Anton ist der Laufbursche für alles- er hatte Bier heranzuschleppen, die Werkstätten auszufegen, Zugpferde zu versorgen, Kohlen zu schippen und für gelegentliche Watschen herzuhalten. Lehrjahre sind eben nicht Herrenjahre. Lehrlingslohn erhielt er nicht und durfte nur froh sein, keinen Ausbildungsgroschen zahlen zu müssen. Dass Handwerksmeister Ausbildungslohn forderten, war noch nicht lange her.
Anton lernt in einer kleinen Firma, einer Zwischenform von Handwerk und Industriebetrieb. Da hatten die Mitarbeiter gewisse Vorteile, weil dieses Hammerwerk noch patriarchalisch geführt wurde.
Patriarchen sind die Eigentümer und unumschränkte Herrscher in ihrem Betrieb. Sie fühlten sich dann allerdings auch persönlich verantwortlich für die bei ihm Beschäftigten. Das äußerte sich so, dass der Betriebsherr zwar willkürlich oft äußerst geringe Löhne zahlte, sodass Arbeiter und ihre oft umfangreichen Familien kaum aus der Lohntüte leben konnten. Andererseits gab es Unterstützung bei Lebenseinschnitten wie Krankheit oder Tod. Zu Geburten erhielten die Mitarbeiter gelegentlich ebenso finanzielle Hilfe, doch geschah das immer auf freiwilliger Basis. Gewerkschaften und Tariflöhne waren kaum bekannt oder hatten als Berufsvertretungen keine große Macht. Nur den Kapp-Putsch 1920 wehrten sie gemeinsam ab.
Die Nagelschmiede hatte nach dem 1. Weltkrieg Hochkonjunktur, die Waffenschmiede nicht. Noch nicht. Nägel und Schrauben wurden für viele Zwecke eingesetzt.
Kaum zu glauben, welche Vielzahl unterschiedlicher Nagelarten es gibt. Gewöhnliche Drahtstifte hat man bereits lange Zeit maschinell hergestellt. Nur besondere Ausführungen, Ziernägel zum Beispiel, ließen sich in keine Form pressen. Die sind weiterhin mit handwerklichem Geschick geschmiedet worden.
Anton hatte keinerlei Probleme, mit schweren Hämmern und unförmigen Zangen umzugehen. Doch auch das feingliedrige Arbeiten machte ihm Spaß. Nach den ersten Monaten als Bierholer und Werkstattausfeger erkannte man seine Fähigkeiten. Und er war ehrgeizig. Nicht nur kunstvolle Stifte versuchte er herzustellen, sondern ebenfalls Ornamente, Wandteller und kleine Kettenanhänger als Schmuckstücke, aus Schmiedeeisen, nicht aus Gold oder Silber. Der jugendliche Lehrling war kaum ein Jahr in der Ausbildung, da hat man dessen hochgradige Begabung erkannt. Der Lehrmeister ließ ihm neben der Arbeit als Nagelschmied auch die Freiheit, in andere Richtungen zu experimentieren. Heimlich durfte er an Bohrversuchen üben, denn der Betrieb dachte daran, auch die bislang verbotene Schrotflintenproduktion wieder aufleben zu lassen.
Antons Schwester Emma entwickelte ungeahnte Fähigkeiten bei der Bemalung von Holzfiguren. Mutter schliff und leimte die Figuren zusammen wie eh und je, und Vater Bruno machte nach wie vor den Zuträger mit seiner Kiepe.
Die beiden letztgeborenen Arthur und Joseph absolvierten ihre Schulpflicht, weiterhin in der zwei-klassigen Volksschule Rübenau. Der Bruder mit dem verkrüppelten Bein hat Probleme, weite Wege zurückzulegen. Auf der Lehrstellensuche gab es für ihn keine bemerkenswerte Berufsauswahl. Er würde sich nur für einen der sitzenden Berufe Schneider, Uhr- oder Schuhmacher entscheiden können. Doch das wird noch dauern. Arthur wurde oft gehänselt, denn Kinder bringen es leicht fertig, grausam zu sein. Artur musste sich ständig Humpelfüßler nennen lassen, wie Brillenträger >Brillenschlange<. es half nichts, den kräftigeren Bruder um Hilfe zu bitten. Danach wurde es nur weit übler. Doch deshalb sich zu prügeln, verabscheute er.
Die Grynszpan-Familie hält zusammen, wenn es mit den Nachbarn Haub auch immer weniger Gemeinsamkeiten gibt. Die größte Not ist momentan überwunden, und daran wird man dann ungern erinnert. Leider leidet darunter die Verbundenheit, die Allen zugutekam. Es war hier vorwiegend die Sippe der Haubs, die sich aus der Nachbarschaftshilfe zurückzog. Dazu trug vermutlich bei, dass die früher eng befreundeten Rudolf und Anton schulisch, gedanklich und beruflich unterschiedliche Wege eingeschlagen haben.
Bruno Grynszpan mit seiner Familie lebt weiterhin in Rübenau. Man fühlt sich ortsverbunden und hat dabei den Kontakt zum Nachbarn Rudolf verloren, denn der lebt und arbeitet jetzt in Freital, einer Stadt zwischen Chemnitz und Dresden. Nur die jungfräulichen Schwestern, längst zu hübschen Damen herangewachsen, wohnen auf sich zurückgezogen im Elternhaus. Freier haben sich noch nicht eingefunden. Die restlichen Kinder der Familie haben in anderen Orten ein zeitgemäßes Zuhause gefunden. Etwas Weltbewegendes hat sich bisher nicht zugetragen.
Nach wie vor sind es kümmerliche Zeiten für erzgebirgische Nussknacker, Rächermandl und Weihnachtsengel. Nur Schwibbogen hatten zu Weihnachten Konjunktur, wenn diese mit innovativen Ideen angeboten und durch Kerzen beleuchtet werden. In der dunklen Jahreszeit erzielt man so eine eigenartig-stilvolle Atmosphäre in der Stube. Und damit vermag man auf dem Weihnachtsmarkt, der wieder abgehalten wird, die Besucher anzusprechen. Weihnachten ist wie immer ein Fest der Familie, und ganz besonders auch im Erzgebirge.
Schwibbung (erzgebirgisch) war von Alters her die Sehnsucht der Bergleute nach Licht, das sie so rar zu Gesicht bekommen. Morgens vor Sonnenaufgang fuhr der Bergmann in die Grube ein und abends erst bei Dunkelheit kamen die Hauer heim. Kaum, dass die Kumpel ein paar freie Tage im Jahr erhalten. Ihre Kinder sehen sie nur sonntags aufwachsen. Grynszpans hatten sich einen eigenen Vertrieb aufgebaut. Den Zwischenhandel über den Kalfaktor verdienten sie sich jetzt selber. Zur Adventszeit geht Bruno mit seinen Söhnen Josef und Artur auf die Weihnachtsmärkte in den reizvollen Städten Freital und Pirna, manchmal sogar nach Dresden. Verkaufsbuden ließen sich da kostengünstig mieten.
Es ist stets eine beschwerliche Aufgabe, die kleinen Kunstwerke in Tragekiepen zum Zöblitzer Bahnhof zu schaffen, denn der Weg musste zu Fuß zurückgelegt werden. Es war zwar mal angedacht worden, von Olbernhau eine Zweigbahn nach Rübenau zu bauen, doch wegen der geografischen Verhältnisse wurde der Plan verworfen.
Deshalb ist Schuhwerk von ausgezeichneter Qualität erforderlich für die steinigen Pfade. Indes, dafür haben sie ja ihren Schuhmacher Sachs, der ein Meister seines Fachs für widerstandsfähige Gebirgsstiefel ist. In Rübenau betreibt er eine urige kleine Werkstatt.
Maschinen hat er keine in dem Arbeitsraum. Der ist ein Teil der Wohnküche, wo er vom frühen Morgen bis in späte Abendstunden bei dem Licht einer ’Schusterkugel’ arbeitet. Das ist eine mit Wasser gefüllte Glaskugel, die den spärlichen Schein einer Kerze oder Spirituslampe verstärkt und durch Lichtbrechung bündelt, sodass der Schuhmacher die Schuhe auch bei Dunkelheit bearbeiteten kann. Alles ist präzise Handarbeit, was Hans Sachs fertigt.
Zusammen mit einem Lehrjungen besucht er regelmäßig auch entlegene Bauernhöfe und repariert dort die schweren Arbeitsstiefel. Es ist ein hartes Stück Brot, das er sich da verdient.
Einfache Ausführungen von Fußbekleidungen werden mit Holzstiften genagelt, bessere Ware wird mit Pechfaden genäht. Man nennt es doppeln, und mancher präzise Stich wird dafür gesetzt. Das ist eine sehr hochwertige Arbeitsweise, und solcherart hergestelltes Schuhwerk wird über viele Jahre getragen. Immer wieder kommt es zur Reparatur, wenn Sohlen oder Absätze abgelaufen sind. Sogar mit erneuerten Vorschuhen wurden verschlissene Treter versehen, um sie weiterhin gebrauchsfähig zu halten.
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