Murcia bietet an, sie zu begleiten, und fügt hinzu, das Haus in der Mosén Torner sei völlig heruntergekommen und es sei nicht nachzuvollziehen, wie es auf die Inventarliste habe kommen können, wenn doch auf den ersten Blick zu erkennen sei, dass das Dach halb eingestürzt ist.
Coruña entgegnet, man habe alle leerstehenden Wohnungen des Bezirks auf die Inventarliste setzen müssen, wogegen Murcia einwendet, nicht nur die leerstehenden, sondern die auch zur Besetzung geeigneten, worauf Coruña antwortet, dass das Haus in der Mosén Torner absolut zur Besetzung geeignet sei, tatsächlich sei es sogar leichter zu besetzen als viele andere im Bezirk, gerade weil es heruntergekommen und aufgegeben sei, weshalb es gewiss viel länger dauern würde, bis die Besetzung entdeckt und beendet würde. Murcia sagt ihm, es sei kaum zu glauben, dass er schon sein halbes Leben Okupa sei, wenn er immer noch nicht begriffen habe, dass die Räumung eines besetzten Hauses nicht von dessen Zustand abhänge, sondern vielmehr von der städtebaulichen Spekulation, von der die Eigentümer abhängen. Aber es sei noch etwas anderes, fährt Murcia fort, Besetzen sei nicht nur öffnen und reingehen, sondern öffnen, reingehen und in Würde leben, und dafür gebe es diese Versammlung, darum nenne sich das selbstverwalteter Raum, darum verteidige und ermögliche sie die Selbstverwaltung anderer Räume wie eben die Okupas, die besetzten Häuser, worauf Coruña antwortet, dass vielleicht etwas, was für die einen unwürdig, für andere würdig sei und dass vielleicht auch die Würde unter das Prinzip der Selbstverwaltung fallen solle, in dem Sinne, dass jemensch andere Bedürfnisse habe und diese auf unterschiedliche Weise befriedige, denn so brauche zum Beispiel eine fünfköpfige Familie für ein würdevolles Leben eine Wohnung mit mindestens zwei Schlafzimmern, was schon beengt sei, während einer einzelnen Person ein Mansardenzimmer oder eine Einraumwohnung völlig ausreichen könne, um in Würde zu leben.
Oder auch nicht, sagt Ceuta, auch eine einzelne Person könne wegen ihrer besonderen Bedürfnisse drei Schlafzimmer und einen Innenhof brauchen.
Oder einfach aus einer Laune heraus, sagt Tarragona, und Launen seien nicht verkehrt, und wir sind nicht hier, um die Bedürfnisse oder Gründe oder Schrullen von irgendjemandem zu beurteilen.
Murcia sagt, dass wir sehr wohl da seien, um die Bedürfnisse von jemandem zu beurteilen, denn wenn jetzt ein Neonazi käme, der erzählt, er wolle für seine Neonazitreffen ein Haus besetzen, dann werfen wir den doch hochkant hier raus, oder etwa nicht?
Coruña antwortet, dass der eventuelle lebensmüde Neonazi, der sich hypothetisch trauen würde, einen Fuß ins Autonome Zentrum zu setzen, sich niemals als solcher zu erkennen gäbe, und er fragt Murcia, ob wir jetzt vielleicht jede Person, die durch diese Tür kommt, fragen müssten, ob sie Neonazi sei, und was mensch mit dem Haus vorhabe, das mensch mit unserer Hilfe besetzen will.
Oviedo mischt sich ein, um zu sagen, dass nach diesem Dreisatz folglich auch alle Männer, die in das Besetzungsbüro kämen, gefragt werden müssten, ob sie vorhaben, ihre Freundinnen hinter verschlossenen besetzten Türen zu misshandeln, und ergänzt, dass diese Diskussion zwar interessant sei, wir sie aber von der postmodernen Banalität her angingen, wenn wir derart die Bedürfnisse und die Würde der Menschen relativierten, denn zufällig sei es so, dass sogar der Neonazi und der misshandelnde Partner ein Haus brauchen, bei dem nicht das Dach einstürzt, um in Würde zu leben, und in diesem Punkt wären wir wohl sogar mit den Neonazis und misshandelnden Partnern einer Meinung, und Oviedo fragt sich, ob wir uns dann nicht auch untereinander einigen könnten.
Murcia versteht nicht ganz, ob die Meinungsäußerung der Kameradin, die zuletzt das Wort hatte, eine für oder gegen die Entfernung des Hauses in der Mosén Torner aus der Inventarliste besetzbarer Häuser gewesen ist.
Dafür, ganz eindeutig, antwortet Oviedo, aber Murcia hat es noch immer nicht ganz verstanden und fragt, ob sie für das Haus als mögliche Okupa oder für die Entfernung des Hauses als mögliche Okupa sei, und diese Frage verursacht viele durcheinandergehende und gleichzeitig geäußerte Antworten, die nicht im Protokoll aufgeführt werden.
Als nach einigen Sekunden die übliche Ordnung von Redebeitrag und Zuhören wieder hergestellt ist, sagt G. G., dass sie nicht sicher sei, ob sie es richtig verstanden habe, aber sie meine gehört zu haben, dass diese Versammlung die Selbstvertretung verteidige, worauf zahlreiche Kameradinnen antworten, dass sie das sehr richtig verstanden habe und wir ein selbstverwalteter Raum seien, der natürlich für die Selbstverwaltung einstehe. G. G. ergreift erneut das Wort und fragt, ob wir also eine Selbstvertretungsgruppe seien, worauf Coruña antwortet, dass wir dieses Wort nicht benutzten, dass es aber wohl logisch erscheine, oder jedenfalls grammatisch logisch, dass wir, wenn wir uns als Gruppe selbst vertreten, auch eine Selbstvertretungsgruppe seien. Badajoz meint, dass ihr dieses Wort nicht gefalle, weil es nach Bürokratie und Betriebswirtschaft klinge, und dass sie sich nicht Selbstvertreterin nennen würde, sondern schlicht und einfach Anarchistin, denn wenn man Anarchistin sage, dann sage man auch, dass man seine Konflikte und Wünsche selbst vertrete ,ohne Teil des neoliberalen institutionellen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Kreislaufes zu sein, der unser ganzes Leben verwalte, und zwar mit Gewalt.
Ceuta schlägt G. G. vor, und zwar gerade weil er an die Selbstvertretung glaube und total dahinterstehe, dass wir uns alle selbstvertreten sollten, und weil G. G. selbst aus irgendwelchen Gründen als Erste auf das Haus in der Mosén Torner aufmerksam geworden sei, darum also sagt dieser Kamerad, dass sie selbst entscheiden solle, ob sich die Mühe lohne, dieses Haus zu öffnen oder lieber eins, das besser aussehe.
G. G. stimmt zu und der zuvor genannte Kamerad sagt, dass sie sich nicht gleich entscheiden müsse, auch nicht morgen oder nächste Woche, dass sie die Immobilien ganz in Ruhe von außen inspizieren und gut darüber nachdenken könne, welche sie wolle, und wann immer es ihr passe, könne sie dann vorbeikommen und der Versammlung ihre Entscheidung mitteilen.
G. G. bedankt sich für das Entgegenkommen und den Rat, sagt aber, dass sie schon jetzt damit einverstanden sei, das Haus in der Mosén Torner zu öffnen, da sie weder Zeit noch Ruhe habe, um viel nachzudenken, denn ihre aktuelle Wohnsituation sei kritisch, und darum habe sie, während sie den verschiedenen Kameraden gut zugehört und verstanden habe, dass Besetzen schwierig sei, aber bei diesem Haus nicht ganz so, ihre Entscheidung getroffen.
Mehrere Kameraden erinnern daran, dass das Haus sich in einem wirklich schlechten Zustand befinde, aber wenn sie sich sicher sei, dann nur zu.
Andere Kameraden warnen noch einmal, dass das Haus in einem so schlechten Zustand sei, dass G. G. – wenn sie die Besetzung in Angriff nehmen – schon beim Betreten des Hauses merken werde, was für eine Ruine das sei, und es bereuen werde, eine so übereilte Entscheidung getroffen zu haben.
Tanger sagt, dass zuvor gesagt wurde, Besetzen sei nicht einfach nur öffnen und reingehen, sondern öffnen, reingehen und in Würde leben; wozu er ergänzen wolle, dass Besetzen nicht nur öffnen, reingehen und in Würde leben sei, sondern öffnen, reingehen, in Würde leben und alle Reparaturen vornehmen, die nötig seien, denn man werde kaum in Würde leben, wenn man sich zum Schlafen in einer Ecke zusammenrollen und Schutz vor Wind und Regen suchen müsse, oder wenn man in einen Eimer scheißen müsse oder nicht einmal morgens Kaffee kochen könne, und er fragt G. G., ob sie sich stark genug fühle, das zu tun, also selbstverwaltet all diese Reparaturen vorzunehmen, zumal sie ja alleine leben möchte.
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