Ebenso bezweifelt er, dass nicht auch andere – Engländer, Franzosen, Russen, Polen oder Juden – so sein können. Kann man denn von der Haar- oder Augenfarbe eines Menschen auf die inneren Werte schließen? Paul kennt viele, die sowohl blond als auch blauäugig sind, die aber schlecht, gemein und feige sind. Ein gutes Beispiel wäre Gunnar Berger aus der Schule, der die schwarze Uniform der Hitlerjugend mit stolzgeschwellter Brust zur Schau trägt.
Ebenso kennt er das Gegenteil. Der Vater hat weder blondes Haar noch blaue Augen. Dafür kann man sich immer auf ihn verlassen. Gerecht und vor allem wahrheitsliebend ist er außerdem.
Was die Sportlichkeit angeht, können haselnussbraune Locken vielleicht sogar von Vorteil sein. Jedenfalls, wenn man wie Paul selbst dazu auch noch lange Beine und Geschicklichkeit vorzuweisen hat. Früher ist er im Laufen, Werfen und Springen der Beste in der Klasse gewesen. Noch vor Axel und Kalle, die beide blond und blauäugig sind.
Ob er besonders tapfer ist, das weiß er nicht genau. Aufrecht und ehrlich, wer kann das schon von sich sagen? Jedenfalls ist er bestimmt tapferer und ehrlicher als beispielsweise Herr Braun oder Herr Wolf, die nur alles nachplappern, was ihnen der Führer vorsagt. Die haben überhaupt keine eigene Meinung mehr. Hätten sie eine und würden sie dazu stehen, so wie der Vater, dann wären sie tapfer.
„Hier, pack ein.“
Axel reicht Paul ein paar Äste. Sie stehen im Tierpark. Alle Bäume sind bereits kahl. Aber ihnen fehlen nicht nur die Blätter. Die meisten sind bis auf den Stamm abgesägt. Paul nimmt das Holz, das Axel ihm reicht, und verstaut es in ihren Säcken.
Da springt Axel plötzlich vom Baum, rafft seinen Sack auf und nimmt die Beine in die Hand. Paul schaut sich kurz um: Verdammt, ein Zoowächter! Er schnappt sich seinen Sack und spurtet hinter Axel her. Der Zoowächter schreit irgendetwas hinter ihnen her. Aber Paul denkt nur noch an Flucht. Und Axel scheint das Gleiche zu denken. Jedenfalls flitzen sie beide die Straßen entlang, bis sie glauben, dass der Wächter sie nicht mehr einholen wird. Dann lehnen sie sich an eine Wand und verschnaufen erstmal.
Paul spürt ein leichtes Seitenstechen. Er hat zu schnell zu viel kalte Winterluft eingeatmet. Axel scheint es nicht anders zu gehen. Jedenfalls keucht auch er und hält sich die linke Seite.
Plötzlich schrecken sie beide auf.
„Das waren doch Schüsse!“ flüstert Axel. Paul nickt. Sie schultern ihre Säcke und gehen vorsichtig bis zur nächsten Ecke. Als sie in die Seitenstraße hineinspähen, zucken sie erschrocken zurück: SS-Männer haben den Weg von einem Hauseingang bis zu einem Lastwagen abgeriegelt.
Vorsichtig spähen Paul und Axel um die Ecke. Aus dem Hauseingang kommen Menschen mit erhobenen Händen. Sie tragen alle den Stern. Hinter ihnen kommen drei Männer in langen, dunklen Mänteln. Ein ebenso gekleideter Mann mit Hut steht neben dem Wagen.
„Juden!“ flüstert Axel.
Auch er hat mitgekriegt, wie sie Lipowetzkys in der Nacht abholten. Alina war schon tot, als die Männer die Treppen hinaufpolterten.
Die Männer, Frauen und Kinder sind in dem Wagen verschwunden, der sogleich abfährt. Die Gestapo hat wieder zugeschlagen. Außer den SS-Männern ist die Straße jetzt wieder einsam und verlassen.
Trotz der uniformierten Männer können Paul und Axel ganz deutlich drei dunkle Umrisse erkennen, die sich scharf gegen den weißen Schnee abheben. Einige SS-Männer schaffen die Leichen zu einem offenen Wagen, der gegenüber von dem Haus parkt und sofort abfährt, als die Männer mit dem Beladen fertig sind.
Die übrig gebliebenen SS-Männer trennen sich. Der eine Teil geht in die Richtung, in die die Wagen gefahren sind, der andere kommt direkt auf Paul und Axel zu!
Nervös sehen sie einander an. Dann ziehen sie sich schnellstens in den nächsten Hauseingang zurück. Als Paul vorsichtig den Kopf herausstreckt, sieht er die SS-Männer die Straße hinunter gehen. Sie haben noch einmal Glück gehabt, Axel und er. So schnell wie möglich machen sie, dass sie nach Hause kommen.
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