Eigentlich kann es nicht schlimmer werden, als es jetzt ist. Wir müssen unseren Vorteil nutzen, solange er noch besteht. Besonders, da nach Umocks Verschwinden die Gefahr besteht, dass unsere Feinde uns nun doch ausfindig machen können. Deshalb kehre ich in unsere Basis zurück, um mich bei Manekas’ Ratgebern über den Verlauf der Vorbereitungen zu erkundigen. Im Gegenzug berichte ich von der erfolgreichen Visite bei unseren Feinden.
»Wir brauchen noch etwas Zeit«, stellt Sikiwer fest. »Könnt Ihr unsere Verbündeten über unseren Plan informieren?«
Ein Danke für meine Mühe wäre nett. Nachdem ich seit Stunden meine Magie einsetze, breitet sich langsam Müdigkeit in mir aus. In der letzten Nacht habe ich dank Umock zwar meine Überwachungstätigkeit ruhen lassen können. Zum Schlafen bin ich durch seinen unerwarteten Besuch allerdings auch nicht gekommen. Wenn man bedenkt, wie erschöpft ich bereits gestern gewesen bin …
Ich nicke und transportiere mich zuerst in meine Hütte. Dort beuge ich den Oberkörper vor und stütze mich auf meine Oberschenkel. Alles in mir drängt mich, Umock zu rufen. Möglicherweise erscheint er, wenn ich ihn darum bitte. Mein Stolz verbietet mir dies allerdings. Solange ich das Gefühl habe, die Situation würde mir nicht gänzlich entgleiten, werde ich mich vor dem König der Nebelseelen nicht demütigen, indem ich ihn auf den Knien um seine Rückkehr und Unterstützung bitte.
»Ist alles in Ordnung?« Janifiks leise Stimme erklingt so unerwartet neben mir, dass ich zusammenzucke.
»Ja, natürlich.« Ich richte mich auf. »Die Transportationen sind anstrengend für meinen Körper. Ich brauche nur einen kurzen Moment für mich.«
»Ihr überanstrengt Euch. Habt Ihr heute schon etwas gegessen?«
Darüber muss ich nachdenken. Schließlich schüttle ich den Kopf.
Janifik legt eine Hand auf meine Schulter und dirigiert mich zum Stuhl neben dem Esstisch. »Ihr müsst auf Euch achten. Wir alle sind Euch für Eure Taten zu großem Dank verpflichtet. Wir brauchen Euch. Wenn Ihr vor Erschöpfung zusammenbrecht, sind wir verloren.«
Auch wenn er mit dieser Einschätzung falsch liegt, tut es gut, zu hören, dass man meine Arbeit anerkennt. Vielleicht sollte ich nicht so sehr danach gieren. Ich bin genug, erinnere ich mich. Die Bestätigung von außen darf mir nichts bedeuten. In Zukunft will ich von niemandem abhängig sein. Ich möchte niemanden mehr brauchen. Ab jetzt kämpfe ich mich allein durch diese Welt. Ich habe Elevander verloren. Umock hat mich verlassen. Mein Großvater steht schon lange nicht mehr an meiner Seite. Nun nehme ich mein Leben selbst in die Hand und gehe meinen Weg allein. Dann kann mich niemand mehr verletzen.
Trotzdem kann ich zulassen, dass man sich um mich sorgt. »Danke, Janifik. Vielleicht bist du in der Lage, mir eine Schüssel Eintopf und eine Scheibe Brot zu besorgen, bevor ich wieder aufbreche? Meine Magie wird es mir danken, wenn ich ein paar Minuten hier sitzen bleibe.«
Der Soldat nickt mir zu und eilt dann davon. Es scheinen nur wenige Augenblicke vergangen zu sein, als er auch schon mit einer Schüssel Brei und Brot zurückkehrt. »Es tut mir schrecklich leid. Der Eintopf ist bereits gegessen. Ich habe Euch aber etwas anderes gebracht, das Euch Kraft schenken wird.«
Noch einmal bedanke ich mich bei ihm. Ich schaufle die Nahrung in mich hinein und merke erst jetzt, wie hungrig ich wirklich gewesen bin. Selbst den letzten Rest des Bribri-Breis, um den ich normalerweise einen großen Bogen mache, schiebe ich mir mit dem Brot in den Mund. So sehr ich die Bitterkeit der Bribri sonst hasse, umso mehr gibt mir das nun die Energie, die mir gefehlt hat. Die Düsterkeit meiner Seele verabschiedet sich. Ich fühle mich wieder bereit zu kämpfen.
Mit einem Lächeln auf den Lippen stehe ich auf und lege Janifik eine Hand auf die Schulter. »Ich danke dir. Deine Unterstützung hat mir sehr geholfen. Aber um eine Sache muss ich dich noch bitten.«
Nachdem er mir mit einem Nicken bestätigt hat, auf ihn zählen zu können, begleitet er mich nach draußen. Ich erschaffe ein Portal, in dessen Nähe ich Janifik warten lasse. Dass ich dazu mehr Energie verwendet habe, als ich es normalerweise getan habe, gestehe ich ihm nicht. Dann springe ich ein paar Fuß weiter und lasse ein Portal entstehen. Jetzt wird sich zeigen, ob mein Versuch gescheitert ist oder nicht.
Um keinen Unschuldigen zu gefährden, durchquere ich das Portal als Erster. Es hat sich nicht anders angefühlt als bei den anderen Portalen, die ich erschaffen habe. Ich nicke Janifik zu, um die Reise mit ihm gemeinsam anzutreten. Auch dieses Mal gibt es keine Schwierigkeiten. Zuletzt winke ich noch fünf weitere Soldaten herbei, die gerade an uns vorbeikommen. Nebeneinander gelingt es uns, uns auf die andere Stelle zu transportieren. Nun kann ich sicher sein, niemandem zu schaden, wenn ich Portale wie dieses hier direkt bei der Basis unserer Feinde enden lasse.
In der nächsten Sekunde reise ich zum ersten Lager unserer Verbündeten. Ich teile den Fürsten unseren Plan mit und erkläre, wie ich sie mithilfe des Portals informieren werde, wann sie es durchschreiten können. Ich muss alle neun Portale gleichzeitig öffnen. Da ich dazu nicht an neun Stellen gleichzeitig springen kann, muss ein Lichtsignal reichen. Zur Sicherheit teste ich es die ersten paar Male, doch dann bin ich selbstbewusst genug, um mich auf meine Fähigkeiten zu verlassen.
Zuletzt gilt es nur noch eine Aufgabe zu erfüllen. Ich springe zu dem Waldstück, in dem unsere Feinde das geheimnisvolle Gerät aufgestellt haben. Ein paar Minuten verhalte ich mich still und beobachte sie nur. Unsere Armee sollte inzwischen zum Kampf bereit sein. Dennoch will ich erst sichergehen, dass uns hier keine Falle erwartet. Wieder kann ich nichts von den Gesprächen im Lager verstehen. Deshalb achte ich auf die Haltung der fremdländischen Männer. Ich überprüfe, wohin ihre Blicke wandern, ob sie sich auffällig bemühen, sich unauffällig zu verhalten. Von meiner Entscheidung hängt ab, ob wir katastrophal scheitern oder Rache für das nehmen können, was diese gnadenlosen Soldaten uns bei der letzten Schlacht angetan haben.
Ob es angebracht wäre, mehr Angst vor diesen Wesen zu haben? Sie kämpfen mit übermenschlicher Kraft. Ihr Zauberer hat unsere Armeen und die Flugechsen die Orientierung verlieren lassen. Zum Glück sind wir bereits durch Umocks Hilfe durch ein Portal an den Ort gelangt, an dem wir gebraucht wurden. Bis jetzt gibt es keinen Hinweis darauf, sie könnten diese Fähigkeit auch. Ist ihr Zauberer doch nicht so mächtig, wie ich befürchte? Oder hält er sich noch zurück? Sind wir jetzt im Nachteil, weil Umock nicht mehr auf unserer Seite kämpft?
Ich entscheide mich, genug gewartet zu haben, und drehe mich suchend um. Die Ratgeber unseres Fürsten haben genau bestimmt, wo die Portale zu entstehen haben. Das erste ist in einer Entfernung von ungefähr zehn Fuß vom Lager geplant. Ob das weit genug ist? Schaffen wir es auf diese Art, uns unauffällig anzuschleichen? Können wir lange genug ungesehen bleiben, um die Soldaten zu überrumpeln? Ich kann versuchen, die ersten Männer, die das Portal durchschreiten, unsichtbar zu machen. Das wird mich große Kraft kosten. Vielleicht erhöht das aber unsere Chance.
Da ich den Unsichtbarkeitszauber nicht gleichzeitig an neun Portalen anwenden kann, verflechte ich ihn mit dem Erschaffungszauber des Durchgangs. Er sollte die ersten Soldaten, die auf der anderen Seite eintreffen, vor den Blicken unserer Feinde verbergen. Bestimmt ist die Magie, die ich verwende, schnell aufgebraucht. Aber in unserem Fall wird jede Sekunde von Vorteil sein.
Mit geschlossenen Augen konzentriere ich mich auf die Sprüche, die notwendig sind. Durch meine eigene Unsichtbarkeit geht bereits ein Teil meiner Energie verloren. Ich brauche länger, als es bei meinen bisherigen Portalen der Fall gewesen ist. Einen Fehler kann ich mir nicht leisten. Also harre ich aus, ziehe alle Energie, die ich erhaschen kann, aus der Luft. Meine Magie vibriert schmerzhaft in mir. Doch ich gebe nicht nach, bis ich endlich zufrieden bin.
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