Etwas hinter ihm, im Halbdunkel, saß Hieronymus Radsiejowski, der Starost von Lomscha, ein kleiner, dicker Mann, mit dem roten, fetten und frechen Gesicht des Höflings, und ihm gegenüber am Tisch der dritte Herr, mit aufgestemmten Ellbogen, aufmerksam die vor ihm liegenden Karten der Umgegend betrachtend, und von Zeit zu Zeit den Blick auf den König heftend.
Sein Antlitz war weniger majestätisch, aber es trug fast noch mehr den Ausdruck amtlicher Würde als dasjenige des Königs. Es war ein von Sorgen und Gedanken durchfurchtes Gesicht, kühl und verständig, wie das Gesicht eines Mannes von Stande, welchem der Ernst nichts von seiner außerordentlichen Schönheit benahm. Die Augen waren blau und durchdringend, polnische Kleidung, der nach schwedischer Art zugestutzte Bart, der über der Stirn befindliche Haarbüschel gaben seinen regelmäßigen, wie aus Stein gemeißelten Zügen eine noch größere, senatorische Würde.
Dieser Mann war Georg Ossolinski, der Kanzler der Krone und Fürst des römischen Reiches, ein Diplomat und Redner, welcher von allen Höfen Europas bewundert wurde, der berühmte Gegner Jeremias Wischniowiezkis.
Seine außerordentlichen Fähigkeiten hatten schon frühzeitig die Aufmerksamkeit der früheren Herrscher auf ihn gelenkt und ihm die wichtigsten Ämter eingetragen, kraft welcher er – in der herannahenden Stunde seiner vollständigen Zerschellung – das ganze Staatsschiff lenkte.
Und der Kanzler war wie geschaffen zum Steuermann eines solchen Fahrzeuges. Arbeitssam, ausdauernd, verständig, wie er war, den Blick in die ferne Zukunft gerichtet, alles auf Jahre voraus berechnend und erwägend, hätte er mit sicherer und ruhiger Hand jedes Staatsschiff, mit Ausnahme der Republik, in einen sicheren Hafen gelenkt, jedem anderen innere Kraft und lange Jahre der Macht gesichert, – wenn er selbständiger Minister, beispielsweise eines Monarchen wie der König von Frankreich oder Spanien, gewesen wäre.
Außerhalb der Landesgrenzen erzogen, an fremde Vorbilder sich anlehnend, konnte er, trotz des angeborenen Scharfblickes und Verstandes, trotz der jahrelangen Erfahrungen, sich nicht an die kraftlose Regierung der Republik gewöhnen, und lernte sein Leben lang nicht mit diesem Umstande rechnen, obgleich das der Fels war, an welchem alle seine Pläne, Absichten und Bemühungen scheiterten. – Er ahnte jetzt bereits den Abgrund, der sich vor ihm aufzutun begann, er sah den Ruin über das Reich hereinbrechen, über welchen er später, Verzweiflung im Herzen, starb.
Er war ein genialer Theoretiker, welcher jedoch nicht verstand, ein genialer Praktiker zu sein, darum geriet er in ein Wirrsal von Irrtümern, aus welchem zu entrinnen er nicht vermochte. Einmal erfaßt von einem Gedanken, welcher in der Zukunft Früchte tragen sollte, hing er diesem mit dem Eigensinn des Fanatikers nach, nicht erwägend, daß dieser Gedanke wohl in der Theorie heilbringend, doch angesichts der gegenwärtig bestehenden Tatsachen in der Praxis nur schreckliche Niederlagen nach sich ziehen mußte.
Indem er bemüht war, das Reich und die Regierung zu kräftigen, hatte er das schreckliche Element der Kosaken entfesselt, ahnungslos, daß sich der Sturm nicht nur gegen den Adel, die Vorrechte und Übergriffe der Magnaten und deren Übermut, sondern gegen die eigensten, innersten Interessen des Staates selbst richten würde.
Chmielnizki hatte sich in den Steppen erhoben und war zu einem Riesen angewachsen. Auf die Schultern der Republik wälzten sich die Niederlagen an den gelben Wassern bei Korsun und Pilawice. Schon bei dem ersten Schritt hatte dieser Chmielnizki sich mit dem Feinde des Staates, der Krimschen Macht, verbündet. Ein Schlag folgte dem anderen, – es blieb nur Krieg und wieder Krieg. Das schreckliche Element der Empörung mußte vor allem erdrückt werden, um es sich für die Zukunft nutzbar zu machen. Und der Kanzler, statt das zu tun, schlug, in seinen Gedanken verrannt, nur den Weg der Verträge ein, zögerte, ein Ende zu machen, und traute noch immer sogar dem Chmielnizki.
Die Macht der Verhältnisse zertrümmerte alle seine Theorien; mit jedem Tage zeigte es sich deutlicher, daß die Folgen der Bemühungen des Kanzlers ganz entgegengesetzt denjenigen waren, die er erwartet hatte, – bis endlich die Tage von Sbarasch gekommen waren und alle Befürchtungen auf das schlimmste bestätigten.
Den Kanzler erdrückte fast die Bürde der Sorgen, der Bitterkeit und des allgemeinen Hasses. Er tat also das, was in Tagen des Unglücks und der Widerwärtigkeiten alle Menschen tun, bei welchem das Selbstvertrauen stärker ist als alles Unglück, – er suchte Schuldige.
Schuldig war die ganze Republik, sämtliche Stände derselben, ihre Vergangenheit und die Form ihrer Regierung. Aber wer aus Furcht, ein am Bergesabhange liegender Felsblock könne herabstürzen und alles auf seinem Wege mit sich fortreißen, diesen Felsblock in die Höhe richten will und nicht mit den ihm zu Gebote stehenden Kräften rechnet, der bringt ihn vorzeitig ins Rollen. Der Kanzler hatte noch Schlimmeres getan, denn er hatte den schrecklichen, reißenden Strom der Kosaken zu Hilfe gerufen und nicht bedacht, daß derselbe den Boden unterminieren und fortreißen mußte, auf welchem der Fels ruhte.
Während er also Schuldige suchte, richteten sich aller Augen auf ihn, als den Anstifter des Krieges, der Niederlagen und des Elends.
Doch der König vertraute noch der besseren Einsicht seines Kanzlers um so mehr, da die öffentliche Meinung seine königliche Majestät nicht schonte und ihn gleich dem Kanzler beschuldigte.
So saßen sie nun in Toporow, düster und sorgenvoll, ohne zu wissen, was sie tun sollten, denn der König hatte nur fünfundzwanzigtausend Mann bei sich. Der Befehl zum allgemeinen Aufgebot war zu spät ausgeschickt worden, und dasselbe hatte sich kaum erst zum kleinsten Teil versammelt. Wer die Schuld daran trug, und ob die Verzögerung nicht ein neuer Fehler der eigensinnigen Politik des Kanzlers war, dieses Geheimnis waltete nur zwischen dem Könige und seinem Minister, – genug, beide fühlten sich in diesem Augenblick wehrlos gegenüber der Macht Chmielnizkis.
Noch wichtiger war, daß sie keine genauen Nachrichten über ihn hatten. Im königlichen Lager wußte man bis jetzt nicht, ob der Khan mit seiner ganzen Heeresmacht bei Chmielnizki sei, oder ob nur Tuhaj-Bey mit einer Anzahl seiner Horden die Kosaken begleite. Das war eine Frage um Leben und Tod. Mit Chmielnizki allein konnte der König im Notfalle sein Glück versuchen, obwohl der Rebellenhetman über eine zehnfach größere Macht gebot. Der Nimbus, welcher den königlichen Namen umgab, hatte für die Kosaken eine große Bedeutung, eine größere vielleicht, als für die Menge des allgemeinen Aufgebots und des rohen, ungeübten Adels. War aber der Khan gegenwärtig, so war es unmöglich, sich mit dessen Stärke zu messen.
Die allerverschiedensten Gerüchte waren im Umlauf, aber niemand wußte etwas Genaues. Der umsichtige Chmielnizki hielt alle Kräfte zusammen, ließ absichtlich keine Abteilung Kosaken, keinen tatarischen Streifzug aus dem Lager, damit der König keinen Kundschafter bekomme.
Der Rebellenhetman hatte die Absicht, – mit einem Teil seiner Truppen das sterbende Sbarasch vollends auszuhungern und selbst unvermutet mit dem Rest seiner Kosaken und der gesamten Tatarenmacht den König samt seinem Heere zu umzingeln und ihn dem Khan auszuliefern.
Es lagerte also nicht ohne Grund eine Wolke auf der Stirn des Königs, denn es gibt keinen größeren Schmerz für die Majestät, als das Gefühl der Machtlosigkeit. Johann Kasimir lehnte kraftlos im Lehnstuhl, ließ die Hand auf den Tisch sinken und sagte, auf die Karte zeigend:
»Das führt zu nichts, zu nichts! Schafft mir Kundschafter.«
»Auch ich wünsche mir nichts sehnlicher als Kundschafter,« entgegnete Ossolinski.
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