Unsere Armee weiß, was auf sie zukommt. Sie sind darauf eingestellt, den mächtigsten Gegnern gegenüberzustehen, auf die unsere Welt jemals gestoßen ist. Für die Truppen unserer Verbündeten gilt das jedoch nicht. Sie haben noch nicht erlebt, wozu diese gnadenlosen Kämpfer fähig sind. Ich hoffe, sie werden dieser Aufgabe gewachsen sein.
Ein Kommandant hebt seinen Arm mit einer geschlossenen Hand. Das Zeichen, anzuhalten. Er ist wohl in Sichtweite des Lagers gelangt. Jetzt folgt der schwierige Teil. Unsere Soldaten und die Truppen der anderen Länder sollten inzwischen die Lichtung umzingelt haben. Kein Gegner soll durch unser dichtes Netz entkommen können. Wir dürfen nicht zulassen, dass die anderen Lager unserer Feinde gewarnt werden. Wir müssen alle Männer gleichzeitig überwältigen.
Der Boden im Lager ist uneben. Durch die Sitzgelegenheiten und die Gegenstände, die überall verteilt sind, wird es schwierig für unsere Männer werden, sich problemlos fortzubewegen. Doch unsere Überzahl sollte dennoch von Vorteil sein. Daran klammere ich mich aus ganzem Herzen. Hinter uns kann ich die Ankunft weiterer Soldaten hören. Langsam wird der Platz zu eng. Wir müssen mit unserem Überfall beginnen, bevor wir uns gegenseitig zerquetschen.
Manekas nickt einem seiner Männer zu. Der stößt einen schrillen Pfiff aus. Das Zeichen zum Angriff.
Alle Soldaten in der ersten Reihe erheben sich und brechen durch das Dickicht, in dem sie sich versteckt gehalten haben. Immer noch sind sie unsichtbar. Ich kann es erkennen, weil sie für meine Augen nicht ganz scharf wirken. Jetzt müssen sie die letzten Fuß bis zu den ersten Feinden zurücklegen.
Unsere Gegner sind überrascht und wissen nicht, was der Lärm bedeutet. Dennoch springen alle auf und ziehen ihre Waffen, als ein Summton ertönt. Es handelt sich wohl um eine Warnung. Auf dem Schlachtfeld haben die Geräusche, die die Kommandanten ausgestoßen haben, ganz anders geklungen.
An mehreren Stellen erreichen unsere Soldaten die feindlichen Krieger. Ihre Schwerter bohren sich weit genug in die schwarzen Rüstungen, damit sie Schaden anrichten können. Leider gehen doch nur wenige Gegner zu Boden. Blut fließt, stoppt die Überrumpelten allerdings nicht an einem Gegenschlag. Obwohl unsere Soldaten noch unsichtbar sind, gibt das hell leuchtende Blut auf den ebenfalls nicht erkennbaren Schwertern ein gutes Ziel ab.
Ich schiebe mich ein Stück weiter durch das Unterholz und richte mich auf. Mit ein paar gemurmelten Worten wirke ich einen Zauber, der das Blut auf unseren Schwertern und unseren Kämpfern unsichtbar macht. Bis die Wirkung einsetzt, wurden bereits einige unserer Männer getroffen. Manch einer wurde tödlich verletzt. Neue Krieger nehmen ihre Plätze ein und drängen vorwärts. Aufgrund des Platzmangels wird es zu einem Kampf Mann gegen Mann. Die Hiebe unserer Gegner sind kraftvoll wie nie zuvor. Dagegen können wir nicht ankommen.
Noch einmal benutze ich meine Magie und schicke Wellen aus, die die feindlichen Soldaten von den Füßen werfen. Ich springe an eine andere Stelle und verursache auch dort eine Energiewelle, die einige Gegner ausschaltet. Unsere Soldaten können an dieser Stelle weiter vordringen.
Überall herrscht Chaos. Nach und nach werden unsere Männer sichtbar. Das Summen unserer Feinde vibriert in meinen Ohren. Das Geräusch schmerzt so sehr, dass ich mich kaum konzentrieren kann. Von allen Seiten sind Schreie zu hören und verstärken dadurch mein Unwohlsein nur noch. Verletzte gehen zu Boden. Leider handelt es sich vermehrt um unsere Leute. Mein Entsetzen steigt weiter an, während ich dabei zusehe, wie unsere Männer nicht gegen die kräftigen und gut ausgerüsteten Eindringlinge in unserem Land ankommen.
Mit bangem Herzen murmle ich den Zauber, der unsere Männer wieder unsichtbar macht. Zumindest unsere Soldaten an erster Front sollen eine Chance haben, sich unseren Feinden unbemerkt zu nähern. Wieder springe ich an einen anderen Ort und löse eine Energiewelle aus, um meinen Beitrag zu leisten. Meine erste Schlacht war ein abschreckendes Beispiel für mich. Ich werde mich nicht selbst mit der Verwendung eines Schwertes in Gefahr bringen. Ich bin ungeübt, habe nicht genug Kraft, um die Klinge zu führen. Deshalb nutze ich ausschließlich meine magischen Fähigkeiten, um unserer Sache zu dienen. Ich hoffe, es reicht dieses Mal.
Immer mehr unserer Soldaten drängen auf die kleine Lichtung. Mit der Unterstützung unserer Verbündeten sollte es uns eigentlich gelingen, unsere Feinde zu überwältigen. Allerdings haben unsere Gegner nicht vor, sich freiwillig zu ergeben. Diejenigen, die von einem Schwert getroffen wurden, kämpfen weiter, bis sie ihre Verletzungen zum Aufhören zwingen. Mitten im Getümmel sehe ich einen Feind, der sich in seine eigene Klinge stürzt, als zwei unserer Männer vergeblich versuchen, ihn zur Seite zu ziehen. Wenige Fuß weiter entdecke ich eine ähnliche Szene.
Sterben diese Krieger lieber, als sich von uns gefangen nehmen zu lassen?
In meinem Kopf suche ich nach einem Spruch, mit dem ich sie davon abhalten kann. Ich gehe all die Zauber durch, die ich in meinem Leben bereits gelesen habe. Mein Großvater hat von meiner Gabe, die einzelnen Seiten eines Buches vor meinem inneren Auge abrufen zu können, nie etwas geahnt. Ich sehe manche Stellen verschwommen und die Übung in der Anwendung fehlt mir, weshalb meine Zauber nicht immer funktioniert haben. Doch jetzt bin ich mir sicher, dass kein geeigneter Spruch in Oremazz’ Büchern steht.
Unsere Soldaten ergießen sich in einer Flutwelle über die Lichtung. Viele von ihnen sind sichtbar, doch ich muss mir nicht mehr die Mühe machen, sie vor den Blicken unserer Feinde zu verstecken. Die Krieger haben wohl eingesehen, sich nicht gegen unsere Übermacht zur Wehr setzen zu können. Die Intensität und die Höhe des Summens, das die Anführer von sich geben, verändert sich. Inzwischen bin ich mir sicher, dass sie auf diese Art kommunizieren. Ich würde nur gerne wissen, was sie miteinander besprechen. Einen Augenblick später erhalte ich eine unerwartete Antwort.
Alle unsere Gegner hören gleichzeitig damit auf, sich gegen uns zur Wehr zu setzen. Sie lassen von unseren Männern ab und richten ihre Waffen gegen sich selbst. Fassungslos muss ich mit ansehen, wie sie sich die Klinge in den Bauch rammen. Kein Schmerzenslaut ist zu hören, als sie einer nach dem anderen zu Boden sinken.
Mit einem Mal herrscht gespenstische Stille auf dem Schlachtfeld. Unsere Männer starren wie ich mit Entsetzen auf das Bild, das sich uns bietet. Tausend Tote liegen auf der Lichtung verteilt. Nur wenige davon gehören zu unserer Seite. Sie haben sich selbst geopfert, um nichts über ihre wahren Absichten zu verraten. Ich bin mir sicher, sie haben verhindern wollen, von uns zu ihren Plänen befragt zu werden. Sie haben etwas vor, von dem wir nicht erfahren dürfen. Um dieses Ansinnen vor uns zu bewahren, sind sie bereit gewesen, selbst in den Tod zu gehen.
Meine Neugier ist stärker als meine Abwehr. Vorsichtig nähere ich mich einem unserer reglos auf dem Boden liegenden Gegner und schiebe eine Hand unter seinen Helm. Mit den Fingerspitzen taste ich nach seinem Puls, um sicherzugehen, dass er tatsächlich tot ist.
Ich muss wissen, ob es sich bei ihnen überhaupt um Menschen handelt. Möglicherweise sind es nur von Magie erschaffene Wesen, die uns äußerlich ähneln, die bluten und sterben können wie wir, die aber keinen eigenen Willen besitzen. Nicht mehr als Kampfmaschinen, die sich dem Zauber unterwerfen müssen, der sie zum Leben erweckt hat. Wenn meine Untersuchungen meine Fragen vielleicht auch nicht beantworten, so können sie mir vielleicht eine Möglichkeit zeigen, um die anderen Truppen unserer Gegner kampfunfähig machen zu können, bevor sie sich selbst töten.
Mit klopfendem Herzen nestle ich an den Schnüren am Hinterkopf des Soldaten, um ihm dann die Maske vom Gesicht zu ziehen.
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