Nach ihrer Friedenskonferenz mit Kalakta vom Clan der Ältesten vor einigen Wochen hatte sie sich schrittweise von ihren Verletzungen erholt. McIlveen war mit ihr auf der Basis geblieben, genauso wie Halley und ihre Crew. Halley hatte Isa verraten, dass Gerard Marshall sie damit beauftragt hatte, sie unter allen Umständen zu beschützen. Als einer der Dreizehn, dem engsten Rat der Weyland-Yutani-Corporation, war Marshall geradezu versessen auf ihre Fachkenntnisse und wollte sie so schnell wie möglich zurück im Sol-System wissen. Dafür waren jedoch viele Monate des Reisens und wenigstens dreißig Sprünge durch Sprungtore nötig, und auf beides war sie alles andere als vorbereitet.
Direkt nach der Friedenskonferenz stellte man Gehirnverletzungen bei ihr fest. Sie hatte Gehirnblutungen erlitten. Sie waren eher geringfügiger Natur und leicht heilbar, aber es bedeutete, dass sich jeder Raumsprung als gefährlich entpuppen konnte.
Denn Raumsprünge waren stets riskant. Aufgrund der beinahe unerklärbaren Physik, auf der die Sprünge basierten, mussten die Reisenden diese Sprünge in speziellen Schutzkapseln verbringen. Diese stellten die kleineren Brüder der Kälteschlaf-Kapseln dar, die für lange Reisen durch die Tiefen des Alls verwendet wurden. In ihrem Inneren wurde man von einer gelartigen Substanz umschlossen, welche die menschliche Physiologie für eine gewisse Zeit »einfror«. Während man beim Kälteschlaf in einen tiefen, zeitlosen Schlaf gelegt wurde, ähnelte der Aufenthalt in einer Schutzkapsel eher dem Gefühl, die Luft anzuhalten und die Zeit zwischen zwei Herzschlägen hinauszuzögern.
Hin und wieder entdeckte man nach einem Sprung fehlerhafte Pods, deren Insassen gestorben und die in dem Zeitraum weniger Stunden um mehrere Dekaden gealtert zu sein schienen. Es gab Berichte darüber, dass man einige dieser beschädigten Pods geöffnet hatte und darin seltsam verzerrte Leichen fand, die in ranzigem Gel schwammen. Ihre Münder standen offen, als wären sie zu einem endlosen Schrei erstarrt. Sie hatten sich die Fingernägel herausgerissen, die Knöchel gebrochen, und das Innere der Kapseln war mit Kratzspuren übersät.
Über die Jahrhunderte waren auch immer wieder Geschichten von Menschen aufgetaucht, die versucht hatten, während eines Sprungs bei Bewusstsein zu bleiben, aus Neugier, was währenddessen mit ihrem Verstand passieren würde. Isa glaubte diese Geschichten nicht und keine davon konnte wirklich jemals bewiesen werden. Doch ungeachtet ihres Wahrheitsgehalts kamen all diese Geschichten zum gleichen Ergebnis: Wenn diese Reisenden den Selbstversuch überlebten, waren sie danach nicht mehr imstande, von ihren Erlebnissen zu berichten.
Die Reise hatte sie wahnsinnig werden lassen.
Isa hasste die Schutz- und Kälteschlaf-Kapseln gleichermaßen. Ein solcher Sprung fühlte sich für sie unnatürlich an, als würde man versuchen, die Natur zu täuschen. Und ihrer Meinung nach ließ sich nichts vor der Natur verbergen.
Ihre eigenen Verletzungen waren nach dem Sprung zu dem Treffen mit Kalakta und seiner Delegation bemerkt worden. Die Mediziner untersuchten die Schmerzen, die der Sprung bei ihr verursachte, und informierten sie darüber, dass sie Glück hatte, noch am Leben zu sein. Als Ergebnis der Untersuchungen behielt man sie auf Basis LV-1657, bis ihre Verletzungen verheilt waren, und Marshall würde so lange warten müssen. McIlveen und Halley waren bei ihr geblieben.
In der Zwischenzeit dachte Isa Palant darüber nach, was nun als Nächstes passieren würde.
Ihr altes Leben war vorbei. Sie hatte sich auf der Love Grove Basis niedergelassen und dort ihren Frieden gefunden. Die Verhältnisse auf dem Planeten waren brutal gewesen. Wütende Stürme, aufgepeitscht von den anhaltenden Terraforming-Bemühungen, fegten dort über das karge und mit Ausnahme der Wissenschaftler und Indies auf der Basis leblose Land. Doch mit der Zeit hatte sie den Ort lieben gelernt. Sie arbeitete unter dem Banner von Weyland-Yutani, aber sie war weit genug von deren Einflussbereich entfernt, um ihrer Arbeit auf ihre Art nachzugehen. Ihre Eltern hatten der Company stets misstraut, und dieses Misstrauen an sie vererbt. Doch Weyland-Yutani war so riesig, dass ihre Gefühle nie ein Problem darstellten. Die Firma war nicht darauf angewiesen, dass die Leute an sie glaubten, um erfolgreich zu sein. Alles was sie brauchten, war deren Expertise.
Also stellte sie ihre in den Dienst der Firma, während sie in Gedanken für sich selbst arbeitete. Der Wissenschaft galt ihre ganze Hingabe. Einen kleinen Teil ihres ständig wachsenden Wissens an die Firma weiterzuleiten war aus ihrer Sicht ein kleiner Preis, den sie für die unendlichen Ressourcen bezahlte, die sie ihr zur Verfügung stellen konnten.
Diese Ressourcen waren nun verschwunden, aber dafür waren andere auf den Plan getreten. Die kühle und zurückhaltende Akoko Halley war eine davon, Milt McIlveen eine andere. Ihre anfängliche Abneigungen ihm gegenüber hatte sich in ihrer kurzen Zeit miteinander schnell gelegt, und ihre gemeinsamen Erlebnisse hatten sie noch enger zusammengeschweißt.
Die Zukunft, die vor ihnen lag, war mehr als ungewiss, und aus diesem Grund genoss sie den unfreiwilligen Aufenthalt auf LV-1657. Es gab ihr die Möglichkeit, sich zu sammeln.
Sie gehörte nicht hierhin, aber sie wusste, dass sie sich früher oder später einleben würde. Dies war eine Militärbasis, durch und durch, die nur für den Zweck errichtet worden war, jenes Sprungtor zu beschützen und am Laufen zu halten, welches in einem Orbit um den Mond des Planeten in einer halben Million Meilen Entfernung erbaut worden war.
Nicht gerade der wärmste und gemütlichste Ort der Welt, dachte sie bei sich.
Jemand klopfte an die Tür.
»Ja bitte?«
»Ich bin's.« Milt McIlveen. Isa spürte einen Anflug von Erleichterung, als sie seine Stimme hörte. Ein vertrauter Klang zwischen all dem Unbekannten hier.
»Du, und …?«
»Ich habe Kaffee dabei.«
»Wieso stehst du dann noch da draußen?«
Die Tür öffnete sich zischend und McIlveen betrat ihr Quartier. In jeder Hand hielt er eine dampfende Kaffeetasse und unter seinem Arm klemmte eine Folientüte.
»Ich hab auch Frühstück dabei«, sagte er, »und ein paar Neuigkeiten.«
Für gewöhnlich aßen sie zusammen in der Kantine, zusammen mit Halley und ein paar Leuten ihrer Crew. Auf LV-1657 war ein großes Kontingent der 5th Terrestials, genannt Blood-Maniacs, stationiert, und Halley und ihre Crew kamen nicht besonders gut mit diesen »steinefressenden Landsern«, wie sie es nannte, aus. Aus diesem Grund verbrachten sie einen Großteil ihrer Zeit auf ihrem Schiff, der Pixie , die entweder auf einer der sieben Landeplattformen stand oder durch das System patrouillierte. Jene Distanziertheit hatte auf der Basis für ein unangenehmes Klima gesorgt, doch darüber machte sich Isa nicht allzu viele Gedanken. Schließlich waren sie und McIlveen Zivilisten.
»Jetzt spuck's schon aus«, sagte Isa.
»Das Frühstück?«
»Nein, du Quatschkopf.« Ihr gefielen diese Wortgefechte mit McIlveen. Es erinnerte sie an ihre Beziehung zu Rogers, dem schnodderigen Indie, der sich in ihrer Gegenwart von seiner gefühlvollen und nachdenklichen Seite gezeigt hatte.
»Oh, gut. Wobei das eigentlich die richtige Reaktion auf das wäre, was sie einem hier so servieren.«
»Wieder nur Trockenei?«
Er reichte ihr die Folientüte. Sie öffnete sie.
Trockenei.
»Okay, und die Neuigkeiten?«, fragte sie, als sie ihren Kaffeebecher entgegennahm. Er roch köstlich und schmeckte noch besser.
»Die Yautja befinden sich noch immer im System.«
Isa hob eine Augenbraue. »Und woher weißt du das?«
»Ich hab gehört, wie sich ein paar BloodManiacs in der Kantine darüber unterhielten. Ihre Schiffe befinden sich im Orbit um LV-1657 und seinem Mond und dem Sprungtor. Etwa eine Milliarde Meilen weit draußen. Sie verstecken sich nicht, bleiben konstant unter Warp und … kreuzen dort so herum.«
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