„Ich bedaure die Unordnung“, sage ich. „Es ist etwas viel gewesen, und ich …“
„Mach dir keine Gedanken“, sagt Torben. „Willst du Steen nicht wecken und ihm sagen, dass wir da sind?“
„Natürlich. Ja. Einen Augenblick.“
Wir gehen ins Wohnzimmer, und sie bleiben am Kamin stehen, während ich mich zögernd der geschlossenen Tür zum Schlafzimmer nähere.
Ich drücke die Klinke hinunter und schleiche hinein, auch wenn ich sehr wohl weiß, dass er bereits wach ist. Dass er mit Garantie alles gehört hat, was passiert ist, seit es geklingelt hat.
Ich betrachte Steens gelbliche Handrücken und nackten Fußsohlen. Er liegt, wie üblich, mit den Armen an den Seiten und den Füßen außerhalb der Zudecke, damit ihm nicht zu warm wird. Die Uhr an der Wand tickt. Ich bleibe einfach stehen. Versuche, die Zeit zu berechnen, die es dauern würde, einen schlafenden Mann zu wecken.
„Entschuldige“, flüstere ich, ehe ich zurück zu den Beamten gehe. Sie stehen immer noch am Kamin. Ein altes, eingebautes Teil mit akkuraten Schnitzereien, das wir nicht mehr verwendet haben, seit sich beim ersten Anzünden das ganze Wohnzimmer mit Rauch gefüllt hat.
„Okay“, sage ich. „Er ist da drin.“
Die Beamten zwängen sich vorbei an dem vollen Wäscheständer, dem Putzeimer mit kaltem Schmierseifenwasser und den Müllbeuteln, die ich noch nicht rausgetragen habe.
„Wartet!“
Mein Ausruf lässt sie stehen bleiben.
Torben sieht mich fragend an.
„Es ist nur, weil …“ Ich zupfe wieder an meinen Haaren. Versuche, normal zu atmen. „Ihr dürft nicht erschrecken. Aber er kann sich nicht bewegen.“
„Was?“
„Es ist, weil … Er ist gelähmt.“
Ich flüstere das Wort, aber sobald es meine Lippen verlässt, schwillt es an und erfüllt das Wohnzimmer wie ein allzu großes Möbelstück.
„Aber …“ Torben blickt zur Schlafzimmertür. „Als ich ihn das letzte Mal sah, war er doch …“
„Das ist auch ganz neu“, sage ich. „Zwölf Tage.“
„Was ist mit ihm passiert?“
„Das ist uns noch nicht so ganz klar.“
„Ist er irgendwo hinuntergestürzt?“
„Nicht, dass ich wüsste.“
„Aber, es ist ein Arzt da gewesen und hat sich ihn angesehen?“
Ich nicke. „Doktor Møller sagt, dass das eine ganz normale Reaktion ist nach allem, was wir durchgemacht haben. Er sagt, dass das im Laufe von ein paar Tagen vorübergehen sollte.“
„Hast du nicht gerade gesagt, dass er seit zwölf Tagen hier liegt?“
„Steen war schon immer sehr empfindlich. Das weiß Doktor Møller sehr wohl. Wir müssen ihm ganz einfach Zeit lassen.“
Sie schielen einander von der Seite an, und ich schwitze unter den Armen.
„Sollte er nicht im Krankenhaus sein?“, fragt Dagmar.
„Doktor Møller meint, dass es am besten ist, wenn er sich in bekannter Umgebung befindet.“
Je mehr ich die Wahrheit verdrehe, desto mehr schwitze ich. In Wirklichkeit sagte Doktor Møller genau dasselbe wie Dagmar. Zog sogar sein Telefon heraus, um das Krankenhaus anzurufen. Doch ich redete es ihm aus. Flehte ihn an, es unter uns bleiben zu lassen.
Sie dürfen ihn mir nicht wegnehmen. Steen ist der Einzige, den ich noch habe.
Und ich kann nicht allein im Haus sein. Nicht mehr.
„Das ist ja schrecklich“, sagt Dagmar. „Und jetzt auch noch das mit seinem Vater.“
„Ich glaube, ihr müsst euch irren“, sage ich. „Steens Vater starb vor vier Jahren.“
„Ja“, sagt Torben. „Genau darum geht es.“
Ich sehe ihn verwirrt an.
„Ich bedaure“, sagt er. „Ein Unglück kommt selten allein.“
„Unglück?“
Er nickt in Richtung Schlafzimmertür. „Besprechen wir es zusammen mit Steen.“
Das Schlafzimmer ist dunkel hinter den heruntergelassenen Jalousien. Es riecht hier nach voller Windel, und Torben tritt langsam ein. So langsam, dass er stehen bleibt.
Steens Haare sind vorne frisiert. Hinten sind sie platt und verfilzt. Es ist eine deutliche Grenze zu sehen, wohin ich mit der Bürste nicht gekommen bin. Auf seinem Nachttisch steht eine rosafarbene Schnabeltasse mit Blumenmuster.
Auf meiner Seite ist das Laken zerknittert, und die Bettdecke fällt fast herunter. Mein Telefon liegt auf dem Kopfkissen und wird geladen. Auf meinem Nachttisch steht ein Glas mit Schlaftabletten und ein Paket Natracone - New - Mother -Wochenbettbinden.
„Soll ich ihm eine frische Windel anlegen, ehe wir sprechen?“, frage ich.
Torben schiebt seine Mütze auf dem Kopf hin und her.
„Es dauert nicht sehr lange“, sage ich. „Ihr könnt inzwischen im Wohnzimmer warten.“
„Es ist okay“, sagt Dagmar. „Das ist schon in Ordnung so.“
Sie zwängt sich an Torben vorbei zum Doppelbett. Geht etwas in die Knie, um auf Augenhöhe zu kommen.
„Guten Tag, Steen. Entschuldige bitte die Störung. Ich heiße Dagmar und bin Torbens neuer Partner.“
Steens Augen flackern zwischen den Beamten und mir hin und her. Als ob es ihm erst jetzt bewusst wird, dass wir hier sind.
„Was ist los?“, fragt er.
„Leider gibt es da etwas, das wir dir erzählen müssen“, sagt Dagmar.
„Was?“ Steen blickt zu Torben.
„Soll ich dich etwas aufsetzen?“, frage ich. „Möchtest du ein zusätzliches Kissen in den Rücken?“
Er blinzelt zweimal.
„Okay.“ Ich wende mich den Beamten zu. „Wollt ihr eigentlich Kaffee?“
Torben hält eine Hand hoch.
„Dann vielleicht etwas zu essen? Ich weiß nicht wirklich, was im Kühlschrank ist, aber manchmal gibt es Kuchen.“
Ich kann selbst hören, wie nervös ich klinge.
„Nein danke.“ Torben geht näher zum Bett. Der ansonsten so robuste Mann wirkt etwas unbeholfen und zögerlich. Die Arme hängen schlaff nach unten, und ich denke daran, wie sie sich sonst immer begrüßt haben. Torbens Ruf und Steens ausgebreitete Arme. Zwei Männer, die sich umarmten und einander auf den Rücken klopften, hart und mehrere Mal, als ob man den letzten Rest aus einer Flasche Ketchup schlagen wollte.
„Steen, alter Junge. Was ist los mit dir?“
„Ja, das ist weniger schön.“
„Eva sagt, du bist … gelähmt?“
„Vom Hals abwärts.“
Torben nimmt die Mütze ab und hält sie vor der Brust.
„Hätte ich das gewusst, wäre ich natürlich vorbeigekommen.“
Steen blinzelt dreimal, um zu signalisieren, es ist okay . Ist jetzt gerade sicherlich so verwirrt, dass er vergessen hat, dass nur wir zwei die Blinzelsprache verstehen.
„Was zum Teufel machen wir jetzt mit der Oldboys-Mannschaft?“, sagt Torben. „Du musst zusehen, dass du wieder auf die Beine kommst, damit wir nicht rausfliegen.“
„Ich tue, was ich kann.“
„Ich verstehe aber immer noch nicht … was ist mit dir passiert? Ein gesunder Mann im besten Alter. Wie ist es nur so weit gekommen?“
„Ich weiß es nicht.“
„Es geschah ganz plötzlich“, sage ich. „Von einem Augenblick auf den anderen.“
Torben schüttelt den Kopf. Sagt, dass es vollkommen unbegreiflich klingt.
„Es ist noch nicht einmal drei Wochen her, dass du den Elfmeter zum Sieg verwandelt hast. Die Jungs sprechen immer noch davon. Und jetzt liegst du einfach nur da.“
„Tja.“
„Kann ich irgendetwas tun? Ihr müsst euch einfach melden. Ich kann für euch einkaufen oder etwas zum Abendessen vorbeibringen? Ich mache eine ziemlich gute Lasagne, wenn ich das so sagen darf.“
„Wir kommen zurecht“, sage ich. „Aber vielen Dank.“
Torben nickt. Er verlagert das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, als könne er sich nicht entscheiden, ob er Steen umarmen oder sich beeilen soll, das Gespräch zu überstehen und von hier wegzukommen.
Eine Schmeißfliege fliegt durch den Raum und landet auf einem von Steens großen Zehen. Ich wedele sie weg. Wir sehen ihr alle drei nach, als sie eine Runde durch das Schlafzimmer dreht und wieder auf seinem großen Zeh landet. Sie krabbelt über die Fußsohle. Kleine, schwarze Beine.
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