»Nach Sbarasch! Nach Sbarasch!« wiederholten einige kräftigere Stimmen.
Das Antlitz des Ankömmlings hellte sich auf wie die Morgenröte.
»Allergnädigster König und Herr!« sagte er, »ich will mit Euch leben und sterben.«
Bei diesen Worten wurde das edle Herz des Königs weich wie Wachs, und, das widerwärtige Aussehen des Ritters nicht achtend, nahm der königliche Herr den Kopf desselben zwischen seine Hände und sagte:
»Du bist mir lieber als andere in Atlas. Bei der Allerheiligsten Mutter, man belohnt Unwürdigere mit Starosteien; es soll auch dir an Belohnung nicht fehlen für das, was du getan. Widersprich nicht! Ich bin dein Schuldner!«
Und andere riefen gleich dem Könige:
»Es gab noch keinen größeren Ritter! Dieser hier ist euch unter denen in Sbarasch der Vorzüglichste! – Er hat unsterblichen Ruhm errungen!«
»Wie hast du dich zwischen den Kosaken und Tataren durchgebracht?«
»Ich versteckte mich in den Sümpfen, durch das Röhricht, durch die Wälder ging ich ... irrte ich ... ohne zu essen.«
»Gebt ihm zu essen!« rief der König.
»Essen!« wiederholten andere. »Bekleidet ihn!«
»Morgen soll man dir ein Pferd und Kleider geben,« sagte der König wieder. »Nichts soll dir mangeln.«
Alle wetteiferten nach dem Beispiel des Königs, den Ritter zu loben.
Bald legte man ihm wieder Fragen vor, auf die er nur sehr schwer zu antworten vermochte, denn immer größere Schwäche befiel ihn, er war kaum noch bei Besinnung. Da brachte man eine Stärkung, und gleichzeitig trat der Probst Tschiezichowski, der königliche Hofpriester, ein.
Sogleich machten die Würdenträger ihm Platz, denn er war ein sehr gelehrter und würdiger Geistlicher. Sein Wort galt beim Könige fast noch mehr als das Wort des Kanzlers, und es kam vor, daß er auf der Kanzel offen über Dinge sprach, welche selbst auf den Landtagen niemand zu berühren wagte. Man umringte ihn also und fing an, ihm zu erzählen, daß ein Waffenbruder aus Sbarasch angekommen sei, daß dort der Fürst Wischniowiezki, trotz Hunger und Elend, den Khan bekriege, welcher vor Sbarasch sich in eigener Person bei Chmielnizki befinde, der während des ganzen vorigen Jahres nicht so viel Menschen verloren hätte, wie bei Sbarasch, – endlich, daß der König jenen zu Hilfe eilen wolle, und sollte er samt dem ganzen Heere zugrunde gehen.
Der Probst hörte stillschweigend, nur die Lippen bewegend und fortwährend den abgemagerten Ritter betrachtend, welcher inzwischen aß, zu, denn der König hatte ihm befohlen, nicht auf seine Gegenwart zu achten, hatte selbst acht auf ihn und trank ihm von Zeit zu Zeit aus einem kleinen, silbernen Becher zu.
»Und wie heißt jener Waffenbruder?« fragte endlich der Probst.
»Skrzetuski.«
»Johann Skrzetuski?«
»So ist es.«
»Oberst des Fürst-Wojewoden von Reußen?«
»So ist es.«
Der Geistliche richtete das faltige Gesicht in die Höhe und fing wieder zu beten an, dann sagte er:
»Preisen wir den Namen des Herrn, denn die Wege sind unerforschlich, auf denen er den Menschen zur Glückseligkeit und zum Frieden führt. Amen. Ich kenne diesen Waffenbruder.«
Skrzetuski hatte diese Worte gehört, und wider Willen richteten sich seine Augen auf das Gesicht des Probstes, – aber das Gesicht, die Gestalt und die Stimme waren ihm vollständig fremd.
»Ihr allein also aus dem ganzen Lager habt es unternommen, durch das feindliche Lager zu gehen?« fragte ihn der Probst.
»Ein edler Waffenbruder unternahm es vor mir, aber er fiel,« antwortete Skrzetuski.
»Um so größer ist Euer Verdienst, daß Ihr es dennoch wagtet. Ich merke an Eurem Aussehen, daß das ein schrecklicher Weg sein mußte. Gott sah Euer Opfer, Eure Tugend, Eure Jugend, und geleitete Euch.«
Plötzlich wandte sich der Probst an Johann Kasimir.
»Allergnädigster König,« sagte er, »es ist also der unumstößliche Beschluß Ew. Königlichen Majestät, dem Fürst-Wojewoden zu Hilfe zu eilen?«
»Eurem Gebet, Vater,« antwortete der König, »empfehle ich das Vaterland, das Heer und mich selbst, denn ich weiß, daß es ein schreckliches Unternehmen ist, aber ich kann nicht länger mit ansehen, daß der Fürst-Wojewode in diesen unglückseligen Schanzen mit solchen Rittern wie dieser Waffenbruder hier vor uns zugrunde gehe.«
»Gott wird uns den Sieg verleihen!« riefen mehrere Stimmen.
Der Probst hob die Hände in die Höhe, und tiefe Stille trat ein.
»Ich segne euch, im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.«
»Amen!« sagte der König.
»Amen!« antworteten alle Stimmen.
Friede übergoß das bisher so kummervolle Gesicht Johann Kasimirs, nur seine Augen hatten einen ungewöhnlichen Glanz. Unter den Anwesenden verbreitete sich ein Flüstern, eine leise Unterhaltung über die nahe Expedition, denn viele zweifelten noch, daß der König wirklich gleich ausrücken werde, dieser aber nahm den Degen vom Tische und winkte den Kammerherrn Tysenhaus herbei, ihm denselben umzulegen.
»Wann wollen Ew. Königliche Majestät ausrücken?« fragte der Kanzler.
»Gott hat uns eine helle Nacht gegeben,« entgegnete der König, »die Pferde werden nicht heiß werden; Herr Lagerwächter,« setzte er hinzu, sich an die Würdenträger wendend, »laßt zum Aufsitzen blasen.«
Der Lagerwächter entfernte sich sofort aus dem Gemach. Der Kanzler Ossolinski machte die leise Bemerkung, daß nicht alle bereit seien, und daß die Wagen vor dem Morgen nicht fortkommen würden, aber der König entgegnete sogleich:
»Wem die Wagen lieber sind als das Vaterland und die Majestät, der bleibe hier.«
Der Saal fing an sich zu leeren. Alles eilte, zu seiner Fahne zu kommen, um sie »auf die Füße zu bringen« und dem Zuge einzureihen. Es blieben nur der König, der Kanzler, der Probst, Skrzetuski und Tysenhaus zurück.
»Allergnädigster Herr!« sagte der Probst, »was Ihr von diesem Waffenbruder erfahren wolltet, habt Ihr erfahren. Man muß ihm jetzt Ruhe lasse«, denn er hält sich kaum auf den Füßen. Erlaubt mir, Majestät, ihn mit in mein Quartier zum Übernachten zu nehmen.«
»Gut, Vater!« antwortete der König. »Euer Verlangen ist gerechtfertigt. Mögen Tysenhaus und noch ein anderer ihn begleiten, denn allein würde er wohl nicht mehr hinkommen. Geh, geh, mein lieber Waffenbruder, niemand hat hier mehr Ruhe verdient als du. Und denke daran, daß ich dein Schuldner bin. Eher vergesse ich mich selbst, ehe ich deiner vergesse.«
Tysenhaus faßte Skrzetuski unter dem Arm und führte ihn hinaus. In den Vorzimmern trafen sie den Starosten von Rscheschyz, welcher den schwankenden Ritter von der anderen Seite stützte. Ihnen voraus ging der Probst, und vor diesem ein Bursche mit einer Laterne. Aber der Bursche leuchtete umsonst, denn die Nacht war hell, ruhig und warm. Der große goldene Mond schwamm wie eine Arche über Toporow. Vom Lagerhofe her drangen Stimmengewirr, das Knarren der Wagen und Trompetentöne an das Ohr, welche zum Aufsitzen bliesen. In der Ferne, vor der Kirche, die vom Monde beschienen war, sah man schon Haufen versammelter Soldaten, zu Fuß und zu Pferde. Im Dorfe wieherten die Pferde. Zu dem Knarren der Wagen gesellten sich noch das Klirren der Ketten und das Poltern der Kanonen, – der Lärm wurde immer größer.
»Sie ziehen schon aus!« sagte der Probst.
»Nach Sbarasch, zur Rettung!« flüsterte Skrzetuski.
Und war es die Freude oder die überstandenen Mühsale, oder beides zusammen, er wurde so schwach, daß Tysenhaus und der Starost von Rscheschyz ihn beinahe schleppen mußten.
Sie waren inzwischen auf dem Wege zur Probstei unter die vor der Kirche versammelten Soldaten gekommen. Es waren die Fahnen Sapiehas und die Füsiliere Arzischewskis. Noch nicht zum Zuge formiert, standen die Soldaten regellos, von Platz zu Platz drängend, den Weg versperrend.
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