschlagen.“ Judas nahm die Sica9 und rammte sie in das gebratene Lamm, das auf einer runden Platte vor ihm stand. Er schnitt sich ein großes Stück ab und steckte es in den Mund.
„Diesmal sind es viele“, ließ ein Mann am Tische hören.
„Was soll das? Der Gott schickt sie direkt in den Rachen des Löwen“, murrte Judas und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. Er nahm sein Glas und leerte es in einem Zug. Judas hatte es noch nicht auf den Tisch gestellt und schon kam ein Mädchen und füllte es von neuem.
Er hatte ein breites, zerfurchtes und willensstarkes Gesicht mit krausem Haar und kurz geschorenem Bart, breite Schultern und zupackende Hände. Obwohl er der Anführer war, schwang er sein Schwert gleich mit allen anderen, zog als erster in die Schlacht und schürte Furcht unter seinen Feinden.
„Wir haben uns geschworen, unseres Land zu befreien und von neuem das gefallene Tabernakel10 von David aufzurichten. Und nichts kann uns aufhalten, unseren Weg zu verfolgen, den wir gewählt haben. Auch der Tod nicht. Diesen, die für die Sache fallen, wird ewiger Ruhm und ein Platz neben Gott beim Jüngsten Gericht gebühren. Und wenn einer diesen Weg nicht betritt, werde ich ihm selbst das Leben nehmen.“
Der Mann erhob sich ein wenig und sah die um ihn Sitzenden mit strengem Blick an. Selbst die in Schlachten abgebrühten Kämpfer konnten diesem nicht standhalten. „Wisst Ihr, wen ich mehr hasse als die Römer?“
Alle schauten ihn an, ohne ihm zu antworten.
Judas schüttelte den Kopf und fuhr fort: „Jene, die Reichtum auf Kosten des Volkes anhäufen und ihre Kreuze zerbrechen, um sich vor Rom zu beugen. Jene, die den Tempel mit ihrer Gegenwart schänden und die Frechheit haben, Ware für die Gesundheit von Caesar zu opfern. Jene, die uns sagen, dass wir ihnen Steuern zu zahlen haben, als ob ihnen die Erde gehöre und nicht Gott. Jene, die den letzten Happen der Armen nehmen und diese dem Hungertod preisgeben. All diese sind nicht würdig zu leben, weil sie den Geboten Moses abtrünnig geworden sind. Deshalb zünden wir deren Häuser an, deshalb nehmen wir ihnen das Hab und Gut, deshalb töten wir sie zusammen mit ihren Familien. Sie haben keinen Platz auf unserem Land.“
Judas erhob sein Glas. Im Raum herrschte Grabesstille.
„Und wisst Ihr, warum wir siegen werden? Weil es von den Propheten vorhergesagt worden ist. Es ist gesagt, aus dem Lande Judäa kommt ein Mann, der wird die Söhne des Seth zugrunde richten und über die Völker herrschen. Es wird die letzte Zeit anbrechen und das Reich Gottes herrschen. Und nur die Gerechten werden daran teilhaben. Nicht wahr, Zadok?“
Der Mann zur Rechten nickte nur zum Zeichen der Einwilligung.
„Wie die Makkabäer die Griechen verjagten, so werden auch wir die Römer verjagen. Wenn die das konnten, so können wir das auch. Mein Vater Mathias verbrannte für die wahre Sache – wenn es sein muss, so werden auch wir dafür verbrennen.“
Judas schaute erneut die Männer an. Ihre Gesichter waren gleichzeitig roh und von Entschlossenheit erstrahlt, womit sie der Causa ergeben waren. Er fühlte sich befriedigt, seine größte Angst bestand darin, das Vermächtnis seiner Vorfahren nicht erfüllen zu können. Er erblickte in seiner Erinnerung noch die Flammen, in denen sein Vater erstickte.
Herodes der Große ließ ihn verbrennen als Strafe für den Aufstand gegen das Anbringen des goldenen römischen Adlers im Tempel. Diesen Frevel hätte kein Jude jemals zulassen können. Man warf ihn in den Turm, er sollte als Opferlamm nach dem Tode des Königs dienen.
Doch das Schicksal hatte anders entschieden. Herodes starb unter unsäglichen Qualen, geschickt vom Allerhöchsten, und sein Sohn Archelaos wagte es nicht, sich der Menge zu widersetzen, und ließ ihn unter deren Druck auf freien Fuß.
Man hörte ein Klopfen und Hämmern, das sich zu einem Dröhnen erhob. Es kam von dem Tische. Von den Fäusten der Aufständischen, die damit zum Zeichen ihrer Zustimmung auf das massive Holz schlugen.
Auf dem Gang an der Wand erschien eine Frau mit zwei Jungen. Sobald Judas sie erblickte, stand er auf und winkte mit der Hand, sodass der Lärm verstummte.
„Und nun esst und trinkt, es könnte Euer Letztes sein.“
Seinen Worten folgten Gelächter und spaßige Zurufe. Er stellte den Stuhl zur Seite und trat auf die Frau zu. Sobald er sie erreicht hatte, ließ er sich auf die Knie nieder und gab den Jungen ein Zeichen. Diese stoben auf und flogen ihm um den Hals. Judas schloss die Augen und umarmte sie, stand auf und schaute in ihre glücklichen Gesichter.
„Jakob, Schimon! Wie groß Ihr geworden seid“, sagte er und struwwelte ihnen die Haare. „Ihr seid ja richtige Männer geworden“, fügte er hinzu und seine Augen strahlten vor Vaterstolz.
„Vater dürfen wir mit dir gehen?“
Judas erhob sich und nickte der Frau zu, die die Jungen hergeführt hatte. „Ich habe eine wichtigere Aufgabe für Euch.“
„Was für eine?“, begeisterten sich die Knaben.
„Jetzt seid Ihr die Männer in der Familie und müsst Eure Mutter schützen, nicht wahr?“
Die Gesichter der Jungen sahen gespannt auf den Vater. „Wir wollen mit dir gehen und gegen die Römer kämpfen.“
„Auch das wird eines Tages geschehen. Und wenn ich nicht zurückkomme … nicht wahr, Ihr wisst, was Ihr macht?“
„Wir wissen es.“
„Was?“
„Was Großvater Mathias getan hat, was auch du tust, Vater. Du verjagst die Römer von unserem Land.“
„Genau so“, nickte Judas zubilligend mit dem Kopf. „Und wenn Ihr etwas nicht wisst, wen fragt Ihr da?“
„Zadok, den Lehrer.“
„So ist’s recht, nun geht in Euer Zimmer zurück.“
Die Knaben verbeugten sich und eilten den Weg zurück.
Die Frau schaute ihnen nach, bis sie sich entfernt hatten, und kehrte um. Ihr Gesicht war schön, doch voller Trauer. „Ich habe da etwas über die Römer gehört.“
„Mach dir keine Sorgen, Rahel.“ Judas trat auf sie zu, umarmte fest seine Frau und küsste sie auf die Stirn. „Die Jungen sind gesund und stark.“
„So ist es“, entgegnete die Frau. Über die glatte Haut ihrer Wange kullerte eine Träne. „Du kommst doch wieder, nicht wahr?“
„Wir haben das doch schon besprochen, Rahel. Mein Leben gehört dem Gott und nur er weiß, wie lange dies dauert. Wenn meine Zeit gekommen ist und ich nicht zurückkehre … geh mit den Knaben zu Zadok, er weiß, was zu tun ist.“
***
Sepphoris11 hatte erneut den Zorn der Römer herausgefordert. Schwarz ragten die Überreste der dem Erdboden gleichgemachten Gebäude in den Himmel, der über der Stadt verdunkelt war von dem Qualm, der sich immer noch von den glimmenden Feuern erhob. Die Luft war geschwängert vom Geruch von verbranntem Holz, Hausrat und menschlichem Fleisch.
Rom überschüttete mit aller Wut und Grausamkeit die Stellen, von denen der Aufstand des Judas von Galiläa ausgegangen war. Mithilfe der Bevölkerung hatte dieser die Kasernen besetzt und die gesamten Vorräte an Waffen entwendet, um seine Leute zu bewaffnen.
Jemand musste für diesen Frevel büßen.
Die Paläste der Reichen und die Tiere waren verschont geblieben.
Es konnten sich nur die Menschen retten, die geflohen waren, als die römischen Legionen im Anzug waren. Die armen gefangenen Flüchtlinge wurden als Sklaven verkauft.
Die Verteidiger der Stadt hielten nicht lange aus, die meisten kamen in dem ungleichen Kampf um und die, die nicht getötet worden und in Gefangenschaft geraten waren, verfluchten ihr Schicksal, dass sie nicht in der Schlacht gefallen waren.
An beiden Seiten des Weges, der nach Jerusalem führte, waren unzählige Kreuze errichtet worden, an denen die gefangenen Aufständischen aufgehängt wurden. Es waren Tausende …
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