„Warum antwortest Du nicht?“ begann er von Neuem. „Denkst Du, ich wäre Feigling genug, die Wahrheit abzuleugnen? Wenn ich sie Dir bisher verschwieg, so geschah es aus Schonung für Dich; jetzt, wo Du sie kennst, werde ich Dir Rede stehen. – Man hat Dir von der jungen Künstlerin erzählt, der ich die erste Anregung zum Schaffen, meinen ersten Erfolg und den heutigen Triumph danke. Man hat Dir das Verhältniß zwischen uns, Gott weiß wie, geschildert, und Du hältst das nun natürlich für ein todeswürdiges Verbrechen.“
„Nein. Aber für ein Unglück.“
Der Ton dieser Worte hätte wohl Jeden entwaffnet; auch Reinhold’s Gereiztheit hielt nicht Stand davor. Er trat ihr näher und ergriff ihre Hand.
„Armes Kind!“ sagte er mitleidig. „Ein Glück war es freilich nicht, was der Wille Deines Vaters Dir bestimmte. Du mehr als jede Andere bedurftest eines Gatten, der Tag für Tag im ruhigen Kreislaufe der Alltäglichkeit wirkt und schafft, ohne auch nur mit einem Wunsche darüber hinauszureichen, und gerade Dich hat das Schicksal an einen Mann gekettet, den es gewaltsam fortreißt auf andere Bahnen. Du hast ganz Recht: das ist ein Unglück für uns Beide.“
„Das heißt: ich bin es Dir,“ ergänzte die junge Frau tonlos. „ Sie freilich wird es wohl besser verstehen, Dir Glück zu geben.“
Reinhold ließ ihre Hand fallen und trat zurück. „Du bist im Irrthum,“ versetzte er beinahe rauh, „und verkennst vollständig das Verhältniß zwischen Signora Biancona und mir. Es ist ein rein ideales gewesen vom ersten Augenblicke an, und ist es noch bis zu dieser Stunde. Wer Dir etwas Anderes gesagt hat, ist ein Lügner.“
Es schien, als wolle Ella aufathmen bei den ersten Worten; aber bei den nächsten schon zog sich ihr Herz wie im Krampfe zusammen. Sie wußte, daß ihr Gatte keiner Lüge fähig sei, am wenigsten in solchem Augenblicke, und er sagte ihr, das Verhältniß sei ein ideales. Noch war es das, daran zweifelte sie nicht, aber auf wie lange? Sie hatte heute Abend im Theater selbst die dämonischen schwarzen Augen leuchten sehen, denen so leicht nichts widerstand, hatte gesehen, wie jene Frau in ihrer Rolle die ganze Stufenleiter der Empfindungen bis zur höchsten Leidenschaft hinauf durchlief, wie diese Leidenschaft das Publicum zum Beifallssturme fortriß, und sie konnte sich unschwer sagen, daß, wenn es der Italienerin beliebt hatte, bisher nur die beglückende Muse zu sein, die den jungen Tondichter an ihrer Hand in das Reich der Kunst einführte, wohl die Stunde kommen werde, wo sie ihm etwas Anderes sein wollte.
„Ich liebe Beatrice,“ fuhr Reinhold mit einer Aufrichtigkeit fort, von deren Grausamkeit er in der That keine Ahnung zu haben schien, „aber diese Liebe kränkt und verletzt keines von Deinen Rechten. Sie gilt der Musik, als deren verkörperter Genius sie mir entgegentrat, gilt dem Besten und Höchsten in meinem Leben, dem Ideale –“
„Und was bleibt dann noch für Dein Weib übrig?“ unterbrach ihn Ella.
Er schwieg betroffen. Die Frage, so einfach sie war, klang doch eigenthümlich in dem Munde seiner für so beschränkt gehaltenen Gattin. Es war ja selbstverständlich, daß sie sich mit dem begnügen mußte, was noch übrig blieb, mit dem Namen, den sie trug, und dem Kinde, dessen Mutter sie war. Sie schien das seltsamerweise gar nicht begreifen zu wollen, und Reinhold verstummte völlig vor dem ruhigen und doch vernichtenden Vorwurfe dieser Frage.
Die junge Frau stützte die Hand auf den Flügel. Sie kämpfte sichtbar mit der Furcht, welche sie von jeher vor ihrem Manne gehegt, dessen geistige Ueberlegenheit sie tief empfand, ohne gleichwohl je den Versuch zu wagen, sich zu ihm zu erheben. In dem Bewußtsein, daß er hoch über ihr stehe, hatte sie sich ihm stets unbedingt untergeordnet, ohne damit jemals etwas Anderes zu erreichen, als eine Duldung, die nahe an Verachtung streifte. Jetzt, wo er eine Andere liebte, hörte die Duldung auf; die Verachtung war geblieben – das fühlte sie deutlich aus seinem Geständnisse heraus, das er so ruhig, so sicher that; seine Liebe zu der schönen Sängerin „kränkte und verletzte ja keines von ihren Rechten“; sie hatte ja überhaupt kein Recht an sein geistiges Leben. Und diesen Mann sollte sie festhalten, jetzt, wo ihm die Liebe einer schönen, von aller Welt gefeierten Künstlerin, wo ihm der Zauberschein Italiens, wo ihm eine Zukunft voll Ruhm und Glück winkte, sie, die nichts zu geben hatte, als sich selber – Ella fühlte jetzt erst das Unmögliche der Aufgabe, die man ihr zugewiesen.
„Ich weiß es, Du hast nie zu uns gehört, nie Jemand von uns lieb gehabt,“ sagte sie mit stiller Resignation. „Gefühlt habe ich es wohl immer; klar geworden ist es mir erst, seit ich Deine Frau bin, und da war es zu spät. Aber ich bin es doch nun einmal, und wenn Du mich und das Kind verlassen, aufgeben willst um einer Anderen willen –“
„Wer sagt das?“ fuhr Reinhold mit einer Entrüstung auf, die ihn freisprach von dem Verdachte, daß ein solcher Gedanke wirklich schon in seine Seele gekommen war. „Verlassen? Dich und das Kind aufgeben? Niemals!“
Die junge Frau richtete das Auge fragend auf ihn, als verstehe sie ihn nicht.
„Du sagtest doch soeben, Du liebtest Beatrice Biancona?“
„Ja, aber –“
„Aber? So mußt Du auch wählen zwischen ihr und uns.“
„Du entwickelst ja auf einmal eine ganz ungewöhnliche Bestimmtheit,“ rief Reinhold gereizt. „Ich muß? Und wenn ich es nun nicht thue? Wenn ich diese ideale Künstlerliebe für vollkommen vereinbar halte mit meinen Pflichten, wenn –“
„Wenn Du ihr nach Italien folgst,“ ergänzte Ella.
„Also auch das weißt Du schon?“ fuhr der junge Mann heftig auf. „Du scheinst ja so vortrefflich unterrichtet zu sein, daß mir nur noch übrig bleibt, die Nachrichten, die man Dir so freundlich zugetragen, zu bestätigen. Es ist allerdings meine Absicht, in Italien meine Studien fortzusetzen, und wenn ich dort Signora Biancona begegnen sollte, wenn ihre Nähe mir neue Begeisterung zum Schaffen giebt, ihre Hand mir die Künstlerwelt öffnet, so werde ich nicht der Thor sein, das Alles zurückzustoßen, blos weil ich nun einmal das Schicksal habe – eine Frau zu besitzen.“
Ella zuckte zusammen bei der schonungslosen Härte dieser letzten Worte.
„Schämst Du Dich dieser Frau so sehr?“ fragte sie leise.
„Ella, ich bitte Dich –“
„Schämst Du Dich meiner so sehr?“ wiederholte die junge Frau scheinbar ruhig, aber es war ein seltsamer, nervendurchzitternder Klang in ihrer Stimme. Reinhold wendete sich ab.
„Sei nicht kindisch, Ella!“ erwiderte er ungeduldig. „Glaubst Du, daß es für einen Mann wohlthuend oder erhebend ist, wenn er von seinen ersten Erfolgen nach Hause kommt und findet hier Klagen, Vorwürfe, kurz, die ganze nüchterne Prosa der Häuslichkeit. Du hast mich bisher damit verschont und solltest das auch in Zukunft thun. Du könntest sonst die Erfahrung machen, daß ich nicht der geduldige Ehemann bin, der dergleichen Scenen widerstandslos über sich ergehen läßt.“
Es bedurfte nur eines einzigen Blickes auf die junge Frau, um die grenzenlose Ungerechtigkeit dieses Vorwurfs zu erkennen. Sie stand da, nicht wie eine Anklägerin, sondern wie eine Verurtheilte, fühlte sie doch, daß in dieser Stunde das Urtheil ihrer Ehe und ihres Lebens gesprochen wurde.
„Ich weiß wohl, ich bin Dir nie etwas gewesen,“ sagte sie mit bebender Stimme, „habe Dir nie etwas sein können, und wenn es sich jetzt nur um mich handelte, so ließe ich Dich gehen, ohne ein Wort, ohne eine Bitte weiter. Aber das Kind steht ja noch zwischen uns, und da“ – sie hielt einen Augenblick inne und athmete tief auf – „da wirst Du es wohl begreifen, wenn die Mutter Dich noch einmal bittet – daß Du bei uns bleibst.“
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