mir überlegt. Du bist mit Absicht zu Pferde gekommen? Du hast gewollt, daß der Angeklagte auf ihm fliehen soll?«
»Ich leugne es nicht.«
Da reichte er mir seine Hand und sprach:
»So habe ich dir zu danken! Diese Flucht hat mich von einer schweren Sorge befreit. Man hätte den Amerikaner
gegen meinen Willen getötet, von der Behörde in Kairo aber wäre die ganze Verantwortung auf mich geworfen worden.
Du scheinst ein kluger Mann zu sein, und so darf ich vielleicht deine Einsicht bitten, mir einen Wunsch zu erfüllen?«
»Sprich!«
»Verschweig in der Stadt, was hier geschehen ist und was vielleicht noch geschehen wird! Auch die Leute des Hotels
werden nicht davon sprechen, weil das Gerücht, daß die Besucher der Pyramiden ihres Lebens nicht sicher seien, die
Zahl der Gäste sehr vermindern wurde. Dieser zornige Schech aus dem Bahr bela Ma wird sich zwar nicht ganz bis zum
Menahouse wagen, aber seine Leute doch von Weitem so aufstellen, daß der Amerikaner ihm in die Hände fallen muß.
Das macht mir schwere Sorge. Konntest du ihm denn nicht sagen, daß er direkt nach dem Hotel fliehen solle?«
»Nein. Als ich mit ihm sprach, hatte ich schon eine andere, bessere Vorbereitung getroffen, welche der Angelegenheit
ein ruhiges, unbemerktes Ende geben wird. Ich wollte verhüten, daß dieser Vorfall in den Mund der Leute gebracht werde.
Denke dir aber im Gegenteile, welches Aufsehen es erregt hätte, wenn der Flüchtling von seinen Verfolgern gerad nach
dem Hotel gejagt worden wäre!«
»Du hast Recht! Schau! Da stehen schon Zwei, welche aufzupassen haben!«
Wir waren an der Cheops-Pyramide vorbeigekommen und lenkten in den nach dem Menahouse führenden Hohl-
Hohlweg ein. Da waren zwei von den Pilgern postiert. Ihr Schech hatte also wirklich seine Absicht ausgeführt und das
Hotel, wenn auch nur aus der Ferne, vollständig eingeschlossen. Die beiden Männer sahen uns finster an, sagten aber
nichts, als wir an ihnen vorüberkamen. Wir erreichten unbelästigt das Haus, stiegen ab, und ich zahlte den Treibern, was
ich ihnen versprochen hatte. Als ich das getan hatte, trat der ältere Chinese zu mir, verbeugte sich sehr höflich und sagte,
zu meinem Erstaunen deutsch:
»Mein Herr, ich ahne, daß wir Ihnen Etwas zu verdanken haben, was uns noch nicht ganz bekannt geworden ist. Wir
wünschen natürlich, es zu erfahren, und bitten um die Erlaubnis, Ihnen unsern Besuch machen zu dürfen. Kann das
geschehen, ohne daß wir unsere heimatlichen Namen zu nennen haben? Ich möchte nicht eine Unwahrheit sagen und
wünsche doch nicht, die Namen aussprechen zu müssen. Ich werde hier Fu und mein Sohn wird Tsi genannt.«
Das war höflich und ehrlich zugleich. Es widerstrebte ihm, einen Mann zu täuschen, dem er Dank zu schulden glaubte.
Eine echt und wahrhaft vornehme Gesinnung, die mich nach meinen bisherigen Beobachtungen freilich nicht überraschen
konnte! Ich sagte ihm, daß er und sein Sohn mir nach dem Abendessen willkommen seien, da grad die Umstände, von
denen er gesprochen habe, mich verhinderten, sie eher zu empfangen. Dann trennten sie sich von mir, nachdem ich auf
mein Befragen die Versicherung erhalten hatte, daß die Verwundung des Sohnes eine ganz leichte sei und zu keiner
Besorgnis Veranlassung gebe.
Die Tochter des Missionars bat ich, mich nach meinem Zimmer zu begleiten, obgleich diese Aufforderung unter
anderen Umständen fast so viel wie eine Beleidigung für eine Dame sei; ich wollte ihr aber die Freude machen, die Erste
zu sein, von der ihr Vater bei seiner glücklichen Ankunft empfangen werde. Sie zögerte nicht, mir diesen Wunsch zu
erfüllen.
Als wir hinaufkamen, stand die Tür genau so weit offen, wie ich sie offen gelassen hatte; es war also noch Niemand
von draußen in das Zimmer getreten. Der Stuhl, auf welchem ich gesessen hatte, stand noch im Freien; ich nahm einen
zweiten mit hinaus, und wir setzten uns nieder. Die Sonne nahte dem Untergang, es war nur noch kurze Zeit bis zum
Eintritt der Dunkelheit, und ich nahm an, daß Omar sein Möglichstes tun werde, mit seinem Begleiter noch vor derselben
das Hotel zu erreichen. Es handelte sich dabei auch um die Gefährlichkeit der Bodenverhältnisse in der Nähe der
Pyramiden, wo es so viele eingestürzte oder nur schlecht wieder zugeschüttete Gräber und unterirdische Gänge gibt, daß
nach Sonnenuntergang ein Ritt für den, der solche Stellen nicht ganz genau kennt, tunlichst zu vermeiden ist.
Wir saßen fast ganz still neben einander. Miß Mary war verlegen, und ich befand mich nicht in der Stimmung, die Zeit
mit einem Gespräch über irgend einen gleichgültigen Gegenstand auszufüllen. Ich sagte ihr kurz, daß ich von Sejjid Omar
die Bedrängnis ihres Vaters erfahren und was ich ihm hierauf für eine Weisung gegeben hatte. Sie tat, als ob sie durch
diese Mitteilungen beruhigt worden sei, war es aber wahrscheinlich nicht, wenigstens nicht ganz, wie mir ja gerad durch
ihre Wortkargheit bewiesen wurde.
Wir mochten wohl über eine Viertelstunde, nur zuweilen ein kurzes Wort sprechend, nebeneinander gesessen haben,
als wir aus der Richtung, aus welcher die beiden Reiter zu erwarten waren, einen Fußgänger kommen sahen. Er war
genau wie Omar gekleidet, war aber Omar nicht, welcher einen gravitätischeren Gang und eine geradere Haltung als
dieser Ankömmling hatte. Was hatte er hier oben auf dieser unwegsamen Düne zu suchen, welche zum Hotel gehörte und
von den Fellachen nicht betreten werden durfte? Es gab hier gar nichts Anderes; sein Ziel konnte nur die Außentüre
meines Zimmers sein!
Die Augen der Kindesliebe waren schärfer als die meinen. Mary sprang auf.
»Mein Vater, ja, mein Vater ists!«
Mit diesem Ausrufe eilte sie von mir fort und ihm entgegen. Er blieb stehen, und als sie ihn erreichte, sah ich, daß er
sie mit einer Umarmung empfing und sie küßte. Ich hätte mich so gern entfernt, mußte aber bleiben, weil sie gezwungen
waren, durch meine Wohnung zu gehen. Auch mußte ich doch erfahren, wo Omar mit den Pferden steckte, für welche ich
um so mehr verantwortlich war, als man sie mir nicht gegen Bezahlung, sondern aus Gefälligkeit geliehen hatte.
Ich sah, daß die Tochter mir den Vater schnell zuführen wollte; aber er hatte zu fragen; sie mußte antworten, und so
dauerte es einige Zeit, bis sie zu mir kamen, sie leicht und schnell, mit frohem Lächeln im Gesicht, er langsamer, zögernd
und in sich wohl ungewiß darüber, wie er sieh gegen mich verhalten solle. Da aber packte ihn seine eigentliche bessere
Natur: Er tat einige rasche Schritte auf mich zu, streckte mir beide Hände entgegen und sagte in einem Tone, den ich
nicht anders als aufrichtig herzlich nennen kann:
»Ieh bitte um Verzeihung! Von Dank will ich nicht sprechen; den brauchen Sie ja nicht. Aber die andere Schuld, in der
ich Ihnen gegenüber stehe, die müssen Sie mir abnehmen, wenn Sie mit mir nicht auf halbem Wege stehen bleiben
wollen!«
Ich erwiderte den Druck seiner Hand und antwortete, sehr froh über diese liebe, gute Aufwallung seines Innern:
»Sprechen wir jetzt nur von der Gegenwart, zunächst von diesem Tarbusch und von diesem Mantel! Ich vermute, daß
beide meinem Sejjid Omar gehören?«
»Ja, sie sind vom ihm. Ich habe natürlich kein Wort von ihm verstehen können, aber was ist dieser Eseltreiber doch für
ein braver, prachtvoller Kerl!«
»Bitte, kommen Sie mit in das Zimmer, damit man Sie nicht von unten aus in diesem Anzug stehen sieht!«
Sie folgten beide dieser Aufforderung, und dann erzählte der Amerikaner von seinem Ritte:
»Ich lasse alles Vorhergehende weg; wir sprechen später darüber; aber es ist mir klargeworden, daß dieses
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