„Was für ein Wetter.“ Etwas Geistreicheres fiel ihr nicht ein.
„Ja, nicht so toll. Aber das stört mich nicht. Ich hab wetterfeste Kleidung. Ein heißer Sommertag kann viel unangenehmer sein. Sind Sie ganz allein?“ Er schaute zum Haus.
„Ja. Ich bin Schriftstellerin und komme oft zum Schreiben hierher.“
Der Holzfäller war sehr freundlich, aber irgendwie kam er ihr, jetzt, wo sie sich mit ihm unterhielt, gar nicht mehr so aufregend vor. Sie fühlte sich wie ein Ballon, aus dem die Luft entwich, und war plötzlich ganz erschöpft und frustriert. Die Vorstellung, ihn zu sich einzuladen und vielleicht einen wilden Freitagabend zu verbringen, war sehr reizvoll gewesen, aber jetzt fühlte sie sich schwer und irgendwie leer. Sie wünschte dem Holzfäller noch einen guten Tag und ging zurück zum Haus.
Später saß sie am Tisch und starrte auf den Text auf ihrem Bildschirm, aber der Wortstrom war versiegt. Sie dachte an Henrik und seufzte. Er und Dennis wollten am nächsten Tag kommen und am Sonntagabend wollten sie zusammen nach Hause fahren. Aber hatte sie überhaupt Lust, zu all den Problemen zurückzufahren? Kalt und unlebendig neben Henrik zu liegen? Sie brauchte Luft und öffnete die Tür, um nachzuschauen, ob es noch regnete. Es hatte aufgehört zu regnen, aber die Luft war noch sehr feucht. Sie zog ihren alten Wollpullover an und schloss die Tür hinter sich. Beim Gehen dachte sie darüber nach, ob sie wirklich Lust auf Pelle gehabt hatte? Oder war es nur ihr allgemeines, von ihrer Fantasie angeregtes Bedürfnis nach Berührung und Nähe gewesen? Der Holzfäller war nicht mehr da, und in ihrer Erinnerung war der große Mann längst nicht mehr so sexy wie in ihrer Fantasie. Unter den vielen Kleiderschichten war schwer zu sagen, wie sein Körper eigentlich aussah. Seine Augen, seine offene Art und sein Beruf hatten ihr das Gefühl gegeben, einen echten Mann vor sich zu haben, aber sie hätten es vermutlich niemals bis ins Bett geschafft, um sich davon zu überzeugen. Sie wollte Henrik nicht betrügen. Fantasieren war okay, aber niemals in die Tat umsetzen. Sie wollte Henrik. Die große Frage war nur, ob er sie auch wollte.
Sie machte kehrt und ging langsam zum Haus zurück. Es war lange her, dass Henrik und sie allein Zeit zusammen verbracht hatten. Sie hatten bald Hochzeitstag, vielleicht sollten sie ein Wochenende zusammen wegfahren? Der Gedanke an Henrik und sie zusammen an einem schönen Ort machte sie ruhig und gab ihr den Glauben daran zurück, dass sie gemeinsam schon ihre Krise meistern würden.
Sie blieb abrupt stehen, als sie Henriks Wagen vor dem Haus stehen sah. Was machte er hier? War etwas passiert? Ihr Blut gefror zu Eis und sie befürchtete das Schlimmste. Sie riss die Tür auf und wäre fast mit Henrik zusammengestoßen, als sie hineinstürmte.
„Was ist passiert?“ Ihre Stimme klang scharf und schrill.
„Ganz ruhig. Ich wollte dich einfach gerne sehen.“
Sie merkte, wie ihre Lungen sich leerten. Die Freude, dass er gekommen war, breitet sich aus.
„Als ich das Auto gesehen hab, dachte ich, es wäre was passiert …“ Sie sah in sein ernstes Gesicht und fuhr fort. „Mit unseren Kindern.“
„Denen geht es gut. Ich würde nur gerne mit dir reden.“ Er senkte den Blick und biss sich auf die Lippe. Sie beugte sich vor und wollte ihm einen Kuss geben, aber er zog den Kopf weg. Sie sah ihn fragend an. Er sah erschöpft aus, als ob ihn etwas drückte.
„Wollen wir was zu essen machen? Oder ich kann auch was machen, wenn du müde bist nach der Fahrt und dich ausruhen willst?“
Sie stieg aus ihren Gummistiefeln, behielt den Pullover aber an. Nicht, weil sie fror, aber sie brauchte das Gefühl von Sicherheit und Wärme.
Er folgte ihr wortlos in die Küche. Sie ging zum Kühlschrank und nahm den Karton Roséwein heraus. Sie sah ihn fragend an, aber er war zur Glastür gegangen und schaute hinaus in den Wald.
„Magst du auch ein Glas?“
Sie sah auf seinen stummen Rücken und trank hastig einen Schluck Wein.
„Henrik?“
Ihre Stimme klang merkwürdig hoch, fand sie.
Er drehte sich langsam um. Sie hielt ihm ihr Glas hin und er nickte langsam, ohne etwas zu sagen. Sie stellte das Glas auf den Tisch und ging zurück zum Kühlschrank. War noch was für eine gemeinsame Mahlzeit da? Sie hätte sich selbst einen Salat mit Shrimps gemacht. Die meisten Lebensmittel, die sie für die Schreibwoche eingekauft hatte, waren verbraucht, und für die Familie morgen hätten sie für die zwei Tage eingekauft, die sie da waren. Aber nun war Henrik alleine gekommen. Um mit ihr zu reden. Oder für ein Schäferstündchen mit ihr? Sie stellte sich vor, dass sie im Bett aßen, Musik hörten und redeten. Und wie sie sich wild und zärtlich immer und immer wieder liebten. Henrik, der sie am ganzen Körper leckte und an ihrem Ohr knabberte, während seine Finger mit ihrer Klitoris spielten. Wie er sanft über ihre Schamlippen fuhr, hin und her, vor und zurück. Ihr war heiß und sie wurde feucht und verspürte eine unbändige Lust, sich an ihn ranzuschmeißen und ihn auf der Stelle ins Bett zu zerren, aber als sie sein versteinertes Gesicht sah, verpuffte die Lust schnell wieder. Sie redeten nicht, als sie das Essen auf den Tisch stellte. Das Schweigen war schwer. War das schon länger so? War er krank? Hatte er eine andere Frau? Liebte er sie nicht mehr? Sie schielte immer wieder zu ihm rüber, und der Gedanke, dass ihr gemeinsames Leben vielleicht hier endete, wurde von seinem finsteren Blick bestärkt. Sie goss sich Wein nach. Das hier brauchte ein paar Promille, hatte sie das Gefühl. Ihr war schrecklich warm in dem dicken Pullover, aber sie wollte ihn nicht ausziehen, weil er sie vor der Einsamkeit schützte, die folgen würde, wenn er ihr den Grund für sein Kommen sagte.
Der Beschluss, zu dem sie bei ihrem Spaziergang im Wald gekommen war, hatte sich in Luft aufgelöst. Der Wunsch, ihre Ehe zu kitten, war unter großen, braunen Blätterhaufen begraben.
Als sie fertig gegessen hatten, ergriff Henrik das Wort und sah sie zum ersten Mal an. Sie hatte mindestens vier Gläser Wein getrunken und schenkte sich schnell nach.
„Es tut mir leid, Rina, aber ich kann so nicht mehr weitermachen.“
„Was heißt das? Hast du eine andere?“
Sie hatte nicht vorgehabt, die Worte auszusprechen, die ihn ihr nagten, sie kamen einfach angeflogen wie eine Nachteule auf der nächtlichen Jagd im Wald. Er rieb sich die Stirn und biss sich auf die Lippe, schlug den Blick nieder und legte seine Handflächen aneinander. Jetzt kamen die Worte, die sie am allermeisten fürchtete, und die sich für immer zwischen sie schieben würden.
„Ist es meine Schuld? Weil ich mehr Mutter als Geliebte und Ehefrau geworden bin?“
Das Weinen steckte ihr im Hals und wollte raus, aber das würde sie nicht zulassen. Sie leerte ihr Glas in einem Zug.
„Ich habe keine andere, Rina.“
Sie starrte das leere Glas an. „Wer ist sie?“
„Rina. Hör doch zu, was ich sage. Es gibt keine andere Frau, aber ich ertrage unser Leben nicht mehr. Ich will keine Beziehung ohne Liebe und Sex. Wir reden miteinander wie Geschäftspartner und nicht wie zwei Menschen, die sich lieben.“ Er stand auf und nahm eine Flasche Rotwein aus dem Regal. Mit zielgerichteten Handgriffen öffnete er sie und sah sie fragend an. Sie nickte stumm.
„Deine Mutter hat schon immer gesagt, dass du ein sehr sensibles Kind warst.“
„Willst du damit sagen, dass mit mir was nicht stimmt, Rina?“
„Du hast schließlich eine andere.“
Er schüttelte den Kopf und trank einen Schluck von der roten Flüssigkeit. Seine Augen glänzten müde. Am liebsten hätte sie ihn in den Arm genommen und ihm gesagt, dass sie das gemeinsam schon schaffen würden. Aber der Wein hatte sich wie dicker Samtstoff über ihre Gedanken gelegt.
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