»Hier finden sie mich nicht,« dachte Skrzetuski, »es sei denn, sie wollten Fische im Rohr fangen; aber Fische gibt es nicht, die sind von der Fäulnis krepiert. Hier will ich ausruhen und überlegen, was weiter zu tun ist.«
Und er dachte nach, ob er im Flusse weitergehen sollte, oder nicht. Zuletzt beschloß er zu gehen, sobald der Wind sich regte und das Rohr sich wiegte. Im entgegengesetzten Falle mußten die Bewegung und das Geräusch ihn verraten, besonders, da er wahrscheinlich dicht am Lager vorüber mußte.
»Ich danke dir, Gott, daß ich noch lebe!« flüsterte er leise.
Und er erhob den Blick zum Himmel, dann flogen seine Gedanken hinüber in das polnische Lager. Von hier aus war das Schloß deutlich zu sehen, besonders jetzt, wo es von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne vergoldet wurde. Vielleicht betrachtet jetzt jemand auf dem Turme durch das Fernrohr den Teich und das Rohr, und Wolodyjowski und Sagloba werden wohl den ganzen Tag von den Wällen ausblicken, ob sie ihn nicht an irgend einer Belluarde aufgehängt sehen.
»Sie werden mich nicht sehen!« dachte Skrzetuski, und seine Brust erfüllte ein wonniges Gefühl der Sicherheit. »Sie werden mich nicht sehen! ...« wiederholte er mehrere Male. «Ich habe zwar erst eine kurze Strecke Weges gemacht, aber sie wollte gemacht sein. Gott wird mir weiter helfen.«
Hier versetzte ihn seine Einbildungskraft schon hinter das Lager – in die Wälder, hinter welchen sich das königliche Heer, der allgemeine Aufruf des Landes, Husaren, Fußvolk und fremdländische Regimenter befanden. Die Erde stöhnt unter der Last der Menschen, Pferde und Kanonen, und mitten in diesem Ameisenhaufen des Königs Majestät.
Dann sah er eine unermeßliche Schlacht, zersprengte Lager, – den Fürsten mit der ganzen Reiterei, über Leichenhaufen dahinjagend, die Heere begrüßend.
Die schmerzenden, angeschwollenen Augen schlössen sich vor dem blendenden Licht, sein Kopf neigte sich unter dem Übermaß der Gedanken. Eine wohltuende Schwäche befiel ihn, endlich streckte er sich der Länge nach hin und schlief ein.
Das Rohr rauschte. Die Sonne stieg hoch am Himmel empor und erwärmte mit ihrem heißen Blick den Ritter und trocknete seine Kleider – er schlief fest und unbeweglich. Wer ihn so auf dem Riedebusch liegen gesehen hätte, das blutende Gesicht nach oben gekehrt, der hätte geglaubt, es sei eine Leiche, die das Wasser ausgeworfen. Stunden verflossen, er schlief noch immer. Die Sonne hatte den Zenit erreicht und fing an, am Himmelsgewölbe wieder hinabzusteigen – er schlief noch. Erst ein durchdringendes Quieken sich beißender Pferde von der Wiese her und das laute Rufen der Troßknechte, welche mit Peitschen auf die Lagerhengste losschlugen, erweckte ihn.
Er rieb sich die Augen, blickte um sich und suchte sich zu erinnern, wo er sei. Er sah in die Höhe. Auf dem von den letzten Strahlen der Sonne noch rot gefärbten Himmel blinkten schon die Sterne, – er hatte den ganzen Tag verschlafen.
Skrzetuski fühlte sich aber weder ausgeruht noch gestärkt, im Gegenteil; alle Glieder schmerzten ihn. Aber er dachte, daß gerade die neue Strapaze ihm die Frische des Körpers zurückgeben werde, und, die Füße in das Wasser setzend, trat er ohne Zögern die Wanderung wieder an.
Er ging jetzt im klaren Wasser dicht am Rohr entlang, um nicht durch das Geräusch seiner Schritte die Aufmerksamkeit der am Ufer hütenden Troßknechte zu erregen. Die letzten Schimmer erloschen, es war ziemlich finster, denn der Mond war noch nicht hinter den Wäldern heraufgestiegen. Das Wasser war so tief, daß Skrzetuski stellenweise den Boden unter den Füßen verlor und schwimmen mußte, was ihm schwer wurde, da er in Kleidern war und gegen den Strom ging, welcher ihn immer rückwärts drängte. Dafür hätte aber auch das schärfste Tatarenauge diesen Kopf nicht entdeckt, welcher sich an der dunklen Rohrwand fortbewegte. Er kam also ziemlich schnell vorwärts, teils schwimmend, größtenteils aber bis an die Hüften oder unter die Arme im Wasser watend, bis er endlich zu einer Stelle gelangte, an welcher seine Augen schon zu beiden Seiten des Flusses Tausende von Lichtern gewahrten.
»Das sind die Lager,« dachte er, »jetzt helfe mir Gott!«
Und er horchte.
Ein Gesumme von verschiedenen Stimmen drang an sein Ohr. Ja, das waren die Lager. An dem linken Ufer des Flusses, seinem Laufe folgend, stand das Kosakenlager mit seinen Tausenden von Zelten und Wagen – an dem rechten das Tatarenlager, – beide widerhallend von Lärmen und Summen, voll menschlichem Stimmengewirr, wilden Klängen der Trommeln und Pfeifen, Gebrüll des Viehes, Pferdegewieher und Rufen. Der Fluß teilte sie, indem er zugleich ein Hindernis für die Zänkereien und Totschlägereien wurde, da die Tataren neben den Kosaken sich nicht ruhig verhalten konnten. Er war an dieser Stelle auch breiter, vielleicht absichtlich verbreitert. Aber nach den Feuern zu schließen lagen die Zelte und Wagen auf einer und die Rohrhütten auf der anderen Seite, nur etliche Schritte vom Ufer entfernt. Dicht am Wasser standen sicher Wachen.
Das Rohr und das Schilf wurden lichter, ersichtlich waren die Ufer gegenüber den beiden Lagern gelichtet. Skrzetuski schlich sich noch einige Schritte weiter, dann blieb er stehen. Eine unheimliche Gewalt ging von diesem Ameisenhaufen aus. Ihm war in diesem Augenblick zumute, als sei die ganze Wachsamkeit, der ganze Grimm dieser Tausende menschlicher Wesen auf ihn gerichtet; er fühlte ihr gegenüber eine vollständige Machtlosigkeit, eine völlige Wehrlosigkeit. Er war so allein.
»Hier kommt niemand durch!« dachte er.
Aber er schlich noch weiter, denn ihn zog eine unbezähmbare, schmerzliche Neugier vorwärts. Er wollte diese schreckliche Macht näher sehen.
Plötzlich stand er still. Der Rohrwald war zu Ende, als sei er mit einem Messer abgeschnitten. Vielleicht auch hatte man das Rohr zu Rohrhütten ausgehauen. Weiterhin waren die klaren Wellen rot gefärbt von den darin sich spiegelnden Feuern.
Zwei große, helle Feuer brannten dicht an den Ufern. Bei dem einen stand ein Tatar zu Pferde, bei dem anderen ein Kosak, den langen Spieß in der Hand. Beide waren dem Wasser zugewandt. In der Ferne waren noch mehrere solcher Wachen zu sehen.
Die Strahlen der Flammen warfen einen Schein über den Fluß, welcher aussah wie eine feurige Brücke. Das Ufer entlang im Wasser lagen zwei Reihen kleiner Boote, welche von den Teichwachen benutzt wurden.
»Es ist unmöglich, hier unbemerkt durchzukommen!« murmelte Skrzetuski.
Und plötzlich packte ihn wilde Verzweiflung. Er konnte nicht vorwärts, nicht rückwärts! Ein Tag und eine Nacht war verflossen, seit er sich im Schlamme und im Röhricht herumtrieb. Hatte er die faulige Luft nur darum geatmet und darum durchnäßt vom Wasser den Teich umgangen, um hier, nachdem er die feindlichen Lager erreicht, zwischen denen hindurchzuschlüpfen er sich vorgenommen hatte, zu der Erkenntnis zu kommen, daß das unmöglich sei?
Aber auch die Rückkehr war unmöglich. Der Ritter wußte, daß er Kraft genug finden würde, sich vorwärts zu schleppen, – rückwärts zu gehen – niemals. In seiner Verzweiflung lag gleichzeitig eine dumpfe Wut. Im ersten Augenblick wollte er aus dem Wasser treten, die Wache erwürgen, dann sich auf die Menge werfen und – sterben.
Der Wind rauschte wieder in geheimnisvollem Flüstern durchs Rohr, indem er gleichzeitig die Klänge der Glocken von Sbarasch herübertrug.
»Skrzetuski fing an heiß zu beten; er schlug an die Brust und flehte den Himmel um Rettung an, mit der Kraft und dem verzweifelten Glauben eines Ertrinkenden. Er betete; während es in den Lagern unheilvoll lärmte, wie eine Antwort auf sein Gebet. Schwarze, vom Feuer rötlich angehauchte Gestalten zogen hin und her, wie Herden von Teufeln in der Hölle, – die Wachen standen regungslos – der Fluß strömte in feurigen Wellen dahin.
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