Manchmal fragte sich Isa, was die Menschheit hier eigentlich tat. Forscherdrang war eine Sache, aber indem sie einen Ort gewaltsam in etwas verwandelten, was er eigentlich nicht war, hinterließen sie eine zerstörerische Spur quer durch die Galaxis.
Eines Tages würde sich etwas oder jemand dagegen erheben.
Akoko Halley und ihre DevilDogs befanden sich im Freizeitblock. Ihre Gegenwart war eine willkommene Abwechslung. Es herrschte immer noch eine gewisse Distanz zwischen ihnen, aber sie waren gemeinsam auf der Love Grove Basis gewesen, und nicht wenige von ihnen hatten Isa wissen lassen, dass sie viele Leben gerettet hatte. Es war schwierig, zu ihnen ein freundschaftliches Verhältnis zu pflegen, da sie kein Marine war, aber sie zeugten ihr sichtbar ihren Respekt. Manchmal verwirrten sie diese Eigenheiten der menschlichen Natur.
Deshalb liebte sie es so sehr, die Yautja zu studieren.
Halley war stets cool, und jemand aus ihrer Crew, Private Bestwick, hatte Isa einmal verraten, dass Halleys Spitzname Snow Dog lautete. Bestwick war eine kleine Frau, drahtig und kräftig, und sie lächelte, als sie den Spitznamen aussprach.
»Manchmal ist sie fast schon zu cool, doch ich würde ihr selbst in die Hölle folgen«, hatte sie gesagt.
Aber Isa mochte Halley. Als Majorin der 39th Spaceborne-Division war es für sie ungewohnt, ein kleines Schiff mit einer noch kleineren Crew zu befehligen. Sie war es gewohnt, tausende Marines unter ihrem Kommando zu haben, nicht nur fünf. Doch wenn Halley nicht gewesen wäre, hätte Isa ihre Nachricht an die Streitkräfte der Yautja vermutlich nie abschicken können. Ein Lieutenant hätte wahrscheinlich nicht die Entschlossenheit besessen, eine solche Entscheidung zu treffen. Halley hatte alles in die Waagschale geworfen, aber sich richtig entschieden.
»Sie sagen, ich sei bald in der Lage, das Sprungtor zu durchqueren«, ließ Isa die Marines wissen. »In ein paar Tagen.«
»Na Gott sei Dank!«, stieß Nassise hervor. Er und Gove spielten gerade Tischtennis, und beide waren mittlerweile ziemlich gut darin geworden. Nassise war eine seltsame Person, barsch und distanziert. Er schien seine Zeit für nichts anderes nutzen zu wollen, als ein guter Marine zu sein. »Ich hasse dieses Stück Felsen«, fügte er hinzu. »Kann es gar nicht erwarten, hier wieder wegzukommen.«
»Wir sind bereit, zu starten«, sagte Halley, die zurückgelehnt in ihrem Sessel saß. Sie las ein altertümliches Buch, und Isa fragte sich, wo sie es gefunden haben mochte. »Ich hatte erwogen, ein größeres Schiff zu nehmen, aber die Pixie ist das schnellste Schiff, das uns derzeit zur Verfügung steht. Immerhin werden wir beinahe sechs Monate unterwegs sein, mit Dutzenden von Raumsprüngen.« Sie legte sich das aufgeschlagene Buch auf ihre Brust. »Sind Sie sicher, dass Sie bereit dafür sind?«
»Für die Reise? Oder zurück zu Gerard Marshall geschleppt zu werden?«
Halleys starrte ins Leere. Isa hatte diese Reaktion schon öfter an ihr gesehen, wann immer Marshall erwähnt wurde. Sie konnte ihn genauso wenig leiden wie Isa, und das fand Isa beruhigend. Wenn auch unausgesprochen, schien sie das zusammenzuschweißen.
»So lautet der Befehl«, sagte Halley. »Ich meinte die Reise.«
»Ja, ich denke, ich bin bereit. Wir hätten schon vor Tagen starten können, wenn ich es hätte entscheiden können.«
Halley stand auf, streckte sich, trat auf Isa zu und berührte sie an der Stirn. »Na, wir wollen ja schließlich nicht Ihren kostbaren Grips beschädigen, nicht wahr?« Jemand kicherte, und Isa sah sich um. Sprenkel musterte sie ausgiebig. Den großen Mann konnte sie nicht leiden und hatte ihn kaum mehr als ein paar zusammenhängende Worte sagen hören. Er schien immer in Bewegung zu sein – selbst wenn er still stand – als wäre er angefüllt mit etwas, das dringend aus ihm heraus wollte. Manche Marines schienen eben für den Kampf geboren zu sein.
»Sprenkel«, sagte Halley. Der Hüne nahm den Blick von ihr.
»Wird eng werden auf der Pixie «, sagte Halley. »Sie und Ihr Freund können es sich dann gemütlich machen.«
»Wir sind nicht zusammen«, sagte McIlveen. »Da haben Sie was falsch verstanden.«
Halley antwortete nicht. Sie verließ den Raum in Richtung der Bar und es wurde still um sie herum. Das einzige Geräusch kam von dem gelegentlichen hohlen Klackern des Tischtennisballs.
Hin und her, hin und her.
»Komm schon«, sagte Isa und griff McIlveens Arm. »Wir haben noch was zu erledigen.«
»Hey Palant«, rief Bestwick. Sie saß in einem Holo-Sitz, mit einem Headset auf dem Kopf, und war in irgendein unsichtbares Szenario versunken. »Lassen Sie sich von uns nicht ins Bockshorn jagen. Wir sind nur schon viel zu lange hier und ein paar von uns werden langsam nervös.«
»Ja, verstehe«, antwortete Isa. »Machen Sie sich keine Gedanken.« Gove warf ihr ein Lächeln zu, während er einen angeschnittenen Ball von Nassise parierte. Huyck, Halleys Sergeant Major, hob leicht seine Kappe an und zwinkerte ihr zu, bevor er sich weiter seinem Nickerchen widmete. Selbst Halley ließ ein Lächeln aufblitzen, auch wenn es wenig an ihrem starren Gesichtsausdruck änderte.
Sprenkel sah auf seine Fingernägel hinunter.
»Trotzdem kann ich es kaum erwarten, endlich von diesem verkackten Ort wegzukommen«, sagte Nassise und unterstrich das Schimpfwort mit einem Schmetterball, der quer durch den Raum pfiff. »Ja! Hast verloren, Gove, du elender Scheißkerl.«
Isa und McIlveen verließen den Raum ohne den Kaffee, den sie sich erhofft hatten. Isa führte sie zu dem Medienraum. Dort würden sie ihre Studien fortführen können.
»Marines«, sagte McIlveen leise und ein wenig verächtlich.
»Du sagst es.«
Der Tag verstrich langsam und ereignislos. Sie erarbeiteten gemeinsam eine weitere Variation eines Yautja-Sprachmusters und Isa stieß dabei auf etwas Erstaunliches, ein Verb, das an einen keltischen Dialekt erinnerte, der in einem der alten walisischen Königreiche gesprochen wurde und seit über siebzehn Jahrhunderten als vergessen galt.
Sie und McIlveen erprobten die neue Idee, versuchten, sie objektiv zu beurteilen. Isa wusste nur zu gut, dass sie sehr oft zu tief in ihren Studien steckte und in dieser Hinsicht zu stürmisch sein konnte. Manchmal bereitete es ihr Sorgen, dass sie ihre Ideen womöglich ihrer Forschung aufzwang, anstatt sie genau an ihr auszutesten.
Am späteren Nachmittag begab sie sich zu ihrer täglichen Untersuchung. Der Arzt absolvierte die gewohnten Tests und beendete seine Behandlung mit einem Holo-Scan ihres Gehirns.
»Sieht gut aus«, sagte er. »In zwei Tagen haben Sie es überstanden.«
Isa war nervös. Vor ihr lag eine unglaublich lange Reise, in der ihr nur die Marines und McIlveen als Begleitung zur Verfügung stehen würden, und sie war sich nicht sicher, ob sie es schaffen würde. Sie war es gewohnt, für sich zu sein, in gewohnter Umgebung. Sie wusste, dass die Marines sie und das von ihr Vollbrachte respektierten, aber trotz allem fühlte sie sich in deren Gegenwart wie eine Außenseiterin. Sie hoffte, dass sie sich das nur einbildete.
Und McIlveen? Sie mochte ihn, aber …
An diesem Abend verließen die beiden die Basis, um den Sonnenuntergang anzusehen. Die Einrichtung war auf einem großen Plateau über einem uralten vergletscherten Tal errichtet worden. Durch eine Reihe schneebedeckter Berge vor den ungemütlichen Ostwinden geschützt, war das Plateau grün und üppig bewachsen, mit einem Gewirr aus unzähligen Bächen, die an über einem Dutzend Stellen die Klippen hinabrauschten. Oft hing ein feiner Nebel über den Wasserfällen, die auf diese Art in das Tal hinabfielen, was nicht selten beeindruckende Sonnenuntergänge erzeugte. Auch dieser Tag machte da keine Ausnahme. In weiter Ferne sah man den Horizont, ein orangefarbener Streifen mit vereinzelten weit oben dahinziehenden Wolken, die von der untergehenden Sonne in ein pinkfarbenes Licht getaucht wurden. Davor schimmerten Regenbogen über dem Rand des Plateaus wie riesige, bunte, tanzende Schmetterlingsflügel.
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