Zudem konnte ich nicht einmal aussteigen, um mir den Defekt anzusehen, denn neben der Fahrertür existierte nur ein schmaler Spalt, durch den ich niemals gepasst hätte.
Vorsichtig legte ich den Fuß auf das Gaspedal, dazu drehte ich das Lenkrad wagemutig nach links.
Sofort erfasste ich das nächste Schlagloch und streifte die Wand mit der linken Vorderseite.
„Das gibt es doch nicht!“, fluchte ich. Im Rückspiegel sah ich, dass der Türsteher auf dem Hinterhof mit vor dem Bauch verschränkten Armen zusah, wie ich mich abmühte.
„Na, super …“ Ich linste über die Kühlerhaube nach vorn. Auch der weitere Weg wies Unebenheiten auf. Ich kam mir vor wie in einer Blechdose.
Resigniert schaltete ich den Rückwärtsgang ein und setzte zurück, nicht, ohne nochmals den Spiegel an die Wand zu fahren.
Egal … Sollte Robert zusehen, wie er den Wagen bekam. Ich wollte ihn nicht noch mehr ruinieren.
Zurück auf dem Hof stand ich aus und schlug die Wagentür wütend zu.
Unaufgefordert gesellte sich der Mann der Security zu mir. Entgegen meiner Erwartung ließ er keinen blöden Kommentar los, sondern nickte mit Anteilnahme.
„Ist eine beschissene Ausfahrt hier, den modernen Autos nicht angepasst.“
„Hier sollte man gar nicht mehr parken dürfen, außer man fährt einen Trabant!“ Meine Stimme bebte vor Anspannung.
Mein Gegenüber stimmte mir zu, aber er zeigte Zuversicht und deutete auf sein Funkgerät. „Ich habe den Kollegen kontaktiert. Er sagt François Bescheid, der fährt den Wagen raus.“
Für einen Moment blieb mir die Spucke weg. „Äh, nein … Das ist nicht nötig.“
Es war zu spät. Die Tür des Hintereingangs öffnete sich und François erschien. Gekleidet mit Morgenmantel und dünnen Latschen. Ohne Zweifel hatte man ihn aus der Garderobe geholt und selbstverständlich hatte er sich für die Aktion auf dem Hof so kurz vor dem Auftritt nicht mehr in Straßenkleidung geschmissen.
Seine Lider schimmerten in glänzenden Farben, er hatte Rouge aufgelegt und lächelte sanft. „Das kriegen wir hin, kein Problem.“
Er nahm mir den Wagenschlüssel aus der Hand, wobei sich unsere Finger berührten. Seine Fingerkuppen waren warm und ich ballte sofort eine Faust, um das Gefühl des Kontakts auszublenden.
Er schwang sich hinter das Steuer, ließ den Wagen aufheulen und chauffierte ihn im Schneckentempo durch die viel zu enge Passage.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er am anderen Ende angelangt war und wieder ausstieg, doch zumindest hatte er keine weitere Delle in den Lack gefahren.
Ich kam mir vor wie ein Idiot.
„So, das war’s!“ Er gab mir den Schlüssel zurück. „Schönen Abend noch und liebe Grüße an Robert.“ Dann sprintete er zur Tür und verschwand.
Verdattert sah ich ihm nach. Der Türsteher beschäftigte sich mit seinem Handy. Die angespannte Lage war vorbei. „Das werde ich ihm bestimmt nicht ausrichten“, zischte ich, marschierte zum Wagen und fuhr schnittig davon.
*
Wie angenommen saß Robert mit erwartungsvoll geweiteten Augen und einem breiten Lächeln im Gesicht auf dem Sofa, kaum erblickte er den Karton in meinen Händen.
In seiner Lage hätte er fernsehen, rätseln oder lesen können, aber nein, er hatte lieber gewartet, bis ich mit Arbeit nach Hause kam. Ja, er war ein Arbeitstier, dem der Erfolg nicht vor die Füße gefallen war. Eigentlich hätte ich stolz auf ihn sein sollen, wenn nicht dieser bittere Beigeschmack blieb, bei dem Wissen, mit was er sein Geld verdiente.
„Hast du alles bekommen?“, fragte er und ich nickte.
„Schöne Grüße von Piet. Du kannst ihm alles faxen. Er kümmert sich um die Bestellung und alles Weitere. Post, Dienstpläne, Reparaturaufträge und die Akten sind auch dabei.“ Ich stellte den Karton in Reichweite auf den Tisch, in der Annahme, dass sich Robert sofort an die Arbeit machen würde. Handy und Laptop lagen schon neben ihm auf dem Sofa. „Und der Wagen?“
„Steht in der Garage.“
„Super!“
„So super ist das nicht“, erwiderte ich. „Beim Rausfahren aus dem Hof habe ich den rechten Seitenspiegel demoliert und die linke Frontschürze beschädigt.“
Sein Lächeln verschwand sofort. Für ein paar Sekunden blieb sein Mund offen stehen.
„Was?“, entwich es ihm heiser. „Aber wieso hat denn François den Wagen nicht rausgefahren?“
„Doch …“, gestand ich und bekam dabei die Zähne kaum auseinander. „Aber erst, als es schon passiert war.“
„Hat dir denn niemand gesagt, dass …“
„Doch!“ Ich unterbrach ihn harsch. Eigentlich wollte ich überhaupt nicht mehr davon reden. Vor allem, weil es schon wieder Dinge betraf, an die ich nicht denken wollte. Robert bemerkte das offensichtlich, denn er seufzte nur und beschwerte sich nicht weiter.
„Ich wollte den Wagen ohnehin verkaufen, habe ja selbst eine Schramme reingefahren.“ Er lachte leise und widmete sich dem Karton.
„Es tut mir leid“, sagte ich abschließend und er winkte ab.
„Nicht so schlimm.“ Sein folgendes Zwinkern war liebevoll.
„Okay.“ Ich atmete tief durch und sortierte die Gedanken. „Was wollen wir denn essen? Lust auf Pizza?“ Dass Robert mit seinem verletzten Fuß nicht in der Küche stehen konnte, war klar. Somit hatte ich beschlossen, das Kochen für den Rest der Woche zu übernehmen. Ohnehin lag es überwiegend an mir, was auf den Tellern landete.
„Bestell doch etwas beim Italiener!“, rief er mir zu. „Dann musst du dich nicht noch mehr abmühen für mich.“
„Stimmt, eigentlich reicht es mir für heute.“ Schmunzelnd zog ich mein Handy aus der Hosentasche und öffnete die App des Pizzadienstes. „Was willst du denn haben?“
Robert antwortete zuerst nicht. Er war schon in die Unterlagen vertieft und trug seine Brille. Das war immer ein Zeichen dafür, dass er sich wichtige Dinge zu Gemüte führte. „Mir reicht ein Pastateller und Salat“, murmelte er, aber plötzlich sah er auf. „Ach, was ist denn eigentlich mit dem Vorstellungsgespräch?“
Shit! Das hatte ich total vergessen.
„Das ist doch erst morgen, oder?“, stammelte ich. Robert nickte. Notgedrungen biss ich in den sauren Apfel. „Wenn es so wichtig ist, fahre ich nochmal hin.“
Eine Stunde später saßen wir am gedeckten Tisch bei Kerzenschein, Musik von Andrea Bocelli und aßen unsere italienische Lieferung.
Robert sah entspannt aus, was daran lag, dass er den ganzen Tag auf dem Sofa gelegen und seinen Fuß geschont hatte. Doch wenn er aufstand, um ein paar Schritte zu gehen, sah ich ihm an, dass er Schmerzen hatte. Und er verzichtete sogar auf das obligatorische Glas Wein zum Essen, da er eine Tablette einnehmen musste.
Ich schätzte ihn nicht nur als Partner, sondern auch als perfekte Gesellschaft, denn er war kein Mann, der sofort aufsprang, kaum war der Teller leergegessen. Er benötigte weder Radio noch Fernsehapparat. Problemlos konnten wir stundenlang beieinander sitzen, uns unterhalten und nichts vermissen. Er war ein angenehmer Gesprächspartner, der zuhören und Verständnis zeigen konnte. An diesem Abend bemerkte ich, dass er etwas auf der Seele hatte.
Unaufgefordert schenkte er mir Wein nach, während er sich am Wasser bediente. Ich ließ ihm Zeit.
Nachdem er das Besteck auf den Teller gelegt und einen Schluck getrunken hatte, rückte er mit seinem Anliegen heraus.
„Ich wollte dich um etwas bitten …“
„Ja?“ Ich nahm den letzten Bissen und legte das Besteck ebenfalls ab. Hatte er mir weiteren Wein eingeschenkt, um mich gefügig zu machen? Er atmete angestrengt. Was er sagen wollte, fiel ihm sichtlich nicht leicht.
„Es geht um das Wochenende.“
Sofort läuteten bei mir sämtliche Alarmglocken. „Aha, ich bin ganz Ohr.“ Ich lehnte mich im Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Eine ablehnende Geste, dabei hatte er noch nicht einmal gesagt, worum es ging.
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