Nach einer halben Stunde Fußmarsch stoßt ihr auf die Große Allee, eine breite, grob gepflasterte Straße, die von grünen Bäumen gesäumt wird. Ihr habt sie kaum erreicht, da sinkt Bolko schon erschöpft am Fuß des erstbesten Baumes zusammen. »Bin total erledigt«, keucht er und beginnt, an seinem Rucksack herumzufummeln. »Noch nie war ich so weit von zu Hause fort. Lass uns eine Rast einlegen und etwas essen!«
Fassungslos drehst du den Kopf – man kann die Schornsteine von Roog noch am Horizont erkennen, so kurz seid ihr erst unterwegs. Seufzend überlegst du, was du tun sollst: Willst du einer Rast zustimmen, damit dein Vetter wieder zu Kräften kommt (weiter bei 84 )? Oder versuchst du, Bolko zu überreden, eure Vorräte für einen späteren Zeitpunkt aufzusparen, wenn ihr sie vielleicht dringender braucht (weiter bei 17 )?
Du hebst einige spitze Steine auf und beginnst, den Felsbeißer damit zu bombardieren. Als Bolko keuchend zu dir aufschließt, weist du ihn an, es dir nachzumachen. Kaum treffen die ersten Brocken den grauen Leib des Reptils, da fährt es fauchend herum. Dann geschieht etwas, womit du nicht gerechnet hast: Der Felsbeißer sperrt sein Maul auf und fängt geschickt einen Stein nach dem anderen aus der Luft, um ihn krachend zwischen seinen Zähnen zu zermalmen! Du erinnerst dich, dass diese Geschöpfe zwar als sehr angriffslustig gelten, sich aber weder von Fleisch noch von Pflanzen ernähren – sondern von Steinen. Du willst deinen Angriff gerade wieder abblasen, da kommt dir eine Idee. Ohne Unterlass schleuderst du dem Biest weitere Brocken ins Maul, die es gierig verschlingt. Schon bald schwillt sein Bauch sichtlich an. Als der Felsbeißer schließlich satt das Maul zuklappt und sich abzuwenden versucht, ist sein Leib so aufgequollen, dass die kurzen Beine an den Seiten kaum noch den Boden berühren. Die Riesenechse kann sich nur noch im Zeitlupentempo bewegen, so dass du gefahrlos zu dem Jungen hinübergehen kannst. Du hilfst ihm hoch und stützt ihn, und gemeinsam lasst ihr das Tier rasch hinter euch. Weiter bei 22 .
Mit angehaltenem Atem versucht ihr, euch rückwärts vom Lager zu entfernen, ohne dass die Wölfe euch bemerken. Auf einem der Bäume entlang der Straße solltet ihr vor den Bestien in Sicherheit sein, denkst du. In diesem Moment ertönt neben dir ein durchdringendes Knirschen – Bolko ist auf einen vertrockneten Ast getreten! Das Geräusch hallt durch die totenstille Nacht wie ein Kanonenschlag, und innerhalb von Sekundenbruchteilen seid ihr von knurrenden, vierbeinigen Schatten umringt. Ein aufgerissenes Maul mit dolchartigen Reißzähnen ist das Letzte, was du in diesem Leben siehst. Dein Abenteuer endet hier.
Noch bevor dein Warnruf verhallt ist, schwingt ein gewaltiger, an dicken Lianen befestigter Baumstamm auf euch zu. Er ist so breit wie der Pfad, und auf der euch zugewandten Seite hat jemand lange Holzspitzen angebracht! Instinktiv wirfst du dich zu Boden – gerade noch rechtzeitig. Der zentnerschwere Stamm zischt haarscharf über dich hinweg. Du lässt ihn auspendeln, dann hebst du den Kopf. Erleichtert erspähst du Bolko, der kaum zwei Schritte entfernt ebenfalls auf dem Boden liegt, bibbernd wie Espenlaub. Auch ihm ist nichts passiert.
Du rappelst dich hoch und willst ihm aufhelfen, da beginnt es im Unterholz ringsum zu rascheln. Dutzende winzige Männer springen aus dem Dickicht hervor. Sie reichen dir kaum bis zur Brust, haben dunkelgrüne Haut und tragen nichts am Leib außer einem Lendenschurz. Ihr langes, verfilztes Haar reicht fast bis auf den Boden herab. Als sie Bolko und dich erblicken, halten sie überrascht inne. Ein mit zahlreichen hölzernen Arm- und Halsreifen geschmückter Pygmäe tritt vor, offenbar der Häuptling des Stammes.
»Wir euch bitten um Verzeihung, Fremde«, erhebt er die Stimme. »Wir Falle nicht geschaffen, um unschuldigen Reisenden zu schaden. Mein Volk in Angst lebt vor schrecklichen Funghuiden, die hausen nicht weit von hier. Wir schützen müssen alle Wege zu unserem Dorf.« »Funghuiden?«, wiederholst du fragend.
Der Anführer der grünen Männer nickt heftig. »Bösartige Pilzwesen, älter als Menschheit. Seit Jahrtausenden leben im Wald von Kwalm, machen Waldvolk Platz zum Leben streitig.«
»Pilzwesen, so ein Humbug«, faucht Bolko und klopft sich wütend den Schmutz von den Kleidern. »Ihr Winzlinge hättet um ein Haar meinen Prachtkörper durchlöchert! Wenn ich nicht so gut erzogen wäre, würde ich euch den Hintern versohlen.«
Der Häuptling verneigt sich so tief, dass sein langes Haar über den Boden streift. Er winkt zwei seiner Männer heran und tuschelt mit ihnen, woraufhin sie im Gebüsch verschwinden. Wenig später sind sie zurück, die Arme voll beladen mit großen, violett schillernden Früchten. »Diese Lommiaks als Geschenk nehmt und uns verzeiht, Fremde«, bittet der Häuptling und deutet auf das Obst.
Die Aussicht auf etwas zu essen macht Bolko schlagartig zum nachsichtigsten Menschen von ganz Monravia. »Vergeben und vergessen!«, ruft er und stürzt sich auf das Obst. Auch du lässt dir die süßen, saftigen Früchte schmecken, während euch der Häuptling noch einmal eindringlich vor den monströsen Funghuiden warnt, die auf den ersten Blick nicht von riesigen Pilzen zu unterscheiden seien. Als du satt bist, verstaust du die letzte verbliebene Lommiak-Frucht in deinem Rucksack, bevor Bolko auch sie noch verschlingen kann. (Vermerke sie auf deinem Abenteuerblatt.) Dann verabschiedest du dich von den grünen Männern, und ihr macht euch auf den Weg zurück zur letzten Abzweigung.
Schon bald werden die Tierlaute im Dickicht wieder leiser. Als ihr den überwucherten Trampelpfad nach Süden erreicht, ist es einmal mehr totenstill. Weiter bei 104 .
Als erneut ein Fauchen aus der Gasse dringt, dämmert dir, worum es sich handelt: Es sind tatsächlich Ratten, und die Laute sind Worte ihrer kehligen Sprache. Aber sie klingen ungewohnt tief. Die Tiere, die sich da jenseits der Nebelschleier miteinander verständigen, müssen riesig sein!
»… stehen die beiden Narren immer noch vorne an der Abzweigung herum« , entnimmst du der nächsten Folge von Fauchlauten. »Sie sind nicht sonderlich groß und offenbar unbewaffnet.«
»Sehr gut« , erwidert eine zweite Rattenstimme von der anderen Seite der Gasse. »Bleibt ganz ruhig, bis sie näher heran sind. Dann stürzen wir uns auf sie, beißen ihnen die Kehlen durch und bringen sie in den Bau. Das gibt ein Festmahl! Allein der kleine Fette wird zwei Dutzend von uns satt machen.«
Dir stellen sich die Nackenhaare auf. Im Handumdrehen hast du Bolko an der Schulter gepackt und ihn ohne lange Erklärungen nach rechts in die Abzweigung gedrängt, fort von diesem Hinterhalt. In eurem Rücken vernimmst du ärgerliche und enttäuschte Knurrlaute, aber die Bewohner der dämmrigen Gasse wagen sich nicht aus ihrer Deckung hervor, um euch zu verfolgen. Weiter bei 135 .
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