4Im Bereich der privaten Streitigkeiten gewährt der Staat Rechtsschutz durch unabhängige Rechtsprechung. Dem Rechtsschutzmonopol entspricht insofern ein Rechtsprechungsmonopol. Dem Justizgewährungsanspruch wird also durch Einrichtung eines Zivilgerichtswesens und durch Normierung eines Verfahrens beim Streit um private Rechte genügt.
5Das Zivilprozessrecht regeltdieses Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten(vgl. § 13 GVG) vor staatlichen Zivilgerichten. Es umfasst die Gesamtheit der Regelungen, die das gerichtliche Verfahren zur verbindlichen Feststellung und Durchsetzung privater Rechte zum Inhalt haben.
6Die Rechtsbeziehungen zwischen den beteiligten Privatpersonen sind dabei zwar privatrechtlicher Art, das Verfahrensrecht selbst jedoch setzt die beschriebenen staatsrechtlichen Vorgaben um und findet nur vor den staatlichen Gerichten Anwendung, so dass das Zivilprozessrecht insgesamt dem öffentlichen Rechtzuzuordnen ist.
7Der BegriffZivilprozess wird für die institutionelle Einrichtungdes zivilprozessualen Verfahrens benutzt, Zivilprozess ist aber auch der einzelne Rechtsstreit, in dem Parteien in einem Prozessrechtsverhältnis miteinander verbunden sind.
§ 2Der Ablauf eines Zivilprozesses im Überblick
8Für einen ersten Überblick wird im Folgenden der Ablauf eines Prozessesvor dem Landgericht von der Klageerhebung bis zur Rechtskraft dargestellt. Die einzelnen Verfahrensschritte werden ebenso wie Abweichungen vom Regelverfahren und Gestaltungsmöglichkeiten im Besonderen Teils dieses Lehrbuchs (Rn. 121 ff.) weiter ausgeführt.
9Der Zivilprozess beginnt in der Regel mit der Erhebung einer Klage. Dafür erstellt der Kläger 1einen Schriftsatz, den er bei Gericht einreicht, die Klageschrift(§ 253). Den Zustand ab Einreichung der Klage bei Gericht nennt man Anhängigkeit. Das Gericht stellt die Klageschrift anschließend dem darin bezeichneten Beklagten zu (§ 253 Abs. 1, §§ 166 ff.). Erst dann wird von einer erhobenen Klage gesprochen und der Begriff der Rechtshängigkeitverwendet. (§ 261 Abs. 1).
10Die Klageschrift legt bereits verbindlich fest, wer die Parteien des Rechtsstreits sind und welchen Streitgegenstand das Verfahren hat. Der Kläger stellt in der Begründung der Klage den Sachverhalt, der der Klage zugrunde liegen soll, aus seiner Perspektive dar und führt aus, warum sich seiner Ansicht nach aus dem materiellen Recht die von ihm begehrte Rechtsfolge ergibt.
11Anschließend erhält der Beklagte Gelegenheit zur schriftlichen Klageerwiderung, wozu er bereits mit der Zustellung aufgefordert wird (§ 275 Abs. 1 bzw. § 276). Der Richter trifft schon mit der Zustellung der Klage an den Beklagten die Entscheidung, ob ein früher erster Terminzur mündlichen Verhandlung bestimmt wird (§ 275), oder ob zunächst ein schriftliches Vorverfahren(§ 276) zur weiteren Vorbereitung eines Haupttermins erforderlich erscheint. Der Beklagte wird in einem weiteren Schriftsatz, der Klageerwiderung, zur Klage Stellung nehmen; es schließen sich vielfach eine Replikdes Klägers und weitere Schriftsätze an (vgl. § 277).
II.Mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme
12Der Richter setzt einen Termin für die mündliche Verhandlungder Klage fest und bereitet ihn umfassend, insbesondere durch Ladungen von Anwälten, Parteien und Zeugen, vor (§ 273). Vielfach haben die Parteien zu diesem Zeitpunkt bereits ausführlich zum Verfahren vorgetragen und ihre Positionen und Rechtsansichten mitgeteilt. Dennoch ist erst die mündliche Verhandlung das Kernstück des Zivilprozesses. Die Parteien nehmen dort Bezug auf ihre Schriftsätze, ergänzen ihren Sachvortrag, vertreten Rechtsansichten oder nehmen (sonstige) Prozesshandlungen vor.
13Falls sich aus dem Vortrag der Parteien ergibt, dass entscheidungserhebliche Tatsachen zwischen ihnen streitig sind, wird in der mündlichen Verhandlung Beweiserhoben (§ 355 ff.). Voraussetzung ist, dass die Parteien für die beweisbedürftigen Tatsachen den Beweis angetreten und ein Beweismittel benannt haben. In Betracht kommen dann die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung eines Zeugen, das Gutachten eines Sachverständigen, die Einsicht in Urkunden oder auch die Parteivernehmung. Der Richter würdigt die erhobenen Beweise frei, ob sie nämlich zu seiner Überzeugung von der Wahrheit einer bestimmten Behauptung der Partei führen oder nicht (§ 286).
14Nach Beweisaufnahme oder auch, falls sie nicht notwendig ist, ohne Beweisaufnahme ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif. Es ergeht ein Urteil (§ 300), das verkündet (§§ 310, 311) und den Parteien zugestellt (§ 317, §§ 166 ff.) wird. Das Urteil enthält nach der Bezeichnung der Parteien und des Gerichts im sog. Rubrum (§ 313 Abs. 1 Nr. 1 und 2), die richterliche Entscheidung in einem Urteilsausspruch (§ 313 Abs. 1 Nr. 4), dem Tenor. Außerdem stellt der Richter die Tatsachen, die der Entscheidung zugrunde liegen, in einem Tatbestand dar (§ 313 Abs. 1 Nr. 5) und schließt das Urteil mit den Entscheidungsgründen (§ 313 Abs. 1 Nr. 6), also den Erwägungen, auf denen die Entscheidung rechtlich und tatsächlich beruht.
IV.Rechtsmittel und Rechtskraft
15Gegen ein erstinstanzliches Urteil kann die dadurch beschwerte Partei grundsätzlich Berufungeinlegen (§ 511), gegen ein zweitinstanzliches Revision(§ 542). Nach Ablauf der für das Rechtsmittel vorgesehenen Frist oder, falls von vornherein kein Rechtsmittel statthaft war, mit Urteilserlass, erwächst die Entscheidung in Rechtskraft(§§ 322, 325). Das heißt, sie bindet das Gericht und die Parteien dauerhaft und ist – außer in den engen Ausnahmefällen der Wiederaufnahme – nicht mehr abänderbar.
V.Ausblick in die Zwangsvollstreckung
15aWährend es im soeben dargestellten Erkenntnisverfahren des Zivilprozesses um die Feststellung subjektiver Rechte geht, hat das Vollstreckungsverfahren das Ziel, diese Rechte – notfalls auch mittels staatlicher Gewalt – durchzusetzen. 2Das vollstreckungsfähige Leistungsurteil als Ergebnis des Erkenntnisverfahrens ist dabei die Grundlage der Zwangsvollstreckung (§ 704 ZPO), wobei es auch andere Vollstreckungstitel gibt (s. § 794 ZPO). 3Leistet der Schuldner nicht freiwillig, führt erst die erfolgreiche Vollstreckung zur materiell-rechtlichen Befriedigung des Gläubigers. Der Zivilprozess ist insofern zweigeteilt, in ein Erkenntnis- und ein Vollstreckungsverfahren. Das Vollstreckungsverfahren hat eigene Organe, Maßnahmen und Rechtsbehelfe, die im achten Buch der ZPO geregelt sind.
§ 3Systematik und Rechtsquellen des Zivilprozessrechts
16Die Regelungen für das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (§ 13 GVG) vor staatlichen Gerichten sind großteils in der ZPOzu finden. Es gibt aber auch weitere Gesetze, die Einfluss auf den Verfahrensablauf haben.
17Die ZPO gliedert sich in elf Bücher. Das erste Buchenthält allgemeine Vorschriften. Solche allgemeinen Regeln gelten als „vor die Klammer gezogenes“ Recht für die Gesamtheit der in einem Gesetz geregelten Materien, soweit nichts Besonderes vorgesehen ist. In der ZPO sind im ersten Buch etwa Zuständigkeitsnormen, Regelungen zur Richterablehnung, zu den Parteien und deren Bevollmächtigten, zu den Prozesskosten und zu den Grundlagen der mündlichen Verhandlung ebenso zu finden wie Vorschriften zum Verfahren bei Zustellungen, zur Säumnis und Wiedereinsetzung sowie zur Verfahrensunterbrechung und Aussetzung. Im zweiten Buchwerden das Verfahren von der Klageschrift bis zum Urteil und das Beweisverfahren geregelt und zwar zunächst exemplarisch für das landgerichtliche Verfahren, sodann für das Verfahren vor den Amtsgerichten. Beide Gerichte können Eingangsgericht, das heißt Gericht erster Instanz, im Zivilprozess sein. Dabei finden grundsätzlich die Regeln zum Verfahren vor dem Landgericht auch auf dasjenige vor dem Amtsgericht Anwendung, es sei denn, es sind für dieses Verfahren Sonderregeln vorgesehen. Das dritte Buchwidmet sich den Rechtsmitteln, wobei zunächst die Berufung, dann die Revision und die Beschwerde normativ ausgestaltet werden. Im vierten bis zum siebenten Buch folgen Regelungen zu besonderen Verfahrensarten, nämlich zunächst zur Wiederaufnahme (viertes Buch), dann zum Urkunden- und Wechselprozess (fünftes Buch), zur Musterfeststellungsklage (sechstes Buch)sowie schließlich zum Mahnverfahren (siebtes Buch).Es folgt im achten Buchdas Zwangsvollstreckungsrecht, in sich wiederum anschaulich untergliedert in allgemeine Vorschriften und Abschnitte zu den einzelnen Vollstreckungsarten. Das neunteBuch ist aufgehoben (s. Rn. 28), das zehnte Buchenthält das schiedsrichterliche Verfahren, wenn der Schiedsort in Deutschland liegt, und das elfte Buchschließlich enthält Regelungen zur justiziellen Zusammenarbeit in der EU, insbesondere zur Durchführung unmittelbar in Deutschland geltender europäischer Verordnungen (Rn. 18 a. E.) für grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten.
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