Zur Wirkungsweise des EBN-Konzepts zählt zugleich die Frage nach dem Gelingen des Theorie-Praxis-Transfers von Wissen. Diese Frage kann international positiv beantwortet werden (exempl. Thiel et al. 2001; Heydari et al. 2014; Haslinger-Baumann 2015). So zeigen Studien, dass ein Zusammenhang zwischen Forschungsanwendung, persönlicher Einstellung und Bereitschaft der Pflegenden, der Verfügbarkeit von Forschungsergebnissen und sozialer sowie institutioneller Unterstützung besteht (Haslinger-Baumann 2015). Eine finnische Studie an allen Universitätskrankenhäusern in Finnland zeigt auf, dass die befragten Pflegenden (n = 943) noch nicht bereit für eine evidence-basierte Pflege sind. Die Pflegefachkräfte berichten über ein niedriges Niveau an evidence-basiertem Wissen. Obwohl die Pflegenden mit dem EBN-Konzept vertraut sind, fehlt es ihnen an Wissen und Selbstwirksamkeit, um die besten wissenschaftlichen Beweise in die klinische Versorgung zu integrieren (Saunders et al. 2016).
Internationale Studien fokussieren auch die Entwicklung und den Einsatz von validen Messinstrumenten, die geeignet sind, die Einstellung und das Wissen von Pflegenden zur Umsetzung von evidence-basierter Praxis zu erfassen (Meyer et al. 2012). Diese Instrumente sind in validierter Form vorhanden. Mehrere Studien belegen, dass aufseiten der Pflegenden die Einstellung zugunsten der Nutzung von Forschung in der Praxis als individueller Faktor in beträchtlichem Maße besteht. Weitere begünstigende individuelle Faktoren sind die Teilnahme an Tagungen und Fortbildungen, ein akademischer Berufsabschluss sowie das Ausmaß an Arbeitszufriedenheit. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse ist aufgrund der erst kurzen Phase der Akademisierung der Pflege und der noch jungen Implementationsbemühungen von EBN in die Pflegepraxis fraglich (Meyer et al. 2012).
Im deutschsprachigen Raum liegen Studien zum Kenntnisstand von Pflegenden zu dem EBN-Konzept sowie zur Motivation und zum Interesse zur Integration wissenschaftlicher Ergebnisse in den beruflichen Alltag vor (Meyer et al. 2012). Die Studien belegen einen außerordentlich geringen Anteil von Pflegenden, die nach eigenen Angaben über ausreichendes Wissen verfügen, um forschungsbasiert arbeiten zu können (Meyer et al. 2012). Demzufolge war bei den Befragten auch die Einstellung zu evidence-basierter Pflege skeptisch (Meyer et al. 2012).
Zahlreiche Studien zu EBN fokussieren oftmals weniger die Verbesserung der Patient*innenergebnisse als vielmehr die Frage nach den Barrieren bei der Übertragung von Forschungsergebnissen in die klinische Entscheidungsfindung. Auf diese wird in Kapitel 9 (
Kap. 9.2) eingegangen.
1.5.3 EBN als komplexe Intervention
EBN ist komplex, sodass der Wirksamkeitsnachweis nur schwer erbracht werden kann. 
Das EBN-Konzept mit den vier Dimensionen und als mehrschrittiges Verfahren kann als komplexe Intervention betrachtet werden. Solche komplexen Interventionen mit zahlreichen mehrdimensionalen Variablen (z. B. Einstellung und Kompetenzen der Pflegenden, Verfügbarkeit von Forschungswissen, institutionellen Rahmenbedingungen, Form der Wissensvermittlung über EBN), die zudem auf konkrete Arbeitsbereiche angepasst werden müssen, sind schwer in ihrer Wirkung messbar und bedürfen eines umfassenden Evaluationskonzepts.
Selbst die Implementierung konkreter Leitlinien – beispielsweise zu prophylaktischen Maßnahmen –, die auf Forschungswissen basieren, gilt als komplexe Intervention. Auch hier bestehen mehrere ineinander verwobene Schritte und Elemente (Breimaier 2017).
Zudem gelten die Einrichtungen des Gesundheitswesens als komplexe, adaptive Systeme, die lokalen Gegebenheiten unterliegen, sodass ein Outcome einer Intervention nicht linear und damit wenig vorhersagbar ist (Breimaier 2017).
1.5.4 Implementierung von EBN
Es gibt viele Praxisprojekte zur Implementierung. 
Der Forschungsstand zur Wirksamkeit des EBN-Konzepts fokussiert dessen Implementierung und die damit einhergehenden hemmenden sowie förderlichen Faktoren (
Kap. 9.3). Laut Breimaier (2017) liegt für das Handlungsfeld Pflege wenig Evidence dahingehend vor, wie aktuelles forschungsbasiertes Wissen effizient in die klinische Praxis einmünden kann. Dieses Thema wird bei dem Versuch, sowohl die interne und externe Evidence als auch die Präferenzen der Pflegebedürftigen und die Umgebungsbedingungen zu verbinden, als größte Herausforderung betrachtet, die das gesamte System, d. h. sowohl Individuen als auch Organisationen, verändern wird (Breimaier 2017; Langer & Pflanzer 2005).
Zur Implementierung werden Methoden und Strategien (
Kap. 1.5.2) entwickelt und genutzt, um sowohl die Anwendung neuen Wissens zu erleichtern als auch die Hindernisse bei der Umsetzung zu überwinden (Breimaier 2017).
Bei der Implementierung gibt es einige Praxisprojekte, die einzelne Aspekte auf der Ebene der Intervention oder Evaluation herausgreifen (exempl. Langer & Pflanzer 2005; Burns & Haslinger-Baumann 2008; Wiederhold 2010; Henke et al. 2015). Sie sind in der Regel regional begrenzt (z. B. auf eine Einrichtung in einem Ort), weisen spezifische Kontexte (z. B. ambulante Pflege, Kinderintensivpflege) auf oder gehen von unterschiedlichen theoretischen Bezügen aus (Pflegediagnosen vs. Pflegestandards), sind methodisch weniger hochwertig (z. B. Erfahrungsberichte), messen oftmals keine klassischen Outcomeparameter mit getesteten Instrumenten (z. B. Verbesserung der Versorgung der Pflegebedürftigen) und beruhen nur kleinen Stichproben (z. B. die Implementierung in einem Wohnbereich einer Senioreneinrichtung), sodass die Erkenntnisse aus diesen Studien zwar erste Hinweise auf die Implementierung von EBN liefern, jedoch nicht zwingend handlungswirksam für die Implementierung sein müssen.
Das Konzept EBN dient primär dazu, die Versorgung von Pflegebedürftigen zu verbessern. Es ist hinsichtlich der Anwendung von aktuellem wissenschaftlichem Forschungswissen ein zentral bedeutsames Konzept für die Pflege. Als solche ist sie im Berufs- und Leistungsrecht verankert und Pflegende sind aufgefordert, auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu handeln. Das EBN-Konzept integriert jedoch nicht nur die wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern bezieht für eine pflegerische Entscheidungsfindung auch die Präferenzen der Pflegebedürftigen, das Erfahrungswissen der Pflegenden und die bestehenden Rahmenbedingungen ein.
Das EBN-Konzept wurde initial in der Medizin entwickelt und durch Pflegewissenschaftler *innen weiterentwickelt sowie auf die Pflege übertragen. Es ist international ein überaus bedeutsames Konzept für die Pflege wie auch für andere Berufe im Gesundheitswesen.
Mit evidence-basierter Pflege wird eine Förderung des professionellen Pflegehandelns verbunden.
Konzeptionell und inhaltlich eng verbunden mit EBN ist das Konzept der Nutzung von Forschung – Research Utilization. Aufgrund seiner bestimmenden vier Merkmale geht EBN über die Forschungsanwendung hinaus.
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