- Göttlich notwendiges Geschehen: Der Menschensohn muss viel leiden… Mk 8,31; 14,21.49; Lk 24,44ff;
- Märthyrer- und Prophetentod: Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt! Mt 23,37; 1 Thess 2,15; Lk 11,49ff; 13,34; Acta 7,52;
- Geschick des leidenden Gottesknechts: Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird…Acta 8,26-40; 1. Pet 2,22 ff;
- Versöhnung Gottes mit den Menschen: Gott versöhnte die Welt mit sich selbst… 2. Kor 5,18ff
- Liebeshingabe Gottes: Also hat Gott die Welt geliebt… Joh 3,16; Rm 8,31ff.38f; 2.Kor 5,14;
- Lösegeld oder Freikauf: …, dass er sein Leben gebe als ein Lösegeld für die Vielen. Mk10,45; 1. Kor 6,20; 7,13; Gal 3,13; 4,5;
- apotrophäische Lebenshingabe, Sterben aus Liebe für andere: Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Röm 5,8f; 1 Kor 15,3; Eph 5,25;
- Opfer für die Erlösung der Welt: Nach Gottes Willen sind wir geheiligt ein für alle Mal durch das Opfer des Leibes Jesu Christi. Hebr 10,10ff; 9,14; Eph 2,14; 5,2;
Diese Vielfalt betrachtend kann ich unmittelbar nach den Einsetzungsworten beim Abendmahl die Engführung durch das von der Gemeinde meist im Trauerritus gemurmelte „Deinen Tod o Herr verkünden wir …“ einfach nicht mehr nachsprechen. Es stimmt nicht. Nicht zum Abendmahl. Es geht um etwas anderes. Und das wird hier nicht benannt: Es geht um die Liebe Gottes, die konkret wird zum Anfassen in Brot und Wein und in der Gemeinschaft des Altars.
Jesus >musste< nicht am Kreuz sterben
Einer meiner Lieblings-Erkenntnisse aus 40 Jahren angewandter Theologie steckt in dem Satz: „>Muss< gibt es im evangelischen Wortschatz nicht!“ Gott zwingt nicht. Gott macht frei. Auch seinen Sohn. Sonst hätte er die Welt und die Menschen anders geschaffen. Das wäre ja ein Leichtes für ihn gewesen. Hat er aber nicht! Er hat uns in Freiheit geschaffen, wohl wissend welche Arbeit und Mühe es sein würde, uns immer wieder von Neuem einzuladen, um uns zu werben, zu buhlen, zu reden und zu bebbern, Sonntag für Sonntag auf unzählig vielen Kanzeln sein Wort verkünden zu lassen. Aber er zwingt eben nichts und niemanden. Er stellt es uns frei, einladend, lieb machend, uns für ihn - sprich für Leben und Liebe - zu entscheiden. Das und genau das, hat auch Jesus gemacht. Vorbildlich und superkonsequent. Diese Konsequenz der Liebe und Annahme von Menschen nach dem Willen Gottes stellte die Machtstrukturen der Menschen in Frage, weshalb sie ihn stoppen wollten. Egal wie. Und weil seine Konsequenz vom inneren Prinzip her unantastbar war, dachten sie, es gäbe nur den Weg ihn zu töten. Und hier kommt dann Prof. Wolter mit seinem Artikel. Das Kreuz ist eine geschichtliche Entscheidung DIESER damals agierenden Menschen und kein Plan Gottes.
Gott sandte seinen Sohn nicht auf die Welt um am Kreuz zu sterben, sondern um die Menschen zu erlösen. Heißt: Ihnen noch einmal und eph hapax zu zeigen, sie einzuladen, ihnen bis zur letzten Konsequenz vor Augen zu führen, sich doch „um Himmels willen“ für die Liebe zu entscheiden, also für Gott, statt für eine eigene zweifelhafte, weil zerstörende Macht.
Dass Jesus am >Kreuz< endete, ist seiner Zeitgeschichte, einer konkreten historischen Situation geschuldet. Gott wäre es viel lieber gewesen, die Menschen hätten sich bekehrt und Liebe und Vergebung gelebt und Jesus wäre als alter Mann an Altersschwäche gestorben und das Leben hätte gar keinen Beweis für die Kraft der Liebe in der Auferstehung gebraucht. Aber so lief es nicht. Historisch nicht und deshalb auch theologisch nicht. Und deshalb kam die Auferstehung noch hinzu als untrügliches Zeichen, dass die Liebe stärker ist, sogar stärker als der Tod (Hohes Lied 8,6). Aber eigentlich hätte es das Sterben Jesus gar nicht gebraucht, wären die Menschen Gott auf andere Weise gefolgt.
Dass es das Kreuz wurde, was dann zum Zeichen des Christentums wurde, ist also salopp gesagt historischer Zufall. Die Verkündigung aber hat sich mehr um das zu kümmern, warum es überhaupt zum Kreuz kam: Die Konsequenz der Liebe. Das ist das Thema vom Karfreitag. Das ist der Kern des Abendmahles. Das ist das Zentrum aller Osterverkündigung. Das ist die Mitte der Bibel. Und das unterscheidet die Heilige Schrift des Christentums von anderen heiligen Schriften dieser Welt. Nicht Jesu Tod gilt es zu verkünden, sondern seine Liebe, die stärker ist als alles was wir uns vorstellen können, sogar stärker wie der Tod.
die anglikanische Bezeichnung des Karfreitag gefällt mir in dieser Hinsicht recht gut. „Der Segensreiche Freitag“. Der Weg der Liebe, der auch vor dem Tod nicht zurückscheut, und sich auch unter Folter und Lebensangst nicht von seinem Weg der Liebe und Vergebung abbringen lässt, das ist das Evangelium am Karfreitag. Jesus ging diesen Weg freiwillig (siehe das Gebet in Gethsemane). Nicht als Opfer, sondern als aufrechter Gott, der in seiner Treue zu den Menschen unbeugsam konsequent wahrhaftig bleibt. Er wurde hingerichtet, weil die Macht der Menschen Angst hatte, dass seine Haltung ihn tatsächlich zum König des auswählten Volkes Gottes machen könnte, in dem Sinne, dass unter seiner Haltung das einträfe, was in der antiken Königsideologie als mustergültig galt und schon als Folie hinter Gen 1 und 2 steht: Machet Euch die Erde untertan. Das spielt darauf an, dass Friede und Glück, Sicherheit und Wohlstand vom König durch geschicktes, treu verlässliches Handeln herbeigeführt wird. Diesen Ansatz zeigt Jesus in der punktuellen Verwirklichung: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt (Mt 5,11 //) . Diese Linie verlässt Jesus nicht, selbst als Widerstand aus den eigenen Reihen kommt (Judas Ischariot), die Menschen sich von Gott abwenden (Kreuzige ihn!), oder auch die Mächtigen Religionsführer und politischen Herrscher Angst schüren, vor einem Verhalten, das gerade aus der Angst heraus führen würde - wovor sie scheinbarAngst haben. Menschen ohne Angst sind den Mächtigen immer ein Dorn im Auge, denn sie lassen sich nur mit Wahrhaftigkeit regieren.
Da klingeln uns doch die Ohren bis zum Wehtun. Und da erkennen wir die Verantwortung für unsere Predigt heute. Sie deckt diese Angstmache auf, verkündet Mut zur Annahme von Menschen und verkündet die Liebe als Grundpfeiler des Zusammenlebens aller Schöpfung. Und sie zeigt uns das Muster Gottes selbst: Sich in Freiheit für die Konsequenz auf diesem Weg zu entscheiden. Das führt zur Überwindung von Tod und Zerstörung, zum Zurückdrängen von falscher Macht und niederdrückender Struktur, hin zur Solidarität der Schöpfung mit dem Schöpfer und dem Lebensrecht für alle in Gleichheit und Frieden, Wohlstand und Glück.
Utopie? Nein. Österliche Wirklichkeit nach der Konsequenz der Liebe am Freitag zuvor. Diese Wirklichkeit hat einmal Herrschende zum Zittern gebracht, den Mächtigsten Angst eingejagt, der Weltstruktur das fürchten gelehrt. Haben wir das verraten? Verkünden wir lieber den Tod Gottes - bis er irgendwann mal kommt, statt mit ihm jetzt und hier zu rechnen? Das würde Kirche lebendig zeigen und die Welt verändern. Traun wir uns! Gott vertraut uns schließlich seine Kirche an. In Liebe.
Das fatale Märchen vom Opfertod Jesu
Eine Neubesinnung auf das Erlösungshandeln Jesu Christi
Joachim Pennig, Pfr. em.
Die Anfrage aus der theologisch verantworteten Praxis
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