„Sie wünschten eine Unterredung mit mir, Herr Capitain?“ begann Ella, indem sie sich auf die Ottomane niederließ. „Darf ich bitten?“
Worte und Haltung waren so sicher und unbefangen, wie die einer vollendeten Weltdame, die einen Besuch empfängt, aber auch fremd und kühl, als habe sie nicht die geringste Beziehung zu diesem Besuche. Hugo verneigte sich; es lag noch eine helle Röthe auf seiner Stirn, als er, der Einladung folgend, an ihrer Seite Platz nahm.
„Ich bat darum – der Herr Consul glaubte mir in Ihrem Namen diese Unterredung versagen zu müssen, aber ich bestand auf der directen Anfrage bei Ihnen. Ich hatte ein besseres Vertrauen zu Ihrer Güte, gnädige Frau.“
Sie sah ihn groß und fragend an. „Sind wir uns so fremd geworden? Warum geben Sie mir diesen Namen?“
„Weil ich sehe, daß mein Besuch hier als ein unberechtigtes Eindringen angesehen wird, das man nur um des Namens willen, den ich trage, nicht entschieden zurückweist,“ versetzte Hugo mit einiger Bitterkeit. „Schon Herr Consul Erlau ließ mich das fühlen, und hier mache ich zum zweiten Male die Erfahrung. Und doch kann ich auch Ihnen nur wiederholen, daß ich ohne Auftrag, selbst ohne Wissen – eines Anderen hier bin und daß dieser Andere bis zur Stunde noch keine Ahnung von Ihrer Nähe hat.“
„Nun so bitte ich Sie, diese Nähe auch ferner ein Geheimniß bleiben zu lassen,“ sagte die junge Frau ernst. „Sie werden begreifen, daß ich nicht wünsche, meine Anwesenheit verrathen zu sehen, und S. ist immerhin weit genug entfernt, um das möglich zu machen.“
„Wer sagt Ihnen denn, daß wir unseren Aufenthalt in S. genommen haben?“ fragte Hugo etwas betreten über die Sicherheit dieser Annahme.
Sie wies nach den auf dem Tische liegenden Zeitungen. „Ich las heute Morgen, daß man dort zwei der ersten musikalischen Berühmtheiten erwartet. Die Nachricht ist verspätet, wie ich sehe, und Sie sind jedenfalls Gast Ihres Bruders.“
Hugo schwieg; er hatte nicht den Muth, ihr zu sagen, um wie vieles näher ihr der einstige Gatte war, und die Zeitungsnotiz konnte er sich leicht erklären, da er von der bevorstehenden Ankunft Beatricens wußte. Man war eben gewohnt, sie und Reinhold stets zusammen zu nennen, und wenn dieser auch jetzt noch in Mirando weilte, so setzte man sein Kommen doch als bestimmt voraus, sobald sie in S. eingetroffen. Im Grunde war es ja auch ein verabredetes Zusammentreffen zwischen den Beiden, ableugnen ließ sich das nicht.
„Aber weshalb dieses Verbergen?“ fragte er, den gefährlichen Punkt ganz unberührt lassend. „Sie sind es doch nicht, Ella, die eine etwaige Begegnung zu scheuen oder zu fliehen hat?“
„Nein! Aber meinen Knaben will ich um jeden Preis schützen vor der Möglichkeit einer solchen Begegnung.“
„Mit seinem Vater? “ Hugo legte einen vorwurfsvollen Nachdruck auf das letzte Wort.
„Mit Ihrem Bruder – ja!“
Der Capitain sah überrascht auf. Der Ton klang eiskalt, und starr und eisig lag es auf dem Antlitze der jungen Frau, das auf einmal den Ausdruck eines unbeugsamen Willens zeigte, wie ihn Niemand in dieser lieblichen Erscheinung gesucht hätte.
„Das ist hart, Ella,“ sagte Hugo leise. „Wenn Sie sich unnahbar machen – ich begreife es nach dem, was geschehen ist, warum aber auch den Knaben? Reinhold versuchte es schon einmal, sich seinem Kinde zu nähern – Sie wiesen ihn zurück –“
Ella unterbrach ihn, „Sie haben mir gesagt, daß Sie ohne Auftrag kommen, Hugo, und ich glaube Ihnen; dann aber braucht dieser Punkt nicht weiter zwischen uns erörtert zu werden. Lassen wir ihn ruhen! – Ich war sehr überrascht, Sie hier in Italien wieder zu sehen. Gedenken Sie lange hier zu bleiben?“
Der Capitain folgte, wenn auch mit einiger Betroffenheit, dem gegebenen Winke. Es war ihm doch noch gar zu ungewohnt, daß seine junge Schwägerin, die er fast nur als stumme scheue Zuhörerin gekannt, so vollständig das Gespräch beherrschte und es mit so großer Sicherheit und Unbefangenheit auf einen anderen Gegenstand hinüberzuleiten wußte, wenn der frühere ihr peinlich wurde.
„Wohl länger, als ich anfangs glaubte,“ sagte er, ihre Frage beantwortend. „Mein Aufenthalt war ursprünglich nur auf kurze Zeit bestimmt, aber ein Sturm, der uns auf offener See ergriff, hat meine Ellida so zugerichtet, daß ich nur mit Mühe den nächsten italienischen Hafen erreichte und vorläufig noch nicht daran denken kann, die Fahrt wieder aufzunehmen. Die Arbeiten am Schiffe werden Monate erfordern, und mein Urlaub ist somit in’s Ungewisse verlängert worden. Ich ahnte freilich nicht, daß ich Sie hier finden würde.“
Ueber das Antlitz der jungen Frau flog ein Schatten.
„Wir sind auf ärztlichen Befehl hier,“ erwiderte sie ernst. „Ein Brustleiden nöthigte meinen Pflegevater, den Süden aufzusuchen; seine Gattin ist schon seit mehreren Jahren todt, und Sie wissen ja, daß er kinderlos ist. Ich war längst in die Rechte einer Tochter getreten; da war es wohl selbstverständlich, daß ich auch die Pflichten derselben übernahm. Die Aerzte bestanden durchaus auf diesen Ort, der in der That die günstigste Wirkung zu üben scheint, und so sehr ich wünschte, gerade Italien zu vermeiden, so konnte ich es doch nicht über mich gewinnen, den Kranken, dem meine Nähe Bedürfniß geworden war, allein reisen zu lassen. Wir glaubten jeder peinlichen Begegnung vorzubeugen, wenn wir die Stadt vermieden, in der – Signor Rinaldo lebt, und uns hier die einsamste und abgelegenste der Villen zu möglichster Zurückgezogenheit auswählten. Die Maßregeln waren umsonst, wie ich sehe; Sie waren kaum in meiner Nähe, als Sie auch bereits meinen Aufenthalt entdeckten.“
„Ich? Ja freilich,“ sagte Hugo in unwillkürlicher Verlegenheit. „Und Sie machen mir einen Vorwurf daraus?“
Ella lächelte. „Nein! Aber gewundert hat es mich, daß Capitain Hugo noch so viel Interesse für die kleine Cousine und ehemalige Spielgefährtin hegte, um so hartnäckig auf einem Wiedersehen zu bestehen, das ihm anfangs verweigert wurde. Wir glaubten uns hinreichend gegen fremde Besuche gesichert zu haben. Sie wußten dennoch den Eingang zu erzwingen, und das zeigt mir, daß ich auch schon in meinem früheren Leben Freunde besessen habe. Bis heute bezweifelte ich das, aber es ist doch eine Gewißheit, die mir wohl thut, und dafür danke ich Ihnen, Hugo.“
Sie hatte die Augen klar und voll zu ihm aufgeschlagen, und mit einem reizenden Lächeln, welches das Gesicht unendlich lieblich erscheinen ließ, streckte sie ihm jetzt vertraulich die Hand entgegen. Aber der freundliche Dank fand keine Antwort – die Stirn des Capitains brannte in glühender Röthe, und urplötzlich sprang er auf und stieß ihre Hand zurück.
„Nein!“ sagte der Capitain. – „Das geht nicht! – Ich – ich habe Ihnen ein Bekenntniß zu machen, Ella, – auf die Gefahr hin, daß Sie mir dann sofort die Thür weisen.“
„Was haben Sie mir denn zu bekennen?“ fragte die junge Frau erstaunt.
Hugo sah zu Boden. „Daß ich noch immer der ‚Abenteurer‘ bin, dem Sie einst so nachdrücklich den Text gelesen. Gebessert hat ihn das freilich nicht, aber er hat es seitdem doch nicht wieder versucht, mit seinen Thorheiten Ihnen nahe zu kommen, und kann’s auch heute nicht. Also kurz und gut, ich hatte keine Ahnung davon, wer die Bewohner dieser Villa seien, als ich meine Schritte hierher lenkte. Ich ließ mich bei dem mir völlig unbekannten Herrn melden, weil Marchese Tortoni mir von einer jungen Dame gesprochen hatte, die hier in äußerster Zurückgezogenheit lebe, und – ja, das wußte ich vorher, daß Sie mich wieder so ansehen würden.“
Ihr Blick hatte ihn in der That ernst und vorwurfsvoll getroffen; jetzt wandte sie sich schweigend ab und sah durch das Fenster. Es entstand eine Pause, dann trat Hugo an ihre Seite.
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