Alexander Stania - Icecore

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Was ist vor 18 Jahren mit Thomas Novaks Frau Verena passiert?
Wieso musste vor 22 Jahren die Familie des Bergbauunternehmers Dr. Bernhard Seeger sterben?
Wo sind vor 26 Jahren die Forscher einer norwegischen Forschungsstation geblieben?
Eine Reihe von Geheimnissen sind Ausgangspunkt einer unglaublichen Reise an den unwirtlichsten Ort der Erde: Die Antarktis.
Eine Gruppe von Wissenschaftler, Dokumentarfilmern und Technikern starten eine Expedition von Punta Arenas aus. Ihr Ziel liegt hinter dem Transantarktischen Gebirge. Mit Spezialgerätschaften reisen sie 1600 Meter tief in den antarktischen Gletscher. Dort entdecken sie die verlassene Icecore-Forschungsstation.
Zurückgelassen und verwüstet.
Beim Erforschen stellen sich immer neue Fragen und unheilvolle Vorahnungen. Wer oder Was hat alle elektronischen Geräte herausgerissen und nicht mal halt vor 20 cm dicken Stahltüren gemacht?

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Als Erstes musste er zum Eistunnel, und dann wollte er weitersehen. Flexibel bleiben und sich kleine Ziele stecken, so lautete seine Überlebensstrategie.

Obwohl er sich ein paar Mal überschlagen hatte, wusste er noch, aus welcher Richtung er in die Höhle geflogen war. Sehr tief war er auch nicht, sonst hätte er das Kribbeln wieder gespürt. Als er aufstehen wollte, fuhr ihm ein mörderischer Schmerz durch die Brust. Die gebrochenen Rippen hatte er fast vergessen. Er biss die Zähne zusammen und stolperte blind durch die Dunkelheit in die Richtung, von der er glaubte, dass sich dort der Laufsteg befand.

Plötzlich vernahm Ruuk ein heftiges Donnern und anhaltendes Grollen aus der Richtung des Eistunnels. Ihm war sofort klar, was das bedeutete: Sie hatten den Tunnel gesprengt. Noch ein Hoffnungsfunken erlosch. Dennoch, er sollte schleunigst hier weg, bevor die Lawine aus Eistrümmern in die Höhle stürzte. Da er sich eher am Rand der Höhle aufhielt und der Boden zur Mitte der Höhle anstieg, war klar, wohin die Eismassen fließen würden. Er musste sich so weit wie möglich vom Tunnel entfernen. Während er unter Aufgebot all seiner Kräfte über die Unebenheiten des vereisten Bodens hinwegrannte, wurde das Grollen immer lauter. Dann sackte er in eine Vertiefung und stürzte. Diesmal schoss ihm ein Schmerz durch den Fuß. „Verdammt!“, schrie er in die Dunkelheit. Ein gebrochener Knöchel hatte ihm gerade noch gefehlt. Er belastete ihn vorsichtig und stellte erleichtert fest, dass er nur umgeknickt war. Das tat zwar auch weh, hinderte ihn aber nicht am Laufen. Und nun musste er laufen. Ein kühler Windstoß kündigte das hereinplatzende Eis an. Blind rannte Ruuk los. Hinter ihm krachte und rauschte es ohrenbetäubend laut. Er spürte Eissplitter gegen seinen Anzug und seine Sichtscheibe schlagen. Im Dunkeln hatte er fast kein Gefühl, wie weit er gekommen war, doch scheinbar weit genug, um nicht von der Lawine fortgerissen worden zu sein. Wieder stolperte er, aber diesmal über eine Erhöhung. Vom eigenen Schwung getragen, flog er kopfüber voraus und prallte mit seinem Helm, den er zum Glück unter dem Schutzanzug trug, mit voller Wucht gegen einen Metallpfeiler. Verdutzt blieb er liegen. Gegen was war er geprallt? Er griff vor sich und umfasste den Metallpfeiler. Er erinnerte sich, dass die Station auf Stahlbeinen stand. Schnell rappelte er sich trotz aller Schmerzen auf und tastete über sich. Er fühlte den Boden der IcecoreStation einen halben Meter über seinem Kopf. Er hatte einen neuen Hoffnungsfunken, wobei er nicht mal wusste, ob es von dort eine Verbindung zur Oberfläche gab. Erst mal hinein, war sein nächstes Ziel! Irgendwo musste es eine Laderampe oder eine Luke geben. Diese verdammte Dunkelheit! Und dabei hatte er eine Taschenlampe. Wieder überlegte er, ob er diesen sperrigen Virenschutzanzug ausziehen sollte. Plötzlich fiel ihm ein schwacher Lichtschein auf. Er ging darauf zu, eine Rampe hoch und stand schließlich vor einer Schleusentür. Er sah durch das höchstens zwanzig Zentimeter breite Fenster in der Tür, aus dem der schwache Lichtschein fiel. Es war eine Schleuse, ein zwei mal drei Meter großer Raum ohne jegliche Inneneinrichtung. Hermetisch und luftdicht verschlossen. Für eine Schleuse recht groß. Sie diente sicherlich zum Ein und Ausladen größerer Objekte, die auf Rädern bewegt wurden. Das verriet ihm der Boden, auf dem Reifenabdrücke zu sehen waren. Auf dem Boden, an eine Wand gelehnt, saß eine Frau Mitte dreißig, mit fettigen braunen, langen Haaren. Vielleicht war sie auch jünger, doch sie sah sichtlich mitgenommen aus. Sie steckte in einem weißen Kunststoffanzug, der Ruuks Virenschutzanzug nicht unähnlich sah. Wahrscheinlich war es doch die richtige Entscheidung gewesen, den Anzug nicht auszuziehen. Was aber machte die Frau eigentlich? In der Schulterschnalle ihrer Jacke steckte eine Taschenlampe, und die strahlte auf ein Buch mit einem roten Ledereinband, das auf ihren Knien ruhte. Sie schrieb.

Ein Protokoll, Logbuch oder Tagebuch? Das war ihm jetzt egal, denn er spürte, dass sein Sauerstoffvorrat zur Neige ging. Er musste jetzt da rein ? und sie musste ihm helfen!

Verena vernahm ein dumpfes Pochen auf der anderen Seite der Schleuse. Sie erschrak, blickte auf und sah verängstigt zur Tür. Ihre Gesichtsmimik entspannte sich wieder, als sie in dem weißen Schutzanzug einen Menschen erkannte. Ein Rettungstrupp? Major Hidge würde doch nie versuchen, sie zu retten, das hätte selbst sie nicht getan. Sie legte ihr Tagebuch neben sich auf den Boden und stand auf. Langsam und vorsichtig näherte sie sich der Scheibe. Sie konnte nicht sicher sein, dass der Mann das war, wonach er aussah. In dieser stabilen Schleuse war sie einigermaßen sicher. Glaubte sie jedenfalls.

Der Mann vor der Schleusentür war sichtlich außer sich und versuchte hektisch, mit ihr zu kommunizieren. Aber durch die dicke Panzerglasscheibe und seinen Anzug konnte sie ihn nicht hören. Was sie aber hörte, war das Kreischen. Es kam von draußen auf sie zu. Verena ging langsam zurück. Der Mann schaute sie entsetzt an, dann drehte er sich der heranrasenden Lärmquelle zu, und schon rammte ihm etwas mit voller Wucht den Hinterkopf in das Schleusenfensterglas. Diesem Ansturm hielt das Panzerglas noch stand, doch die Explosion, die eine halbe Sekunde darauf folgte, durchschlug das Fenster. Verena riss die Arme schützend vor ihr Gesicht. Auf eine Explosion war die junge Genetikerin nicht gefasst gewesen, zumal sie auch nichts von der Bombe wußte die im Schutzanzug des Soldaten geschlummert hatte. Sofort schlug ihr eiskalter Wind durch das zerstörte Schleusenfenster entgegen. Nun bot der Raum keinen Schutz mehr, und Verena wollte noch lange genug leben, um ihr Tagebuch zu Ende zu schreiben. Wenn sie selbst schon gehen musste, so wollte sie doch wenigstens die wahre Geschichte dieses Ortes zurücklassen. Sie hoffte, dass sie eines Tages in die richtigen Hände gelangte. Vielleicht sogar zu ihrem Mann und ihrer Tochter. Beim Gedanken an ihre Lieben, die sie nie wieder sehen würde, stiegen ihr die Tränen in die Augen.

Sie steckte ihr Tagebuch in die Seitentasche ihrer weißen Kunststoffhose, die sie unter dem Virenschutzanzug trug. Sie gab sich nicht mehr die Mühe, ihren Schutzanzug wieder zu schließen, und legte ihre zitternden Hände auf das manuelle Verriegelungsrad der Schleusentür. Der Öffnungsmechanismus der Tür ratterte monoton vor sich hin, als Verena die Schleuse ins Innere der Station öffnete.

Dann stieg sie durch die ovale Öffnung und verschwand in den dunklen Eingeweiden der IcecoreForschungsstation.

ICECORE

Distanz 148

In Photoshop sahen die Texte noch sauber aus, aber jetzt, als sie die TIFDatei in ihrem 3DProgramm öffnete, war die Schrift kaum mehr zu lesen. Diese Verarbeitungsfehler zwischen den Programmen traten immer dann besonders massiv auf, wenn man kurz vor einer Kundenpräsentation stand. Die sechsundzwanzigjährige Grafikerin fragte sich, ob ihre Berufswahl wirklich so klug gewesen war. Letztendlich war der Arbeitsmarkt im Computergrafikbereich hart umkämpft. Ihre verkrampfte Hand lockerte sich und ließ die bereits schweißige Maus los. Wenigstens konnte sie bei diesem Projekt von zu Hause aus arbeiten. Bei ihrem letzten Projekt, einem FullCGFeatureFilm, musste sie monatelang auf billigen IkeaStühlen sitzen und schlechten Kaffee trinken. Außerdem erntete sie böse Blicke, wenn sie mal vor zehn Uhr abends nach Hause ging. Aber dafür war man schließlich beim Film. Hier, zu Hause, würde sie sich diese Nacht sicherlich auch um die Ohren schlagen müssen, aber sie saß auf einem AeronBürostuhl und trank Tee. Trotzdem brauchte sie Sport zum Ausgleich, und sie freute sich auch schon auf ein verlängertes Skiwochenende mit ihren Freundinnen. Sie setzte sich auf, lief aus ihrem Schlaf/Arbeitszimmer zur kleinen Einbauküche, um heißes Wasser für ihren Earl Gray aufzusetzen. Das Verlangen nach einer Zigarette hatte sie seit dem Filmprojekt nicht ganz ablegen können, aber sie gab ihm nicht nach. Gerade wenn ein Projekt in Nachtarbeit und Stress überging, wurde das Verlangen sehr stark. Sie musste sich eingestehen, dass es in ihrer Zeit als 3DArtist beim Feature Film recht ungesund zugegangen war.

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