Björns gute Laune war wie weggeblasen.
»Okay. Ich komme vorbei. Aber nur damit das klar ist – ich lasse mich nicht auf solche Spielchen mit Geiselnehmern ein. Ich sehe mir alles an, aber übernehme nicht den Einsatz. Wer ist vor Ort? Das Center ist evakuiert? Alles abgesperrt?«
»Yupp. Alles gesichert. Tom Sendelmann ist schon hier, Technik steht, SEK hält sich bereit. Und eine Polizeistreife patrouilliert als Sahnehäubchen on top.«
»Bis gleich.«
Mürrisch vor sich hin murmelnd, trocknete Björn sich ab.
Der Millimeterschnitt bedurfte keiner besonderen Zuwendung.
Er schlüpfte schuldbewusst in sein Arbeitsalltagsoutfit. War sich im Klaren darüber, dass er seine Familie enttäuschen musste.
Nicht das erste Mal. Die Kinder würden später über ihn erzählen, dass seine Versprechen nicht die Spucke wert waren, die man brauchte, um sie auszusprechen.
Die Mienen der Kinder verfinsterten sich, als er ins Wohnzimmer trat.
»Papa! Du kannst doch nicht so in den Zoo gehen! Mit der dicken Polizeijacke.« Manja sah ihn flehend an. »Und du willst doch mitkommen?«
Der Vater ging in die Hocke, umfasste mit jeder seiner Pranken zwei Kinderhände. »Doch, ich will. Und das klappt auch. Wir machen es so: Ihr fahrt mit Mama vor und wir treffen uns später bei den Eisbären. Ich komme, so schnell ich kann!«
»Und wie schnell kannst du?«, erkundigte sich Monika, seine Frau. Er hörte die mühsam unterdrückte Wut unter ihren Worten, konnte ihre Enttäuschung physisch spüren.
Schnell richtete er sich auf und schloss die zierliche Gestalt in seine trainierten muskulösen Arme, die ohne Mühe einen Kleinwagen anheben konnten.
»Du hast frei!«, protestierte sie bebend.
»Ja. Das bleibt auch so. Wir haben eine Geiselnahme im Blue Cube«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Der Kerl will mit mir sprechen. Ich aber nicht mit ihm. Sie haben ein Video von der Geiselnahme. Das sehe ich mir an und treffe euch danach bei den Eisbären.«
Im Flur angelte er den Autoschlüssel aus der Schublade, winkte der Familie zu und stürmte los. Ahnte noch nicht, dass er sein Versprechen nicht würde einlösen können.
»Echt? Du hast schon einen konkreten Plan?«, erkundigte ich mich aufgeregt. »Wie sieht der aus?« Ich ruckelte nervös auf meinem Stuhl hin und her, beugte mich weit über den Tisch, um nur nichts zu verpassen. Endlich eine Route!
»Nun, am besten starten wir in Bogotá. Es gibt einen direkten Flug ab Berlin. Wir sehen uns die Stadt an, tauchen ein bisschen ein in den Trubel dieser riesigen Metropole. Nur weil wir aus humanitären Gründen hinfliegen, müssen wir ja nicht darauf verzichten, uns Sehenswürdigkeiten anzusehen. Wer weiß, wann wir später wieder so eine Chance bekommen werden!« Nicolas blaue Augen blitzten voller Vorfreude, er lachte leise. Bei seiner Statur geriet es dennoch laut. Ein sportlicher junger Mann, muskelbepackt, tätowiert, dessen ursprünglich modischer Haarschnitt mit üppiger, zur Seite gewellter Tolle inzwischen einer praktischeren Frisur gewichen war, einer Art Bürstenschnitt mit Seitenscheitel. Unser Plan sah einen Koffer für Pflegeprodukte und Styling-Technik nicht vor. »Es gibt eine Kontaktadresse für Interessenten, die sich bei einer Hilfsorganisation engagieren wollen. Dort habe ich mich bereits hingewandt, die vermitteln uns einen Kontakt vor Ort.«
Ich beobachtete die Kellnerin, die von Tisch zu Tisch lief.
Für jeden hatte sie ein freundliches Wort, erkundigte sich nach Angehörigen. Stammkunden, konstatierte ich. Sie möchte ihnen ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln, Kundenbindung.
Mir kam es so vor, als werfe sie immer wieder misstrauische Blicke in unsere Richtung. Wahrscheinlich entsprachen wir zu wenig dem Bild der »normalen« Cafébesucher. Drei junge Männer mit dunklen Haaren, kurzen Bärten, legerer Kleidung, die konspirativ beieinandersaßen und offensichtlich Pläne schmiedeten. Möglicherweise finstere. Wir waren auf jeden Fall suspekt.
Die Kellnerin trat zu ihrem Kollegen an den Tresen, es entwickelte sich ein kurzes Gespräch zwischen den beiden.
»Wir fallen auf«, erklärte ich den anderen beiden. »Die Kellnerin ist davon überzeugt, dass wir uns hier treffen, um einen Banküberfall zu planen. Das liegt an unserem Aussehen.«
»Quatsch. Warum sollte sie? Dann müsste sie ja auch annehmen, die alten Damen da drüben«, Nicola deutete mit dem Kopf leicht nach links, »gehören zu einem Kinderschmugglerring. Woher willst du überhaupt wissen, was sie denkt? Gedankenlesen war schon immer eine Fähigkeit von dir?«
Nicola eben. Arrogant.
»Nein, ich habe einen Freund, der nach einer Infektion sein Gehör verloren hatte. Ich kann Lippenlesen.«
»Das ist ja toll!« Felipe war ehrlich erstaunt. »Das kann man einfach so lernen?«
»Einfach so nicht. Nur mit Ausdauer«, gab ich mich bescheiden, freute mich aber sehr darüber, wenigstens Felipe beeindruckt zu haben.
»Und der Kollege hinterm Tresen glaubt auch, wir hätten Böses vor?«
»Nein«, konnte ich Nicola beruhigen. »Er glaubt, wir organisieren eine Überraschungsparty für einen Freund.«
»Na, dann ist ja alles geklärt. Kommen wir zum Thema zurück.«
Wir bestellten drei Gin Tonic.
Legten die Speisekarte griffbereit an den Rand des Tisches, signalisierten so, dass wir noch mehr ordern würden.
Das Café in der Schloßstraße war gut besucht.
Die übrigen Gäste schienen an uns sehr interessiert zu sein, es kam mir vor, als versuchten sie zu erlauschen, was wir wohl zu besprechen hatten.
»Vielleicht sollten wir uns etwas leiser unterhalten«, gab ich zu bedenken.
Nicola sah sich kurz um, nickte.
»Okay. Wir haben nichts zu verbergen, aber unser Plan muss auch nicht Stadtgespräch werden.«
Fortan wurde bei uns eher geflüstert, um ausschließen zu können, dass an den Nachbartischen etwas von unserem Gespräch aufgeschnappt würde. Was uns sicher in den Augen der Kellnerin und der anderen Gäste noch verdächtiger machte.
Mit der Zeit würde man sich an unseren Anblick und unsere Art gewöhnen.
»Ich hatte eigentlich nicht erwartet, dass es mit der Organisation unseres Einsatzes so einfach funktionieren wird.« Felipes Hände waren sorgfältig manikürt, sahen weich und zärtlich aus. Während er mit warmer Märchenerzählerstimme sprach, bewegten sie sich sanft, unterstrichen seine Worte perfekt, gaben ihnen Gewicht – selbst wenn die Aussage im Grunde gar nicht fundamental wichtig war. Der Blick, mit dem seine braunen Augen Nicola streiften, war ein wenig skeptisch, vielleicht ein bisschen ängstlich. Die langen, dunklen Haare wurden von einem weichen Gummiband gehalten, das er während des Sprechens immer wieder neu fixierte.
Ich warf einen Blick auf meine derben, klobigen Finger und schob sie unter die Oberschenkel.
»Kennt ihr beide euch gut?«, fragte ich unvermittelt, rau und ein wenig besorgt. Die Rolle als mitgeschlepptes Anhängsel würde mir nämlich nicht gefallen.
Nicola überließ es Felipe zu antworten.
»Wir wohnen in einem Haus mit lauter WGs. Gesehen haben wir uns schon öfter, aber ich wurde erst aufmerksam, als Nicola einen Aushang am schwarzen Brett gemacht hat. ›Soziales Engagement in Kolumbien‹. Das hat mich angesprochen. Und, wie gesagt, ich nahm an, es könnte eine komplizierte Angelegenheit werden. Und nun sieht es gar nicht danach aus.«
»Wie abgemacht: Wir sprechen uns nur mit den spanischen Namen an.« Nicolas Ton wurde eindringlich. »Wenn wir erst in Kolumbien sind, sollte uns besser kein Fehler mehr unterlaufen. Ihr wisst ja, es gibt dort Gruppen, Untergrundorganisationen oder auch Clans, Kartelle – wie auch immer man sie bezeichnen will –, die Menschen verschleppen und gegen Lösegeldzahlungen freigeben, oder auch nicht.«
Читать дальше