Die junge Frau schlug langsam das Auge empor, es begegnete dem seinigen, und wie einer unwillkürliche Regung folgend, streckte sie ihm beide Hände hin.
„Ich danke Ihnen, Hugo. Leben Sie wohl!“
Er schloß mit einer raschen Bewegung die Hände in die seinigen. „Ich habe Ihnen immer nur Schmerz bringen können,“ sagte er leise. „Von mir kam die erste Nachricht, die Ihren Frieden rettungslos zerstörte; sie kam zu spät, und heute war es wieder meine Hand, die Ihnen die letzte brachte. Aber wenn ich Ihnen wehe that, Ella, wehe thun mußte – bei Gott! leicht ist es mir nicht geworden.“
Seine Lippen ruhten einen Moment lang auf ihrer Hand, dann ließ er sie fallen und verließ rasch das Zimmer; wenige Minuten darauf war er im Freien.
Es war ein rauher, echt nordischer Frühlingsabend. Einförmig plätscherte der Regen nieder; schwer und dicht hing der Nebel in den Straßen; selbst die Flammen der Laternen schimmerten nur röthlich trübe in dem grauen Dunste. In diesem Nebel trug der rollende Bahnzug Reinhold Almbach nach dem Süden, wo ihm Ruhm und Liebe, wo ihm sonnenhell die Zukunft winkte, und in derselben Stunde lag sein junges Weib daheim auf den Knieen, an der Wiege ihres Kindes und drückte das Haupt tief in die Kissen, um den Verzweiflungsschrei zu ersticken, der jetzt, wo sie sich allein wußte, doch endlich hervorbrach. Er war nicht einmal gekommen, ihr Lebewohl zu sagen; er hatte nicht ein letztes freundliches Wort für sie, nicht einmal einen Abschiedskuß für sein Kind. Sie waren Beide verlassen, aufgegeben – wahrscheinlich schon vergessen.
Inhaltsverzeichnis
Die flammende Pracht des Sonnenunterganges schien Erde und Himmel in ein Meer von Gluth und Verklärung zu tauchen. Das ganze wunderbare Farbenspiel des Südens leuchtete auf am westlichen Horizonte, und die Lichtfluth ergoß sich weithin über die Stadt mit ihren Kuppeln, Thürmen und Palästen. Es war ein unvergleichliches Panorama, das sich rings um die Villa ausbreitete, die außerhalb der Stadt auf einer Anhöhe lag, weithin sichtbar mit ihren Terrassen und Säulengängen und umgeben von den tiefer gelegenen Gärten, in denen sich die üppigste Fülle südlicher Vegetation entfaltete. Da hoben die ernsten Cypressen ihre dunklen Häupter; da schwankten Pinien im leisen Abendwinde, weiße Marmorstatuen blickten aus Lorbeer- und Myrthengebüschen hervor; der Strahl der Fontainen rauschte und sprühte nieder auf den Rasenteppich, und Tausende von Blumenkelchen sandten ihren berauschend süßen Duft empor. Ueberall Schönheit und Kunst, Duft und Blüthen, Licht und Farbenglanz.
Auf der Terrasse und in den angrenzenden Partien des Parkes befand sich eine zahlreiche Gesellschaft, die den Genuß des herrlichen Abends und die wundervolle Aussicht hier draußen dem Aufenthalte in den Sälen drinnen vorziehen mochte. Sie schien in ihrer überwiegenden Mehrheit der Aristokratie anzugehören, doch sah man auch manche Gestalt darunter, die unzweifelhaft den Künstler verrieth, und hier und da erschien das dunkle Gewand eines Geistlichen neben den hellen Toiletten der Damen oder den glänzenden Uniformen. Die verschiedensten Elemente schienen sich hier zu vereinigen. Man promenirte, plauderte, und saß oder stand in zwanglosen Gruppen beisammen.
In einer dieser Gruppen, die sich am Fuße der Terrasse, dicht neben der großen Fontaine zusammengefunden hatte, wurde die Unterhaltung mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit geführt; es mußte sich wohl um einen Gegenstand von allgemeinerem Interesse handeln. Die einzelnen Worte und Namen, die genannt wurden, schienen die Aufmerksamkeit eines der Gäste zu erregen, der, von der Terrasse kommend, gerade an der Gruppe vorüberging. Es war offenbar ein Fremder; das verrieth das helle Braun des Haares und der Augen, wie überhaupt das ganze Gesicht, das, obwohl gebräunt von Luft und Sonne, dennoch nicht das dunkle Colorit des Südländers zeigte. Die Capitainsuniform kleidete die kräftig männliche Gestalt äußerst vortheilhaft, und Haltung und Bewegungen vereinigten sehr glücklich das freie, etwas ungebundene Wesen des Seemannes mit den Formen der guten Gesellschaft. Er blieb in der Nähe der lebhaft debattirenden Herren stehen und folgte deren Gespräch mit offenbarer Theilnahme.
„Diese neue Oper ist und bleibt aber doch nun einmal das Hauptereigniß der Saison,“ sagte ein Officier in der Uniform der Carabinieri, „und da begreife ich nicht, wie man sie so ohne Weiteres verschieben kann. Die Aufführung ist bereits festgesetzt; die Proben haben begonnen; die sämmtlichen Vorbereitungen sind fast geendigt, da auf einmal wird das Alles unterbrochen, und die ganze Aufführung bis zum Herbste verschoben – das Alles ohne irgend einen ersichtlichen Grund.“
„Der Grund liegt einzig in dem souverainen Belieben des Signor Rinaldo,“ entgegnete ein anderer Herr in etwas hämischem Tone. „Er ist es nun einmal gewohnt, Oper und Publicum ganz nach Laune und Willkür zu behandeln.“
„Ich fürchte, Sie irren, Signor Gianelli,“ fiel ein junger Mann von vornehmem Aeußeren ein wenig erregt ein. „Wenn Rinaldo selbst den Aufschub forderte, so wird man ihm wohl Anlaß dazu gegeben haben.“
„Um Vergebung, Signor Marchese, das that man nicht,“ versetzte Jener. „Ich, als Capellmeister der großen Oper, weiß am besten, welch eine unendliche Mühe und welche immensen Opfer an Zeit und Geld es gekostet hat, um den Wünschen Rinaldo’s zu entsprechen. Er brachte mit seinen Anforderungen und Bedingungen die ganze Theaterwelt in Verwirrung; denn er verlangte Aenderungen im Personale, wie sie noch nicht dagewesen sind, und dergleichen mehr. Es wurde ihm, wie gewöhnlich, in Allem nachgegeben, und man glaubte nun endlich seines hohen Beifalls sicher zu sein, aber jetzt, wo er aus M. eintrifft, findet er Alles noch tief unter seiner Erwartung, befiehlt Abänderungen und dictirt Neuerungen in der rücksichtslosesten Weise. Es war vergebens, daß man den Versuch machte, ihn durch Signora Biancona umzustimmen; er drohte die ganze Oper zurückzuziehen, und,“ hier zuckte der Maestro spöttisch die Achseln, „die Verantwortung für ein solches Unglück wollten Eccellenza, der Intendant, denn doch nicht auf sich nehmen. Er versprach Alles, gewährte Alles, und da es schlechterdings nicht möglich war, die dictatorisch geforderten Aenderungen in der kurzen Zeit auszuführen, selbst auf den Herrscherbefehl Signor Rinaldo’s nicht, so muß die Aufführung bis zur nächsten Saison verschoben werden.“
„Der Intendant hat ist diesem Falle ganz recht gethan, dem Wunsche oder meinetwegen der Laune des Componisten nachzugeben,“ sagte der junge Marchese bestimmt. „Die Gesellschaft hätte es ihm nie verziehen, wenn eine übel angebrachte Consequenz sie einer Oper Rinaldo’s beraubt hätte. Man weiß, daß dieser im Stande ist, seine Drohung auszuführen, und sein Werk in der That zurückzuziehen, und einer solchen Alternative gegenüber blieb eben nichts weiter übrig als unbedingtes Nachgeben.“
„Freilich! Mein Widerspruch gilt nur dieser Art von Terrorismus, den sich ein fremder Künstler hier im Herzen Italiens erlaubt, indem er die Einheimischen zwingt, sich seiner speciell deutschen Auffassung der Musik zu fügen.“
„Besonders wenn diese Einheimischen schon zweimal mit einer Oper Fiasco gemacht haben, während jede neue Schöpfung Rinaldo’s vom stürmischen Beifall des Publicums getragen wird,“ flüsterte der Marchese seinem Nachbar zu.
Dieser, ein Engländer, sah äußerst gelangweilt aus. Er war des Italienischen nur theilweise mächtig, und die rasch und lebhaft geführte Unterhaltung blieb ihm daher größtentheils unverständlich. Nichtsdestoweniger beantwortete er die leise und verächtliche Bemerkung seines jugendlichen Nachbars mit einem würdevollen Kopfnicken und sah sich darauf hin aufmerksam den Maestro an, als sei ihm dieser auf einmal eine Merkwürdigkeit geworden.
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